Social Media: Nur Duzen reicht nicht

Soziale Medien entwickeln sich bei Versicheren zum Lieblingskind moderner Kommunikation: Mehr jüngere Kunden sollen erreicht und gebunden werden. Soweit der Wunsch. Die Wirklichkeit ist: Der neue Kommunikations-Ansatz ist entwicklungsmäßig auf dem Stand eines Kleinkindes, das seine Sprache schrittweise durch Nachmachen entwickelt. Ähnlich verhält es sich mit der Messbarkeit der Wirkung von Social Media Aktivitäten.

Im Internet verschwimmt der traditionelle Unterschied zwischen reinen Vertrieben, Direktanbietern und Versicherern mit Außendienst. Was Fachleute feinsäuberlich kategorisieren würden, ist dem Kunden egal: Hauptsache, er kann seine Versicherung schnell und einfach abschließen, wenn der Preis stimmt. Damit ist die Kaufpsychologie der Generation facebook ungefähr umschrieben. Allen voran neue Marken wie "1Blick" oder "Friendsurance" gehen beim Versicherungsvertrieb neue Wege: Sie erklären einfache Versicherungen einfach. Tatsächlich machen es 1Blick und Co den Kunden einfach - jedenfalls einfacher als bisher gesagt! Die Kunden der Zukunft erreichen die Versicherer ab heute nur über eine wirklich ausgefeilte Kommunikation im Netz und seinen Kommunikationsträgern: "Prominente" Webseiten und Facebook, Google+ oder Twitter.

Siezen oder Duzen - das dazugehörige Umfeld muss stimmen
Betrachtet man die auf Social-Media-Kanälen aktiven Anbieter, fällt der Blick auf bunte Bilder, lockere Videos, einfache Sprache, interaktive Elemente, Kommentarfunktionen oder "Rückruf"-Buttons - plus eine Portion Spaß. Und: Es wird geduzt, was grundsätzlich gut ankommt. Aber es gibt Ausnahmen: WGV-Himmelblau ist vom "Du" wieder auf das "Sie" zurückgefallen. Das wäre an sich nicht problematisch, wenn ansonsten nicht die erfrischend lockere Sprache geblieben wäre. Kurz: Siezen passt nicht, wenn alles andere locker ist. Andererseits "lockt" WGV-Himmelblau seine Besucher von Facebook zum hauseigenen Youtube-Kanal und macht sehr gewinnende Erklär-Videos.

Im Oktober 2011 hat die Marketingagentur Eprofessional die Wirksamkeit von Facebook-Auftritten der Versicherungswirtschaft untersucht: Als "Gewinner" wurde die Provinzial Rheinland gekürt. Allerdings hätte dem vorgestellten Bewertungssystem zufolge die neue Marke Sijox (Signal Iduna) gewinnen müssen. Aber Sijox wurde wohl vergessen. Auch kam dort WGV-Himmelblau nicht vor, weil deren Kommunikation schwerpunktmäßig über den Youtube-Kanal läuft. Es wird aber deutlich: Social Media-Aktivitäten lassen sich zurzeit nur schwer messen.

Models, keine realen Mitarbeiter - eine Todsünde
Eine der auffälligsten neuen Marken im Social-Media-Universum ist Sijox. Auch Sijox ist frisch, bunt und locker und macht eine gute Netzwerkarbeit mit Preisausschreiben und aktiver facebook-Kommunikation. Sijox könnte als "Leuchtender Stern" am Social Media-Himmel stehen, wenn da nicht die Kommunikation wäre. Wer Sijox.de klickt, den begrüßt ein gewisser "Jan", der die neue Sijox-Welt erklärt. Nur merken die Besucher der Internetseite recht bald: Jan arbeitet gar nicht bei Sijox! Jan ist ein Schauspieler. Das ist eine Todsünde in Sachen Authentizität! Sijox steht exemplarisch für einen Fehler der Versicherer: Viele Anbieter agieren auf Videos und Plakaten immer noch mit Schauspielern. So auch der "Sieger" des E-professional-Vergleichs, die Provinzial Rheinland: Models.

Die Botschaft stirbt zwischen den Zeilen
Die Vergleichsplattform Transparo.de hat erst kürzlich einen Markenclaim ergänzt. In Anlehnung an Lenin: "Vergleichen ist gut. Transparo ist besser". WGV-Himmelblau schreibt seinen Claim "So einfach geht Versicherung" in 6-Punkt-Schriftgröße. Sijox als neue Marke verzichtet auf einen Markenclaim, also auf die Botschaft. Dabei kostet ein Claim nur eine Idee! Sijox verklausuliert die gewollte Botschaft "Gemeinsamkeit" mit einem "wir", das sehr einseitig wirkt. So stirbt die Botschaft zwischen den Zeilen. Auch weil das Wort "Versicherung" erst sehr spät auftaucht. So fehlt bei "Meine Basis" die Privathaftpflichtversicherung. Aber auch ein Modul "Meine Welt" verlangt Vorstellungskraft. Der Weg zu dieser Erkenntnis verläuft, ohne jede Benutzerführung, auch für den Fachbesucher erst über einen "Warenkorb" (für frei zugängliche Produktinformationen!).

Sprache, Bedarf und Produkt auf den Punkt bringen: Daran scheitern viele
Die Produktübersicht ist ein PDF-Dokument und zugleich ein Zeugnis alter Sprache: umständlich und lang. Zur optischen Kommunikation gehört auch große Schrift; nicht nur für Sehbehinderte, sondern zur zumutbaren Wahrnehmung der Botschaft. Und: Je größer die Schrift, desto kürzer muss der Text sein! Dann würde man Berufsunfähigkeit nicht mehr definieren, sondern werblich erklären. Vielleicht so: "Wer krank bleibt, ist berufsunfähig". An dieser Aufgabe, Sprache, Bedarf und Produkt auf den Punkt zu bringen, scheitert so manche neue Kommunikation. Kurz: Die Mängelliste ist lang. Das Twitter-Konto @AXADeutschland hat keine einzige Nachricht und die Allianz Deutschland hat auf Facebook einen leeren Bereich "Umfragen": "leider liegen noch keine Umfragen vor". Außerdem erlauben Allianz und andere Versicherer keine Antworten oder Kommentare. Das ist nicht interaktiv und nicht kommunikativ.

Fazit: Sijox kann die hohen Erwartungen nicht erfüllen. Neue Marke, alte Sprache. Und keine Kreativität. Alte Werte als neue Botschaft - das geht. Nur Duzen reicht nicht.

Markus Rieksmeier ist Versicherungsfachwirt und Kommunikationsberater,
Autor des Buches "Erklärungsnotstand Altersvorsorge"

Autor(en): Markus Rieksmeier

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