Bestandsführungssysteme: Deutsche Assekuranz in gefährlichem Schlaf

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Selbst bei eigentlich einfachen Bestandsführungssystemen schaffen deutsche Versicherer die digitale Wende nicht. Das behauptet zumindest Michał Trochimczuk, Co-Gründer des polnischen IT-Unternehmens Sollers Consulting. Derzeit soll von Köln aus der deutsche Markt erobert werden.

Dabei spricht Trochimczuk eine klare Sprache: Die meisten deutschen Versicherrt würden mit stark veralteten Bestandsführungssystemen immer weiter arbeiten. Sie befänden dabei in einer sehr gefährlichen Lage, denn auch in Deutschland wachse der Innovationsdruck im Kompositmarkt. "Bald werden die Versicherer hier große Schwierigkeiten bekommen", prophezeit der Berater.

System "Wasserfall" ist nicht flexibel genug
Ein erstes Indiz sei die Tatsache, dass die Assekuranz händeringend nach IT-Spezialisten suche. "Doch der Markt ist leergefegt. Die alten Systeme benötigen viel zu viel Wartungsarbeit", so der Berater, dessen Lieblingswort "Agilität" ist. Das würde das Management der meisten deutschen Versicherer nicht verstehen. So würden IT-Projekte nach dem System des Wasserfalls aufgebaut, alles müsse vorher konzipiert werden. Trochimczuk: "Das dauert in der Regel sechs bis neun Monate. Die Umsetzung dann noch mal ein Jahr." Doch dann würden die Fachbereiche feststellen, dass vieles nicht mehr aktuell sei. "Das agile Modell hat nur Ziel vor Augen und startet sofort. Gleichzeitig werden ständig Änderungen realisiert." So werde viel Geld und Energie gespart.

Ausland erneuert stark
In Großbritannien hätten in den vergangenen Jahren rund 80 Prozent der großen Versicherer für den Kompositbereich ein neues Bestandsführungssystem eingeführt, in den Niederlanden seien es rund 50 Prozent gewesen. Demgegenüber gebe es in Deutschland kaum eine Bewegung. Die derzeitigen Systeme deutscher Unternehmen hätten erhebliche Probleme, wenn es um die Einführung neuer Produkte gehe. "In der Regel müssen dann gleich fünf Systeme geändert werden", so Trochimczuk. Das nehme im Vergleich zu vielen anderen Staaten sehr viel Zeit in Anspruch.

Schnelle Produkteinführung notwendig
Allein kleinere, stark im digitalen Geschäft aktive, Versicherer wie Huk 24 oder Ergo Direkt zeigten sich agil. Das genaue Gegenteil gelte beispielsweise für die meisten regionalen Sparkassenversicherer.
Eine Beratung mittelständischer Versicherungsmakler praktiziert Sollers-Consulting nicht. "Versicherungsmakler könnten aber indirekt von neuen Bestandführungssystem profitieren, die für alle Anwender eine einheitliche Oberfläche haben", erläuterte der Berater. Eine solche Oberfläche hätte einen sehr hohen Synergieeffekt. So könne ein einmal von einem Makler oder Vermittler begonnene, aber abgebrochene Beratung, ohne Medienbruch zu einem späteren Zeitpunkt beispielsweise über das Call-Center des Versicherer weitergeführt werden. "Der Call-Center-Agent kann bei den von uns vermittelten Systemen jederzeit den Kunden und den Vorgang wiederfinden und die Beratung
nahtlos fortsetzen. Das ist in der Regel heute bei deutschen Bestandsystemen nicht möglich. Das Call-Center hat keinen Zugang", so Trochimczuk.

Für Cobol werden bald Fachleute fehlen
Ein Indiz für die Reformbedürftigkeit eines Bestandsführungssystems sei die Zeitspanne, die benötigt werde, um ein neues Produkt zu implementieren. "Mehr als drei Monate ist zu lang", glaubt der Berater. Zudem hätten Unternehmen, die Systeme noch mit der Programmiersprache Cobol nutzen würden, deutliche Probleme. Trochimczuk: "Hier finden man kaum noch Programmierer, die damit arbeiten wollen oder können". Aktive Experten würden zudem bald in den Ruhestand gehen.

Empfehlung durch die Kunden
Der Berater hofft auf die Signalwirkung durch Kundenkontakte. Derzeit betreut Sollers in Europa und Kanada 15 IT-Projekte. Auf der "4. Guidewire & Sollers Consulting Konferenz in Warschau" (7. Dezember 2015) würden schon derzeit rund 200 internationale Teilnehmer erwartet. Präsentationen der aktuellen Projekte durch die jeweiligen Kunden selbst, soll die Interessenten sensibilisieren. Vorgestellt werden beispielsweise Fallstudien der Zurich und Aviva-Versicherung aus Großbritannien. An der Konferenz wollen 15 Versicherungsexperten aus Deutschland teilnehmen. Wer mit Sollers kooperiert
muss aber nicht nur die Kosten der Implementierung eines neuen Bestandsystems
bezahlen, sondern zudem die Softwarelizenz, denn das Unternehmen berät nur Fremdprodukte.

Bei Zurich und ADAC-Assistance aktiv
Immerhin können die Kunden zwischen zehn unterschiedlichen Systemen wählen. "Sparen ist möglich, denn wir verlangen immer, dass die Teams zu 50 Prozent von Unternehmen und zu 50 Prozent von Sollers kommen", erläutert Trochimczuk, der übrigens in grauer Vergangenheit Ende der 90er-Jahre einmal den Ergo-Konzern beraten hat. In Deutschland ist Sollers derzeit bei der Zurich und der ADAC-Assistance aktiv. Kompetente Beratung kann der größte deutsche Automobilclub seit seinem Fälschungsskandal wohl besonders gut gebrauchen.

Bildquelle: © Benjamin Nolte/Fotolia.com

Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek

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