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Bestandsübertragung

1. Begriff: Übertragung eines Versicherungsbestands von einem Versicherungsunternehmen auf ein anderes Versicherungsunternehmen.

2. Hintergründe: Ein Versicherungsbestand ist die Gesamtheit aller Versicherungsverträge eines Versicherers. Dieser Bestand kann ganz oder teilweise übertragen werden. Entgegen der allgemeinen Vorschrift des § 415 BGB (Schuldübernahme nur mit Genehmigung des Gläubigers) besteht hier kein Mitspracherecht des Versicherungsnehmers. Für ihn handelt die Aufsichtsbehörde. Jeder Bestandsübertragungsvertrag bedarf der Genehmigung der Aufsichtsbehörden (§ 13 VAG), die für die beteiligten Unternehmen zuständig sind.

3. Voraussetzungen für die Genehmigung: Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Versicherteninteressen gewahrt und die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen dargetan ist. Mit dieser allgemein gehaltenen Voraussetzung wird auch die früher in der Norm expressis verbis genannte Forderung, dass die Solvabilität des Zessionars sichergestellt sein muss, erfasst. Außerdem sind die Spartentrennungsgebote zu berücksichtigen.

4. Folgen der Bestandsübertragung: Mit der Bestandsübertragung gehen die Rechte und Pflichten des übertragenden Unternehmens aus den Versicherungsverträgen auch im Verhältnis zu den Versicherungsnehmern auf das übernehmende Unternehmen über. Die Versicherungsnehmer haben kein außerordentliches Kündigungsrecht. Die weitgehende Entmachtung der Versicherungsnehmer ist darauf zurückzuführen, dass die Bestandsübertragung häufig dem Schutz aller Versicherten eines in Not geratenen Versicherers dient. Die Aufsichtsbehörde soll versuchen, die Interessen der Versicherten dadurch zu schützen, dass sie einen gesunden Versicherer ausfindig macht, der bereit ist, den Not leidenden Bestand zu übernehmen. Dieses Unterfangen wäre unmöglich, wenn die guten Risiken vorzeitig durch Kündigung den Versicherer verlassen könnten.

5. Besonderheiten: a) Verlieren durch die Bestandsübertragung Mitglieder eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (VVaG) ganz oder z.T. ihre Rechte als Vereinsmitglied, darf die Genehmigung nur erteilt werden, wenn der Übertragungsvertrag ein angemessenes Entgelt vorsieht. Hierbei handelt es sich um das insgesamt an die Gemeinschaft der Mitglieder zu zahlende Entgelt, dessen Bemessung Gegenstand der Genehmigung ist und nur mit dieser Entgeltbemessung zusammen im Verwaltungsrechtsweg angefochten werden kann. Davon zu unterscheiden ist der individuelle Anteil des Mitglieds an dem insgesamt gezahlten Entgelt, der durch Beschluss der obersten Vertretung festgelegt wird und im Zivilrechtsweg überprüft werden kann. Ist der übernehmende Versicherer ebenfalls ein VVaG und werden die betroffenen Mitglieder des übertragenden Vereins Mitglieder des übernehmenden Vereins, entfällt die Anforderung auf Zahlung eines Entgelts.
b)Sind Vertragsverhältnisse mit Überschussbeteiligung betroffen (Lebensversicherungen, private Krankenversicherungen, Unfallversicherungen mit garantierter Beitragsrückzahlung), darf die Genehmigung nur erteilt werden, wenn die Werte der Überschussbeteiligung der Versicherten des übertragenden und des übernehmenden Versicherers nach der Übertragung nicht geringer als vorher sind. Es muss also gewährleistet sein, dass kein Versicherter durch die Bestandsübertragung schlechter dasteht als vorher.
c)Die Regelungen gehen auf das Urteil des BVerfG v. 26.7.2005 zurück, das die Rechtsposition der Versicherten gestärkt wissen wollte. Vor allem bei den sog. strategischen Umstrukturierungen innerhalb von Unternehmensgruppen war die Bestandsübertragung ein wichtiges Vehikel, bei dem die Interessen der Versicherten nicht immer genügend gewahrt werden konnten, weil es an klaren Regeln fehlte.

6. Verfahren: Der Bestandübertragungsvertrag bedarf der Schriftform.Die Genehmigung der Bestandsübertragung ist im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Der übernehmende Versicherer hat die Versicherungsnehmer über Anlass, Ausgestaltung und Folgen der Bestandsübertragung zu unterrichten. Wegen der Einzelheiten der Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden bei grenzüberschreitender Bestandsübertragung vgl. § 13 II VAG.

7. Rechtsgrundlagen: §§ 13, 200, 201 VAG.

Autor(en): Dr. Helmut Müller

 

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