Höchste Diskriminierungsklage und die AGG-Police

Um eine halbe Million Euro geht es in der Diskriminierungsklage, die eine Mitarbeiterin im Außendienst der R+V gegen ihren Arbeitgeber angestrengt hat. Jetzt wurde die Verhandlung auf den 8. Mai 2008 vertagt.

Die besondere Brisanz: Die R+V, die sich gegen die Diskriminierungsvorwürfe wehrt, hat als einer der ersten Versicherer eine so genannte AGG-Police auf den Markt gebracht, die Unternehmen Deckung bei möglichen finanziellen Schadenleistungen gewährt, wenn ein Mitarbeiter wegen Diskriminierungs-Vorwürfen vor Gericht zieht.

Höchste Schadenersatzforderung
Es geht um die höchste Schadenersatzforderung, die ein Arbeitnehmer jemals in Deutschland gegen das Unternehmen angestrengt hat. Vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden hat Sule Eisele-Gaffaroglu, Personen-Versicherungsbetreuerin bei der R+V, eine Schadenersatzklage in Höhe von 500.000 Euro gegen ihren eigenen Arbeitgeber angestrengt. Ihr Vorwurf: Geschlechtsdiskriminierung und damit ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Das AGG wird umgangssprachlich auch als Antidiskriminierungsgesetz bezeichnet. Es handelt sich um ein deutsches Bundesgesetz, das ungerechtfertigte Benachteiligungen aus Gründen der „Rasse“, der „ethnischen Herkunft“, des „Geschlechts“, der „Religion“, der „Weltanschauung“, einer „Bedingung des Alters“ oder der „sexuellen Identität“ verhindern und beseitigen soll. Die durch das neue Gesetz geschützten Personen erhalten Rechtsansprüche gegen Arbeitgeber und Private, wenn diese ihnen gegenüber gegen die gesetzlichen Diskriminierungsverbote verstoßen.

Diese Tatbestände sind nach Ansicht der Rechtsanwälte von Sule Eisele gegeben. Sie begründen die hohe Schadenersatzforderung mit dem hohen Gehalt Eiseles, dass sie zuvor im Außendienst der R+V verdiente. 101 Seiten umfasse die Klage. Die beiden Rechtsanwälte Dr. Michael Alenfelder und Frank Jansen gelten als ausgemachte Spezialisten des im Jahr 2006 in Kraft getretenen AGG. Da das Gesetz noch relativ neu sei, werde der Fall nicht leicht sein, so Frank Jansen. Es müssten sehr viele europäische Vorschriften beachtet werden. Ein anderer Fall dieses Ausmaßes hierzulande sei nicht bekannt.

Ein Beispiel für Diskriminierung
Der Fall spricht für sich: Sule Eisele fühlt sich als weibliche Mitarbeiterin im Außendienst der R+V diskriminiert, weil sie ihren Zuständigkeitsbereich im angestammten Arbeitsplatz als Personen-Versicherungs-Betreuerin im Raum Bad Saulgau/Oberschwaben während ihrer zweiten Schwangerschaft im Dezember 2006 verlor. Selbst der R+V-Betriebsrat habe ihr nicht zur Seite gestanden, als sie nach der Geburt ihrer zweiten Tochter und den gesetzlich möglichen drei Monaten Mutterschutz ihre alte Position im angestammten Verbreitungsgebiet wieder einnehmen wollte. Stattdessen wurde ihr ein neuer Bezirk zugewiesen, der bisher weitaus weniger Umsatz eingebracht hatte, was für Eisele als Alleinverdienerin in ihrer Familie mit krankem Ehemann auch weniger Provision bedeutete.

Hierzu sei erklärt, dass Frau Eisele auch gleich am ersten Tag des Mutterschutzes das Passwort zu ihrem dienstlichen Computerzugang gesperrt wurde. Sie hatte keine Chance ihre bisher gewohnt erfolgreiche Außendienstarbeit für die R+V weiterzuführen. Ihr wurde übrigens bisher immer noch kein neues Passwort zugewiesen. Ein Außendienstler, der im Kundengespräch nicht online Informationen vom Versicherer einholen kann, ist nach heutiger Meinung nicht geschäftsfähig.

Schadenersatzklage mit ungewissem Ausgang
Nun läuft die Schadenersatzklage - mit noch unbekanntem Ende. Die R+V-Versicherung will das schwebende Verfahren nicht kommentieren. Der Vorfall erlebt allerdings eine ganz eigene Brisanz, denn der Wiesbadener Versicherer gehört zu den ersten Anbietern einer so genannten AGG-Police in Deutschland. Insider fragen sich nun, ob die R+V ihr eigener erster wichtiger Kunde in Sachen AGG werden könnte. Die Rechtsanwälte von Sule Eisele relativierten inzwischen, weshalb die geforderte Schadensumme mit 500.000 Euro so hoch ausfalle. Den weitaus geringsten Anteil mache hier die Schmerzensgeldforderung aus, heißt es.

Vielmehr sei Kern der Klage der so genannte materielle Schaden, den Frau Eisele erlitten habe. Man hatte ihr nach der Geburt ihres Kindes einen wesentlich weniger lukrativen Außendienst-Bezirk zugewiesen. Die Benachteiligung im Gehalt gegenüber ihren männlichen Kollegen und ihrem angestammten Arbeitsgebiet summiert sich nach Berechnungen ihrer Anwälte in den verbleibenden 29 Jahren bis zu ihrem Rentenalter auf 433.000 Euro.

Im Mai 2008 wird sich zeigen, ob die gerichtliche Auseinandersetzung in Sachen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) mit einer Schadenersatzforderung von 500.000 Euro, die in ihrer Höhe an amerikanische Verhältnisse erinnert, für Sule Eisele zum Erfolg führt.

Autor(en): Ellen Bocquel

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