Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten bei der Preisbildung

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Das Pricing in der Versicherungsbranche orientiert sich traditionell sehr stark an den Kosten. Die Vorlieben und die Zahlungsbereitschaft der Kunden werden dabei nicht ausreichend berücksichtigt. Eine Studie zeigt, wie die digitale Transformation eine stärkere Differenzierung und Individualisierung bei der Tarifierung ermöglicht.

Es gehört zu den größten Mythen der Versicherungsbranche, dass für ihre Kunden der Preis das wichtigste Entscheidungskriterium ist. Tatsächlich sind die meisten Kunden durchaus bereit, für eine gute Leistung auch einen angemessenen Preis zu zahlen, sie möchten nur nicht das Gefühl haben, über den Tisch gezogen zu werden. Das Pricing in der Versicherungsbranche orientiert sich aber traditionell sehr stark an den Kosten. Damit können häufig keine optimalen Preis-Mengen-Kombinationen erreicht werden, da Präferenzen und Zahlungsbereitschaft der Kunden nicht ausreichend berücksichtigt werden. Deshalb ist bei der Preisfindung eine stärkere Differenzierung und Individualisierung erforderlich. Diese werden durch den technischen Fortschritt auch zunehmend möglich.

Drei neue Geschäftsmodelle
Neue, marktorientierte Pricing-Strategien stehen und fallen mit der Qualität der Daten, die für die Tarifierung zur Verfügung stehen. Schon jetzt läuft bei den Versicherern ein großes Datenvolumen auf, das bislang jedoch noch nicht ausreichend analytisch genutzt wird. Die Versicherer müssen ihre bestehenden Systeme fit für Big Data machen, dann sind durch eine sinnvolle Segmentierung mehr Individualität und Flexibilität bei der Preisfindung möglich. Eine aktuelle Studie von Adesso und den Versicherungsforen Leipzig hat dazu drei neue Geschäftsmodelle identifiziert: eine elastische Preisfindung, Pay-as-you-live-Tarife sowie tariflose Produkte.

Die elastische Preisfindung setzt bei der Tatsache an, dass die Preisfindung bislang insgesamt wenig systematisch durch Rabatte erfolgt. Wie hoch der Preis eines Produkts sein darf, um als fair zu gelten, ist von Person zu Person verschieden. Es bleibt dem Gespür des Verkäufers vorbehalten, die individuelle Zahlungsbereitschaft seiner Interessenten einzuschätzen.

Das Bauchgefühl der Verkäufer übertreffen
Moderne IT-Systeme sind in der Lage, Preise und Ausstattungsmerkmale datengestützt vorzuschlagen. Die Vorschläge basieren auf Datenanalysen und komplexen Segmentierungen, die das "Bauchgefühl" der Verkäufer übertreffen, weil sie genauer und zuverlässiger sind. Im E-Commerce gibt es bereits zahlreiche Beispiele, in denen Anbieter die Zahlungsbereitschaft der Kunden individuell austesten.

Versicherer könnten künftig ähnlich vorgehen und bei ihren Angeboten den subjektiven Wert berücksichtigen den die Versicherung mutmaßlich für den Interessenten hat. Besonders preissensiblen Kunden werden dann beispielsweise individuelle Rabatte oder ein reiner Basisschutz vorgeschlagen. Besonders zahlungswillige Interessenten wiederum erhalten stattdessen zusätzliche Deckungseinschlüsse oder ergänzende Convenience-Services angeboten.

Die Nachfrage nach risikoadäquaten Tarifen steigt
Das neue Geschäftsmodell der Pay-as-you-live-Tarife leitet sich aus dem Umstand ab, dass die klassischen Preismechanismen der Versicherer mit ihren starren Kalkulationsgrundsätzen der Nachfrage nach risikoadäquaten Tarifen nicht mehr gerecht wird. Die Kunden verlangen zunehmend nach individuellen Versicherungsmodellen, die exakt auf ihre Lebenslage zugeschnitten sind. Gleichzeitig erfassen immer mehr von ihnen über Fitness- und Gesundheits-Apps Daten über sich und ihre Umwelt.

Diese Daten ermöglichen orts-, zeit- und verhaltensbezogene Tarife. Der Kunde zahlt dann nur noch für das Risiko, dem er wirklich ausgesetzt ist. Erste derartige Ansätze finden sich bereits in der Krankenversicherung, wo bestimmte Vorsorgeuntersuchungen und regelmäßige sportliche Aktivitäten honoriert werden.

Die Experteninterviews der Studienautoren mit Assekuranz-Vorständen haben gezeigt, dass vor allem die Direktversicherer an die Zukunft von Pay-as-you-live-Tarifen glauben. Allerdings wird dieses Modell von Datenschützern kritisch gesehen. Diese sehen die Nutzung zusätzlicher personenbezogener Kundendaten als problematisch an und sprechen vom "gläsernen Bürger". Sie befürchten, dass kranke Versicherte und diejenigen, die ihre Daten nicht preisgeben wollen, mit schlechteren Tarifen bestraft werden. Es ist auch völlig offen, ob und inwieweit der Gesetzgeber rechtliche Schranken setzen wird, wenn erste Erfahrungen mit diesem Modell vorliegen.

Kunden stellen sich ihre Wunschdeckung selbst zusammen

Das dritte Geschäftsmodell, die tariflosen Produkte, zielt auf individuelle Deckungskonzepte ab. Diese sind zwar auch im klassischen Tarifsystem schon möglich, erfordern aber komplexe Tarifkombinationen, die für den Kunden schwer nachvollziehbar sind. Tariflose Produkte sollen ihm dagegen ermöglichen, sich seine Wunschdeckung selbst aus verschiedenen zugrunde liegenden Einzeldeckungen selbst zusammenzustellen. Die Einzeldeckung umfasst dabei die Leistung bei Eintritt des jeweils versicherten Risikos.

Mathematische Modelle für tariflose Produkte existieren bereits seit den 1990er Jahren. Inzwischen ist die Leistungsfähigkeit der Systeme zur Risikoerfassung und zur Berechnung am Point of Sale soweit gestiegen, dass die technischen Voraussetzungen für die Umsetzung dieses Konzepts erfüllt sind.

Massenware nach Maß reizt junge Kunden
In anderen Branchen hat die Digitale Transformation diesem Mass-Customization-Ansatz bereits neuen Antrieb verliehen. Die "Massenware nach Maß" wird insbesondere von jungen Kunden immer mehr in Anspruch genommen. Die Technologie macht es möglich, eine Vielzahl an Kombinationen anzubieten und über standardisierte Prozesse abzubilden. Auch Versicherer könnten künftig auf diese Weise ihren Kunden maximale Flexibilität in der Produktauswahl und Produktgestaltung bieten und dabei gleichzeitig ihren eigenen Verwaltungsaufwand senken.

Angesichts der fundamentalen Marktveränderungen genügt es nicht mehr, wenn Versicherer nur an einzelnen Stellschrauben drehen. Branchenfremde Unternehmen drängen mit Hochdruck in den Markt. Die fortschreitende Digitalisierung lässt Branchengrenzen verschwimmen und erleichtert den neuen Wettbewerbern den Markteintritt. Versicherer müssen auf diese Marktveränderungen reagieren und ihre Geschäftsmodelle hinterfragen, um die Vormacht über das eigene Geschäft nicht zu verlieren.

Über die Studie

Die Studie "Geschäftsmodelle 4.0 - Was die Assekuranz von anderen Branchen lernen kann" wurde vom IT-Dienstleister Adesso AG und den Versicherungsforen Leipzig gemeinsam erstellt. Dazu analysierten die Studienautoren zunächst branchenübergreifende Entwicklungen und leiteten daraus dann neue Möglichkeiten ab, mit denen Versicherer aktiv die Zukunft ihrer Branche gestalten können. Die Ergebnisse wurden mit Vorständen von Versicherungsunternehmen diskutiert und bewertet.

Burkhard Herold ist Leiter Line of Business Insurance Consulting bei der Adesso AG.

Bild: © Cumulus

Autor(en): Burkhard Herold

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