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Ratingagenturen – Bedeutung und Beaufsichtigung

1. Problemstellung

Für die deutsche Versicherungswirtschaft sind Ratingagenturen und deren Ratings von hoher Relevanz. So haben sich Finanzstärkeratings als anerkannte Informationsquelle über die finanzielle Solidität und Reputation von Versicherern etabliert, und sie werden von Vermittlern und Versicherungsnehmern als Entscheidungshilfe herangezogen. Damit können die Chancen eines Versicherers in bestimmten Geschäftssegmenten oder auch als Emittent von Finanzinstrumenten signifikant von seinem Rating abhängen. Darüber hinaus spielen Ratings im Bereich der Kapitalanlagen sowie im Rahmen der Versicherungsaufsicht eine wichtige Rolle.

Die Beurteilung der Finanzstärke von Versicherern hat einerseits durch die seit 2002 nicht abreißenden Krisen und Volatilitäten der Finanzmärkte sowie die Niedrigzinsphase deutlich an Bedeutung gewonnen. Andererseits hat die Reputation der Ratingagenturen insbesondere infolge der letzten großen Finanzkrise, aber auch schon aufgrund früherer Problemfälle gelitten. Als Konsequenz wurde die zunächst präferierte Selbstregulierung zunehmend als unzureichend angesehen. Dies führte in Europa mit der Verordnung 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 zur Regulierung der Ratingagenturen und zu einem geänderten Umgang mit Ratingagenturen und Ratings in Wirtschaft und Politik.

2. Bedeutungswandel von Ratings im deutschen Versicherungsbereich nach der Deregulierung 1994

Als Folge der Deregulierung der europäischen Versicherungsmärkte wurde in Deutschland die materielle Aufsicht durch eine reine Solvenzaufsicht abgelöst. Dies führte zu einer großen Produktvielfalt, damit teilweise zu Intransparenz und nahezu zwangsläufig ferner dazu, dass die Nachfrage nach Entscheidungshilfen über Qualität und Peis‑/Leistungsverhältnis von Produkten stark anstieg. Deshalb haben lange die sog. Produktratings die Ratingszene dominiert. Aufgrund der Erfahrungen der Kapitalmarktkrisen seit 2002 und auch des Niedrigzinsniveaus setzte sich aber zunehmend die Erkenntnis durch, dass neben der Beurteilung der Produktqualität auch die finanzielle Stärke von Versicherungsunternehmen in die Auswahlentscheidung einbezogen werden sollte.

3. Einfluss von Ratings für Kapitalanlagen, Bilanz, Solvenz, und interne Richtlinien

Neben der Tatsache, dass Versicherungsunternehmen selbst einem Rating unterliegen, sind Versicherer v.a. auch als institutionelle Investoren mit Ratings konfrontiert. Das Kreditrisiko ist für die deutschen (Erst‑)Versicherungsunternehmen von besonders hoher Relevanz, sind doch aufgrund des Geschäftsmodells etwa 80 % der Kapitalanlagen in Höhe von insgesamt rund 1,4 Billionen Euro in Zinspapiere investiert (Stand Ende 2014). Vor diesem Hintergrund spielen Ratings und ihre Veränderungen bei der Evaluierung des Kreditrisikos und z.B. als Indikator für Abschreibungsrisiken eine große Rolle. Die Relevanz ist dabei unter Anwendung der marktwertorientierten IFRS-Regeln noch höher als im buchwertorientierten HGB-System.

Für die versicherungstechnischen Positionen der Passivseite der Bilanz und ähnlich auch für Solvency I und Solvency II haben Ratings zwar einen deutlich geringeren Einfluss. Aber z.B. bei der für die Lebensversicherer so wichtigen Zinszusatzreserve und deren Dotierung wird der maßgebliche Referenzzins unter Heranziehung ausschließlich von Ländern mit einem Höchstrating ermittelt.

Ratings sind ferner bspw. bei internen Richtlinien, etwa bei der Verteilung von Risikobudgets und Ampelsystemen in Kapitalanlagerichtlinien, beim Benchmarking oder im Rahmen von internen Modellen, von großer Bedeutung. Auch in diversen privatrechtlichen Verträgen sind Ratings als Trigger oder Bezugspunkte maßgeblich, z.B. indem bei einem Downgrading von Rückversicherern höhere Sicherheiten hinterlegt werden müssen oder im Zusammenhang mit der Aktivierung von Credit Default Swaps.

4. Gründe für eine Regulierung

Für eine Regulierung von Ratingagenturen und deren Ratings sind verschiedene Verwerfungen ursächlich gewesen, die sich in der Vergangenheit herauskristallisiert haben. Die nachfolgenden Ausführungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

a) Interessenkonflikte

Immer wieder hat es Vorwürfe gegeben, die Ratingagenturen würden die Emittenten von Wertpapieren tendenziell zu gut bewerten. Sehr hohe Ratings gehörten bspw. bei den US-amerikanischen RMBS („Residential Mortgage Backed Securities“, das sind komplexe strukturierte Produkte, über die das Ausfallrisiko amerikanischer Subprime-Hauskäufer in den Kapitalmarkt transferiert wurde) zum Geschäftsmodell, und die Ratingagenturen wurden beschuldigt, systematisch vielen dieser komplexen Instrumente zu lange und zu hohe Bestnoten vergeben zu haben – zugunsten von eigenen Umsätzen, so dass die Interessen der Emittenten über die der Investoren gestellt worden seien. (Hinweis: Der „Subprime“-Markt bezeichnet einen Teil des privaten Hypothekenmarkts, auf dem Kreditnehmer mit meist geringer Bonität bei US-amerikanischen Banken Hypotheken zum Immobilienerwerb aufnahmen.)

b) Übermäßiger und blinder Gebrauch von Ratings

Investoren haben den Ratings häufig nahezu blind vertraut; ohne angemessene eigene Einschätzungen des eingegangenen Risikos zu treffen. Etwa im Fall der sog. „Collaterized Debt Obligations“ (kurz CDOs, das sind amerikanische strukturierte Produkte in Form von Wertpapieren, denen ihrerseits Kreditforderungen unterliegen, z.B. Baukredite, Autokredite oder Studentendarlehen) wurde dann für hoch geratete Produktangebote ein ähnliches Kreditrisiko angenommen wie für ähnlich geratete Corporates oder Sovereigns, obwohl sie zugleich höhere Coupons lieferten. Hierbei ist es wichtig, zu verstehen, dass Ratings nur eine Meinung zum relativen Kreditrisiko darstellen, somit aber z.B. nicht über Marktvolatilitäten oder die Liquidität im Markt, deren Ausprägungen wesentliche Treiber für die Niedergangstrends in der Finanzkrise waren.

Hinzu kam, dass Ratings durch den häufigen Gebrauch im Aufsichtsrecht gewissermaßen semi-regulatorische Wirkungen hatten. Auch waren die Anreize, Ratingagenturen für nachlässige Bewertungen zu bestrafen, gering, da sie fest in aufsichtsrechtliche und unternehmensinterne Regeln eingebunden waren.

c) Unzureichende Methoden, Prozesse, Qualitätssicherung und Transparenz

Über Jahrzehnte haben sich die Ratingagenturen einen Ruf als vertrauenswürdige Bonitätswächter erarbeitet. Allerdings haben die Ratingagenturen bei strukturierten Produkten, v.a. bei den US-amerikanischen RMBS und CDOs, ihre Methoden und Prozesse nicht zügig genug den Verwerfungen der (amerikanischen Immobilien‑)Märkte angepasst und mithin die Risiken unterschätzt. Auch wurde eine nicht ausreichende unabhängige interne Governance dafür verantwortlich gemacht, dass kommerzielle Interessenkonflikte auftraten und die analytische Unabhängigkeit litt. In dieser Hinsicht wurden auch Transparenzprobleme bemängelt.

d) Systemische Risiken

Vielfach wurde argumentiert, dass Ratings zu gleichen Rahmenbedingungen für alle Versicherer beigetragen haben. Die Kehrseite dieses sog. „level playing fields“ ist das Herdenverhalten der Investoren bei Ratingveränderungen, insbesondere wenn es sich nicht um Einzelratings von Unternehmen, sondern um Ratings von ganzen Sektoren, z.B. von Banken oder Sovereigns, handelt. Die Investoren verkaufen dann im Fall von Downgradings massenhaft synchron, gefährden damit aber möglicherweise zugleich die Refinanzierung der Emittenten und erzeugen somit neuen Ratingdruck. Die Folge sind mögliche Kettenreaktionen bis hin zu sektoralen Strukturbrüchen (s.u.). Ratings können insofern systemische Risiken entfalten.

e) Sektorale Strukturbrüche

In den Krisen seit 2007 kam es tatsächlich über ganze Emittenten- oder Assetklassen hinweg kaskadenartig, d.h. in mehreren Stufen (von Subprime-Anleihen über ABS-Anleihen und Bankenanleihen bis hin zu Staatsanleihen), zu teilweise massiven Ratingabwertungen. Erstaunlicherweise betrafen diese Ratingschocks insbesondere die entwickelten Wirtschaftsländer, und sie führten zu regelrechten Strukturbrüchen bei den Ratingmodellen – im Sinne folgender Kette: Das Rating der Staaten ist nunmehr grundsätzlich die Obergrenze des Ratings von Banken mit Sitz in diesen Staaten, und dies wiederum ist die Obergrenze für das Rating der jeweiligen Bankenanleihen.

f) Mangelnder Wettbewerb

In dem von drei US-amerikanischen Ratingagenturen dominierten Ratingmarkt wurden zunehmend die normalen Marktkräfte (wie z.B. die Preisbildung, Serviceaspekte und die Reputationsentwicklung) als unzureichend für einen funktionierenden Wettbewerbsmarkt angesehen. Aufgrund der Dominanz einer kleinen Gruppe von Ratingagenturen wird der Markt auch als oligopolistisch beschrieben. Unternehmen im oligopolistischen Umfeld wird nachgesagt, dass sie fähig sind, die Wettbewerbsposition und Strategien der Wettbewerber zu erkennen, was dazu führen kann, dass sie in ähnlicher Weise z.B. mit Preiserhöhungen agieren, anstelle aggressiv gegeneinander zu konkurrieren. Als eine Begründung für die Nachhaltigkeit dieser Dominanz wird der Vorteil herangeführt, dass die großen Ratingagenturen einerseits für zahlreiche Emittenten den bestmöglichen Zugang zu Investoren bieten und andererseits für die Investoren den Vorteil mitbringen, dass sie die größtmögliche Abbildung von Emittenten bieten. Für kleinere und jüngere Agenturen bleibt angesichts dieser Situation oft nur der Ausweg, sich über den relativ kostspieligen Weg von Marktanalysen und nicht beauftragten Ratings zu profilieren.

g) Unzureichende Selbstregulierung der Ratingagenturen

Nach den unbefriedigenden Erfahrungen bei Enron und WorldCom bildete sich etwa in den Jahren 2003/2004 die Einsicht heraus, dass ein gewisser regulatorischer Einfluss auf die Ratingagenturen notwendig sei. Als Konsequenz ist v.a. der 2004 eingeführte IOSCO Code of Conduct (IOSCO = International Organization of Securities Commisions; führender globaler Standardsetzer für die Wertpapieraufsicht) wichtig, der das Rahmenwerk für eine globale Selbstregulierung der Kreditratingagenturen setzte. Alle großen Ratingagenturen haben sich dem Kodex weitgehend unterworfen. Eine der Hauptschwächen war allerdings, dass es keinerlei Durchsetzungsmechanismen oder Sanktionen gab.

Nach der Finanzkrise wurde die Kritik in Wirtschaft und Politik immer lauter. Im Frühjahr 2009 schließlich verständigten sich die G20-Staaten darauf, dass ein Aufsichtssystem für die Registrierung von Ratingagenturen und auch eine fortlaufende Aufsicht über sie notwendig sei. In der Folge wurden in vielen Ländern (z.B. auch in Deutschland) entsprechende Aufsichtsmaßnahmen eingeführt oder verschärft.

5. Aufsichtsrechtlicher Rahmen für Ratingagenturen in der Europäischen Union

Der regulatorische Grundrahmen für die Beaufsichtigung von Ratingagenturen wurde in Europa mit der in 2009 veröffentlichten EU-Rating-Verordnung gesetzt und durch eine Überarbeitung im Jahre 2013 noch erweitert und verschärft. Die wesentlichen Ziele sind u.a. eine europaweit einheitliche Regulierung zu installieren, die Unabhängigkeit und Integrität der Ratingagenturen sowie die Transparenz, Qualität und Governance zu erhöhen. Ferner sollen der Wettbewerb im europäischen Ratingmarkt gesteigert und ein übermäßiger automatischer Rückgriff auf Ratings vermindert werden. Zudem wurde eine zivilrechtliche Haftung der Ratingagenturen eingeführt.

Um in Europa Kreditratings durchführen zu können, muss eine Ratingagentur bei der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority, kurz: ESMA) registriert oder autorisiert sein. Ein Rating im Sinne der Verordnung ist jedes Bonitätsurteil einer zugelassenen Kreditratingagentur, das anhand eines festgelegten und definierten Einstufungsverfahrens für Ratingkategorien (wie bspw. die weit verbreiteten Ratingskalen von AAA bis D) abgegeben wird und sich auf ein Unternehmen, einen Schuldtitel oder eine finanzielle Verpflichtung, eine Vorzugsaktie oder ein anderes Finanzierungsinstrument bzw. auf den jeweiligen Emittenten bezieht.

Die EU-Ratingverordnung enthält umfangreiche Vorschriften zur inneren Organisation einer Ratingagentur, die potenzielle Interessenkonflikte vermeiden oder verringern sollen und die eine möglichst hohe Qualität der Ratings sicherstellen sollen. Daneben umfasst sie zahlreiche Transparenz- und Darstellungsvorschriften, die es den Verwendern von Ratings ermöglichen sollen, die Grundlagen und Aussagekraft eines Ratings besser zu verstehen. Die verwendeten Ratingmethoden müssen streng, systematisch und beständig sein sowie eine Validierung vorsehen, die auf historischen Erfahrungswerten (insbesondere Rückvergleichen) beruht.

Ein Kernstück der Regulierung ist die 2011 erfolgte Übertragung der alleinigen Aufsichtsverantwortung von den nationalen Aufsichtsbehörden auf die ESMA. Die in Paris ansässige Behörde hat auch die entsprechenden Exekutivkompetenzen. Somit wurde für Europa eine einzige Anlaufstelle für registrierte Ratingagenturen geschaffen, mit europaweit kohärenten Anwendungen der Regeln. Die ESMA verfolgt ein risikobasiertes Analysemodell, das alle wesentlichen Risikofaktoren, wie z.B. das Umfeldrisiko, das Geschäftsmodellrisiko, das operationelle Risiko und das Governance-Risiko beinhaltet. Darauf aufbauend werden für jede Ratingagentur individuell die wesentlichen Risikoindikatoren entwickelt, die die Basis für die Überwachung darstellen.

Die ESMA kann maßgebliche Informationen anfordern, Unterlagen prüfen und Kontrollen vor Ort durchführen. Werden Verstöße festgestellt, kann die ESMA Maßnahmen ergreifen, wobei die Art und Schwere des Verstoßes zu berücksichtigen sind. Diese Maßnahmen können von einem vorübergehenden Verbot von Ratings bis hin zum Entzug der Registrierung reichen. Bei bewussten oder fahrlässigen Verstößen können auch Geldbußen verhängt werden. Die Sanktionen sollen abschrecken, in angemessenem Verhältnis zur Art und Schwere des Vergehens stehen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ratingagentur Rechnung tragen. Die nationalen Aufsichtsbehörden müssen die ESMA bei Ermittlungen unterstützen. Als sehr wichtig bleibt jedoch festzuhalten, dass die ESMA keinen Einfluss auf den Inhalt von Ratings oder die Methoden nehmen darf. Die Kontrolle der Ratingmethoden selbst kann sich somit nur in sehr engen Grenzen bewegen.

In regelmäßigen Abständen veröffentlicht die ESMA eine Liste der registrierten Ratingagenturen, die auf der ESMA-Homepage einsehbar ist. Die Liste vom 10.7.2015 enthält neben den „großen Drei“ (Standard & Poor’s, Moody’s, Fitch) ferner die v.a. in den USA für den Versicherungsbereich bedeutsame Ratingagentur A. M. Best, die auf deutsche Versicherer fokussierte ASSEKURATA sowie eine Anzahl von kleineren und spezialisierten Agenturen, wie z.B. Scope, Creditreform, Euler Hermes und Feri. Insgesamt sind 24 Ratingagenturen gelistet, wobei Tochtergesellschaften nicht extra gezählt wurden. Deutsche Analysehäuser, die sog. Produkt- oder Unternehmensratings erstellen (z.B. Franke und Bornberg, Morgen & Morgen), sind dort nicht aufgeführt. Nach Auffassung insbesondere aus Kreisen der ESMA-gelisteten Ratingagenturen sollte geprüft werden, ob der historisch berechtigte Begriff „Produktrating“ im Interesse der Klarheit von Definitionen und des Verbraucherschutzes angesichts der seit 2009 geltenden Regulierung von Ratingagenturen noch so verwendet werden sollte. Wenn weiterhin von derartigen „Produktratings“ gesprochen wird, könnte dies zum Eindruck führen, dass auch sie von Ratingagenturen erstellt werden. Das ist aber nicht der Fall. Die deutschen Analysehäuser, die (zweifelsohne mit viel Kompetenz) sog. „Produktratings“ oder darüber hinaus eventuell auch sog. Unternehmensratings erstellen, sind in der ESMA-Liste nicht aufgeführt und insofern auch keine lizensierten Ratingagenturen.

Die ESMA verfügt ferner über die Datenplattform CEREP (Central repository of credit rating data reported to ESMA by credit rating agencies), über die wesentliche Daten zu allen veröffentlichten Ratings eingesehen werden können.

6. Haftung

Die Ratingagenturen haben immer betont, dass ihre Ratings bloße Meinungsäußerungen seien. Die Freiheit der Meinungsäußerung erfordert allerdings, dass die Ersteller von Ratings verantwortungsbewusst mit ihrer Aufgabe umgehen. Ratings können als ein öffentliches Gut angesehen werden, und es ist deshalb wichtig, in welchem Umfang Investoren und die Öffentlichkeit gegen Verwerfungen geschützt werden. Festzuhalten ist, dass diese Schutzbestimmungen Investoren aber nicht von der Pflicht entheben, sich selbst ein Bild von der Kreditqualität ihrer Investitionen zu machen.

Nach Auffassung der EU-Kommission sind Ratings allerdings mehr als bloße Meinungsäußerungen. So soll die EU-Verordnung sicherstellen, dass eine Ratingagentur bei einem vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verstoß gegen die Regeln und einem damit verursachten Schaden für einen Anleger oder Emittenten haftbar gemacht werden kann. Es wird erwartet, dass die Ratingagenturen ihre Aktivitäten aufgrund der möglichen Schadenersatzansprüche noch verantwortungsbewusster durchführen.

7. Solvency II und Ratings

Die Nutzung von Kreditratings war kein impliziter Bestandteil des Solvency-I-Regimes, das bis Ende 2015 galt. Jedoch sieht Solvency II, so wie es derzeit für das Standardmodell steht, für zahlreiche Kapitalanforderungen (insbesondere auf der Aktivseite) unmittelbare Bezugnahmen auf die Ergebnisse von externen Ratings vor. Hierfür dürfen sich die Unternehmen auf die Ergebnisse von einem oder mehreren ECAI (External Credit Assessment Institutions, das sind Ratingagenturen, die innerhalb der Europäischen Union als solche zur Bewertung bestimmter Risiken auf Finanzmärkten förmlich anerkannt sind) beziehen. So gibt es für Kapitalanlagen explizite Querverweise auf externe Ratings, die bei gleich vier Risikokategorien einzusetzen sind, um die Kapitalanforderungen zu bestimmen; diese Kategorien sind das Markt-, das Spread-, das Konzentrations- und das Forderungsausfallrisiko.

Allerdings enthält das Solvency-II-Regime auch Anforderungen, denen zufolge die Unternehmen v.a. für größere und komplexere Kapitalanlagen die Abhängigkeit von Ratings vermindern und eigene Analysen durchführen müssen.

8. Zusammenfassung und Ausblick

Ratingagenturen spielen im internationalen Finanzsystem eine wichtige Rolle und können auch nicht leicht durch andere Instrumente ersetzt werden. Umso wichtiger sind hohe Qualitätsstandards, um die Effizienz und Stabilität der Finanzmärkte nicht zu gefährden. Dies ist wiederum umso bedeutsamer, als in den Finanzkrisen Unzulänglichkeiten von Ratings evident wurden und sich die Auffassung durchsetzte, dass die Marktkräfte allein das Funktionieren der Ratingmärkte nicht gewährleisten können.

Da die selbstregulatorischen Regelwerke v.a. aufgrund fehlender Sanktionsmechanismen als unzureichend angesehen wurden, wurden in vielen Ländern aufsichtsrechtliche Regelwerke aufgebaut, in Europa seit 2009.

Die ESMA hat zwar vielfältige, allerdings vorrangig nur eher formalistische Eingriffsmöglichkeiten, denn sie kann bei Ratinginhalten selbst nicht einschreiten. Gleichwohl haben die gegebenen Eingriffsrechte aber möglicherweise indirekte Auswirkungen hin zu mehr mechanistischen Verfahren, da die Ratingagenturen damit ihre Compliance leichter nachweisen können. Ferner übt die ESMA intensive Überwachungsaktivitäten aus. Insgesamt dürfte das Aufsichtsrecht zur Verminderung des Risikos von Interessenkonflikten und über eine Senkung des früher überzogenen Gebrauchs von Ratings auch zu einer Reduzierung der inhärenten systemischen Risiken beitragen.

Weitere Regulierungsmaßnahmen für Ratingagenturen, z.B. die Validierung der Ratingmethoden, die Sicherstellung einer unabhängigen Governance-Funktion oder die Überprüfung der Robustheit der IT-Systeme betreffend, sowie die Analyse der Akquisitionsmethoden inkl. der Angemessenheit der Gebühren sind in Durchführung oder Vorbereitung. Wichtig bleibt festzuhalten, dass die ESMA zunehmend den Fokus darauf zu setzen scheint, den mechanistischen Gebrauch von Ratings zu vermindern, nicht aber den Bezug zu Ratings komplett aus der Regulierung zu eliminieren. Zum 1.7.2016 soll ferner die EU-Kommission einen Bericht zur Lage des Ratingmarkts abgeben und – falls notwendig – weitere Maßnahmen einleiten.

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Autor(en): Prof. Dr. Fred Wagner, Wolfgang Rief

 

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