Wind of Insurance Change

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Versicherungsmitarbeiter und -verkäufer sind konservative und veränderungsscheue Menschen. Ihnen fällt es besonders schwer, mit der Welle an Veränderungen Schritt zu halten, die die Branche erfasst hat. Ein Herausgeberwerk mit vielen lesenswerten Praxisbeispielen will den Wandel unterstützen.

"Die Zukunft liegt in der Luft/Ich kann sie fühlen, überall/Sie weht mit dem Wind der Veränderung", singen die Scorpions. "Der Wind der Veränderung bläst geradewegs/Ins Gesicht der Zeit." Wahrscheinlich hat die Band bei dem Text dieser Rockballade eher nicht an Wirtschaftsunternehmen gedacht, sondern es ging um den politischen Wandel im zu Ende gehenden Kalten Krieg.

Wenn die Crowdinsurance kommt
Der Wind der Veränderung hat aber eindeutig die Versicherungsbranche ergriffen. Das Internet beginnt, ganze Geschäftsmodelle und Prozessketten aufzulösen und neu zu konstruieren. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass nach dem Crowdinvesting auch eine Crowdinsurance den klassischen Zusammenhang zwischen dem erwerbswirtschaftlichen, streng regulierten Versicherungsgedanken und der Sehnsucht der Menschen nach Sicherheit auflöst.

Die Niedrigzinsen treiben die über Jahrzehnte bequemerweise als Geldanlage missverstandene Lebensversicherung in die Sinnkrise. Die über Jahre systematisch vorbereiteten Frontalangriffe auf das klassische Vertriebssystem zeigen Wirkung, und die Tage der absoluten Souveränität der Versicherer in Sachen Steuerung, Bezahlung und Anreizsetzungen beim Vertrieb scheinen gezählt zu sein.

Zahlreiche Autoren
Für Gabriele Zimmermann, Professorin für Personalführung und Organisationsentwicklung an der Fachhochschule Köln und freiberufliche Beraterin für Führungsfragen, ist diese Situation Grund genug, ein Buch zusammenzutragen, das den Ursachen dieses Wandels, aber auch den Möglichkeiten zu seiner Gestaltung auf den Grund geht. 40 Autorinnen und Autoren haben dazu beigetragen, darunter auch aktive und ehemalige Vorstandsvorsitzende bekannter Versicherungsunternehmen und Vertreter bekannter Beratungsgesellschaften.

Die Grundlinien kann man wie folgt zusammenfassen: Die Versicherungswirtschaft ist auch gut 20 Jahre nach der Deregulierung eine eher veränderungsscheue Branche. Ihre Personalpolitik fördert die Auswahl und Entwicklung von auf Beharrung ausgerichteten Menschen mit beamtenähnlicher Mentalität. Das ist nicht grundsätzlich schlecht, denn Versicherer müssen ihre Geschäftsmodelle auf Nachhaltigkeit ausrichten. Kein Kunde wird ein sprunghaftes Geschäftsgebaren und eine entsprechende Gefährdung seiner langfristigen vertraglichen Ansprüche gutheißen. Dementsprechend streng wird die Branche reguliert und überwacht.

Struktur folgt den Menschen und nicht umgekehrt
Aber dadurch tun sich Versicherer auch besonders schwer mit dem Wandel, der durch die demografische und die technologische Entwicklung, durch ein schwieriges Image und verschärfte Verbraucherschutzanforderungen sowie ein grundlegendes Misstrauen gegenüber einem schwer durchschaubaren Produktnutzen gekennzeichnet ist. Aus der organisationswissenschaftlichen Theorie gibt es aber Rezepte, insbesondere Prozessmodelle, wie ein bewusster, geplanter Wandel - ein "Change" - herbeigeführt und gesteuert werden kann. Für die in den Führungsetagen weit verbreiteten Technokraten besonders beachtenswert ist die Botschaft, dass es falsch ist, erst Strukturen zu ändern und dann zu versuchen, die Menschen dort hinein zu zwängen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, und es werden nicht so viele Leistungsträger verschreckt und an den Wettbewerb verloren.

Das Buch gliedert sich in vier Hauptkapitel. Das erste widmet sich der Zustandsbeschreibung. Da sich diese ansatzweise auch in zahlreichen weiteren Aufsätzen widerholt, wäre hier weniger, konzentrierte Darstellung mehr gewesen. Der zweite Teil befasst sich mit der Gestaltung Veränderungsprozessen. Im dritten Teil geht es um "People Management" und im vierten und letzten Teil um einen Ausblick in die nähere Zukunft der Branche.

Krisen und regionale Mentalitäten
Besonders lesenswert sind die Praxisbeiträge, in denen Unternehmen ihre Vorstellung von Change Management darlegen und anhand gelungener Umsetzungen zeigen, wie sie die Belegschaft auf größere Veränderungen eingestellt haben. Besonders glaubwürdig ist dies, wenn auch eine kritische Reflexion enthalten ist und Krisen nicht verschwiegen werden, wie beispielsweise in dem Beitrag über den Marken-Change und seine Hintergründe und den Ablauf beim Ergo-Konzern.

Andere Beispiele befassen sich mit der Methode des 360 Grad-Feedbacks und seine in Stufen erfolgten Einführung bei der Axa, mit Führungs-Werkstätten im Talanx-Konzern oder auch der Integration der Lippischen Landesbrand in den Provinzial Rheinland-Konzern. Dass im letztgenannten Beispiel auch die nicht unerheblichen Mentalitätsunterschiede zwischen den Menschen von der Lippe und vom Rhein oder ganz pragmatische Maßnahmen wie die Erweiterung des Kantinenangebots um regionale Spezialitäten des jeweils anderen Geschäftsgebiets humorvoll thematisiert werden, illustriert die Bedeutung der manchmal scheinbar kleinen Gesten im Alltag.

Lesetipp
Gabriele Zimmermann (Hrsg.): Change Management in Versicherungsunternehmen, Die Zukunft der Assekuranz erfolgreich gestalten, 410 Seiten, 24,4 x 17 cm, 29,99 Euro (E-Book), 39,99 Euro (Print, ISBN 978-3658059736), 2015 Springer Gabler

Autor(en): Matthias Beenken

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