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Übergang von Ersatzansprüchen

1. Begriff: In der Schadenversicherung der Übergang dem Versicherungsnehmer zustehender Ersatzansprüche gegen Dritte (hauptsächlich Schädiger) auf das Versicherungsunternehmen kraft Gesetzes (§ 86 I VVG). Dabei handelt es sich um eine gesetzliche Ausprägung des Bereicherungsverbots. Zudem soll der schädigende Dritte durch die Versicherung des geschädigten Versicherungsnehmers nicht entlastet werden. Die Regelungen über den Übergang von Ersatzansprüchen gelten nicht in der Personenversicherung, sofern sie als Summenversicherung und nicht als Schadenversicherung betrieben wird.

2 . Voraussetzungen und weitere Merkmale: a) Anspruch gegen einen Dritten: Im Vordergrund stehen Schadensersatzansprüche aus Vertrag und Delikt. Übergangsfähig sind auch Ausgleichsansprüche unter Mitschädigern (§ 426 BGB). Dritter ist grundsätzlich jeder, der nicht Versicherungsnehmer oder – bei der Versicherung für fremde Rechnung – (Mit-)Versicherter desjenigen Versicherungsvertrags ist, der die Leistungspflicht des Versicherungsunternehmens ausgelöst hat. Allerdings ist insoweit zunächst zu prüfen, wessen Interesse durch den Versicherungsvertrag (mit-)versichert ist: das des Versicherungsnehmers oder (nur) des (Dritten) Versicherten oder die beiderseitigen Interessen. In der Kaskoversicherung des Versicherungsnehmers ist der berechtigte Fahrer einbezogen, nicht als Versicherter, sondern durch ausdrücklichen Regressverzicht in den Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB). Für den Mieter hat die Rechtsprechung einen gleichartigen Regressverzicht aus dem Gebäudeversicherungsvertrag des Versicherungsnehmers entwickelt. In den Sachversicherungsverträgen des Unternehmers zugunsten seiner Kunden ist das eigene Haftungsinteresse, also das Sachersatzinteresse des Versicherungsnehmers, mitversichert. Doch ist auch ein Regress des Versicherungsunternehmens gegen den eigenen Versicherungsnehmer möglich, z.B. wenn dieser in der Kfz-Kaskoversicherung seinen Versicherungsschutz wegen Trunkenheit vollständig verloren hat, das Versicherungsunternehmen aber an den mitversicherten Leasing- oder Kreditgeber leisten muss.
b) Zeitpunkt: Leistung des Versicherers an den Versicherungsnehmer, also nicht schon im Zeitpunkt des Versicherungsfalls (anders im Sozialversicherungsrecht, wo der Ersatzanspruch gem. § 116 SGB X grundsätzlich bereits im Zeitpunkt des Versicherungsfalls auf den Sozialversicherungsträger übergeht).
c) Kongruenzgrundsatz: Der Übergang erfasst nur solche Ersatzansprüche des Versicherungsnehmers, die dem gleichen Zweck wie Versicherungsleistungen dienen (sachliche Kongruenz). Auf den Kaskoversicherer gehen daher die Schadensersatzansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Schädiger auf Ersatz der Reparaturkosten (sowie des technischen und merkantilen Minderwerts) über, nicht aber Ansprüche auf Nutzungsausfall oder Ersatz der Mietwagenkosten, wenn diese nicht in die Kaskoversicherungsdeckung einbezogen sind. In der Krankheitskostenversicherung fallen darunter die Ersatzansprüche wegen der Behandlungskosten, nicht dagegen die Schmerzensgeldansprüche. Ansprüche gegen Schädiger auf Ersatz des Verdienstausfalls gehen in der Krankentagegeldversicherung nicht nach § 86 I VVG über, soweit sie als Summenversicherung betrieben wird.

3. Umfang des Rechtsübergangs: a) Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers: Probleme treten auf, wenn weder der Anspruch gegen den Schädiger noch die Versicherungsleistung den (Gesamt-)Schaden des Versicherungsnehmers decken. Der Schadensersatzanspruch kann wegen Mitverschuldens nach § 254 BGB gemindert sein oder die Höchsthaftungssummen der jeweiligen Gefährdungshaftung überschreiten. Unterversicherung oder Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers lassen den Versicherungsanspruch hinter dem Schaden zurückbleiben. Hier gilt innerhalb kongruenter Schadenspositionen das sog. Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers (Differenzgrundsatz): Der Versicherungsnehmer bleibt Gläubiger des Schadensersatzanspruchs gegen den Schädiger insoweit, wie er vom Versicherungsunternehmen nicht entschädigt worden ist. Erst danach kommt das Versicherungsunternehmen zum Zuge.
b) Befriedigungsvorrecht des Versicherungsnehmers (§ 86 I S. 2 VVG): Ersetzt das Versicherungsunternehmen den Schaden nur z.T., wird der Schadensersatzanspruch in zwei selbstständige Forderungsteile aufgespalten. Der beim Versicherungsnehmer verbliebene Forderungsteil hat insoweit den besseren Rang, falls das Vermögen des Schädigers tatsächlich nicht zur Befriedigung beider Forderungsteile ausreicht.

4. Wirkungen des Übergangs: Gesetzlicher Forderungsübergang, auf den die Vorschriften der Abtretung entsprechende Anwendung finden (§ 412 BGB). Die Rechtslage des Schädigers bleibt im Verhältnis zum Versicherungsunternehmen unverändert. Er behält seine Einwendungen, Verjährungsfristen laufen weiter. Leistungen des Schädigers an den Versicherungsnehmer in Unkenntnis des Rechtsübergangs wirken gegenüber dem Versicherungsunternehmen.

5. Sicherung des Übergangs: a) Obliegenheit des Versicherungsnehmers: Das frühere Aufgabeverbot (§ 67 I S. 3 VVG a.F.) wurde durch die Obliegenheit des Versicherungsnehmers ersetzt, seinen Ersatzanspruch zu wahren und darüber hinaus bei dessen Durchsetzung durch das Versicherungsunternehmen soweit erforderlich mitzuwirken (§ 86 II VVG). Dazu sind Angaben des Versicherungsnehmers zur Person des ersatzpflichtigen Dritten und zu den tatsächlichen Voraussetzungen des Ersatzanspruchs notwendig. § 86 II S. 2 VVG übernimmt das allgemeine neue Sanktionskonzept bei Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers – mit Abweichungen. S. 2 enthält ein spezielles Kausalitätserfordernis bei Undurchsetzbarkeit oder Uneinbringlichkeit der Regressforderung. Das Versicherungsunternehmen wird insoweit von der Leistung frei, wie es wegen einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung keinen Ersatz von dem Dritten zu erlangen vermag, bei grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers ist es zur Kürzung berechtigt. Die Beweislast für die Kausalität oder deren Fehlen ist streitig. Überwiegend wird sie wegen des Wortlauts in § 86 II S. 2 1. Hs. VVG und in Fortführung der Beweislastverteilung beim früheren Aufgabeverbot dem Versicherungsunternehmen zugewiesen.
b) Haftungsregelungen zwischen dem Versicherungsnehmer und Dritten: § 86 II VVG kann entsprechend angewendet werden, wenn der Versicherungsnehmer mit Dritten haftungsausschließende oder haftungsmildernde Regelungen vereinbart, die einen Ersatzanspruch nicht entstehen lassen – Ausschluss leichter Fahrlässigkeit – oder höhenmäßig begrenzen. Übliche Haftungsbegrenzungen muss das Versicherungsunternehmen als Folge der Dispositionsfreiheit des Versicherungsnehmers hinnehmen. Eine Verletzung der Interessen des Versicherungsunternehmens liegt erst bei unüblichen Klauseln vor, etwa beim Ausschluss grober Fahrlässigkeit.

6. Kein Regress bei häuslicher Gemeinschaft: Der Regress des Versicherungsunternehmens ist ausgeschlossen, wenn der Schädiger mit dem Versicherungsnehmer in häuslicher Gemeinschaft lebt und den Schaden nicht vorsätzlich verursacht hat (§ 86 III VVG). Der Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers geht im Gegensatz zum früheren Recht (§ 67 II VVG a.F.) über, darf aber nicht geltend gemacht werden: Schutz der Wirtschaftsgemeinschaft und des häuslichen Friedens. Das früher notwendige Kriterium der Familienzugehörigkeit ist entfallen, so dass jetzt auch nichteheliche Lebensgemeinschaften geschützt werden. Eine häusliche Gemeinschaft setzt eine gemeinschaftliche, auf Dauer angelegte Wirtschaftsführung voraus, sie muss im Zeitpunkt des Versicherungsfalls bereits bestehen.

7. Teilungs- und Regressverzichtsabkommen: Rahmenabkommen zwischen Haftpflichtversicherungsunternehmen auf der Schädigerseite und Sachversicherungsunternehmen oder Sozialversicherungsträgern auf der Geschädigtenseite, die die massenhafte Abwicklung von Regressansprüchen vereinfachen und durch Pauschalregelungen die Abwicklungskosten vermindern sollen. Siehe auch Teilungsabkommen.

Autor(en): Prof. Dr. Roland Michael Beckmann, Professor Dr. Helmut Schirmer

 

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