Analyse: Arag-Rückwärts-Schutz ist kluge Akquise-Aktion

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Mit Speck fängt man Mäuse. Nach dieser Devise hat nun die Arag ein eisernes Prinzip über Bord geworfen: Es gibt auch dann noch Schutz, wenn der Schaden bereits passiert ist.

Mit „Verkehrsrechtsschutz Sofort“ zielt der Versicherer damit genau auf die Kunden, die niemals im Leben eine Police abschließen würden – weil sie sich für brave oder supergute Fahrer halten. Das Potenzial ist groß: Laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) haben 60 Prozent aller Haushalte keine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen. Wer aber erst mal eine Police hat, der bleibt möglicherweise lange versichert – hofft die Arag.

Große Chancen für Cross-Selling
„Wir möchten den Kunden durch das positive Leistungserlebnis zu Vertragsbeginn von uns überzeugen und eine vertrauensvolle Basis aufbauen“, sagt Arag-Produktmanager Zouhair Haddou-Temsamani. Eine positiv begonnene Kundenbeziehung, würde große Chancen für Cross-Selling bieten. Noch schüttelt die Konkurrenz deutlich den Kopf. Doch innovativ ist die Aktion auf jeden Fall.

Für die braven oder superguten Fahrer gibt es mit dem Rückwärts-Schutz der ARAG nun eine Chance, wenn sie wider Erwartung doch einen Verkehrsverstoß verursachen. „Das finde ich genial“, bewertet Daniela Mielchen von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV) dieses Angebot. „Ich werde geblitzt oder überfahre eine rote Ampel und kann mit nachträglich noch Kostenschutz kaufen“, freut sich die Fachanwältin auf Hamburg. Der Schutz ist tatsächlich einmalig. Denn bei allen anderen Versicherern in Deutschland gilt, dass es eine Absicherung nur für die Zukunft gibt.

Mitbewerber sind irritiert
Auch die Konkurrenz wundert sich. Denn ein solches Angebot führt dazu, dass nur Autofahrer diese Police kaufen, die gerade in eine Verkehrsstreitigkeit verwickelt sind. Daher wollen weder Allianz, noch Ergo, Örag, Roland oder die Signal-Iduna eine solche Police in ihr Angebot aufnehmen. In der Bewertung sind die Konkurrenten aber zurückhaltend. „Nach unseren ersten Einschätzungen sehen wir das Produkt kritisch – für den Versicherer und den Versicherungsnehmer“, so die Ergo.
Etwas schärfer fällt die Kritik der Örag aus der Gruppe der Öffentlichen Versicherer aus. „Ein Produkt mit Leistungseinschränkungen, wie es bei dieser Neuerung vorliegt, wird im Schadenfall unserer Einschätzung nach sehr häufig zur Verärgerung des Versicherungsnehmers führen“, sagt Örag-Vorstand Andreas Heinsen. „Deshalb gehört eine solche Ausschnittsdeckung nicht zu unserem Angebotsportfolio.“

Gefährliche Fußangeln
Tatsächlich hat nämlich die Arag eine ganze Reihe von Fußangeln eingebaut. So ist „Verkehrsrechtsschutz Sofort“ im Vergleich zu herkömmlichen Police nicht nur fünfmal so teuer, sondern der Vertag muss auch drei Jahre durchgehalten werden. Außerdem gilt die Rückwärtsdeckung nur für die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen nach einem Verkehrsunfall oder einer verkehrsrechtliche Ordnungswidrigkeit. Wer ein Auto hat, zahlt in drei Jahren 687 Euro sowie 150 Euro Selbstbeteiligung, wenn er nicht einen Anwalt aus dem Netzwerk des Versicherers nutzt und die Prämie jährlich überweist. Dafür erhält der Kunde aber nur die Absicherung eines Schadens aus der Vergangenheit.

Gilt lediglich für drei Monate rückwärts
„Der Versicherer will sich natürlich davor schützen, dass ein Kunde kommt, der gleich mehrfach geblitzt wurde“, so Mielchen. Zudem gilt die neue Police lediglich für drei Monate rückwärts und nur dann, wenn der Kunde noch keinen Anwalt beauftragt hat. Damit sind nach Einschätzung der Expertin alle Streitigkeiten nach einem Unfall in der Praxis ausgeschlossen. „Wer nach einem Unfall meint, dass er unschuldig ist oder grundsätzlich sein Recht wahren will, geht sofort zum Anwalt.“ Demgegenüber würde Ärger mit der Versicherung immer erst nach geraumer Zeit deutlich werden. Mielichen: „Dann dürfte die Frist von drei Monaten meist abgelaufen sein.“

Doch das scheinbar großzügige Angebot wird noch weiter eingeschränkt. „Grundsätzlich machen wir bei unserem neuen Produkt eine individuelle Risikoprüfung“, erklärt Arag-Experte Haddou-Temsamani auf Nachfrage. Kunden, die in ein Verfahren mit wenig Erfolgsaussichten oder hohem Streitwert verwickelt sind, würden nicht versichert. Nach dem Online-Antrag werde der Kunde persönlich kontaktiert, um seinen Fall individuell durchzusprechen. Eine solche Vorabkontrolle wird von der Konkurrenz sehr kritisch gesehen. „Der Versicherer kann also entscheiden, ob er das Risiko überhaupt versichert“, sagt Christian Deißner vom Rechtsschutzversicherer Auxilia aus München. Da kommt schnell das Gefühl des Rosinenpickens auf. Tatsächlich bestätigt die ARAG, dass die Aktion als Türöffner für Neukunden dienen soll und auf 5.000 Kunden beschränkt ist.

Oft Geldwechselgeschäft
Nach Einschätzung von Expertin Mielchen liegen die Anwalts- und Gerichtskosten bei Ordnungswidrigkeiten im Schnitt zwischen 500 und 1.000 Euro. Damit dürfte das Arag-Produkt für viele Kunden ein reines Geldwechselgeschäft werden. Der erste Schadenfall „kostet“ aufgrund der dreijährigen Laufzeit und bei monatlicher Zahlung für Haushalte mit mehreren Fahrzeugen bis zu 950 Euro. „Trotzdem werde ich das Produkt empfehlen“, sagt Mielchen. Denn in der Versicherungszeit sei der Kunde ja rundum geschützt. Zudem könnten die Kosten im Laufe eines Verfahren durch Gutachter deutlich in die Höhe schnellen. „Heute verliert man den Führerschein schon mit acht Punkten. Daher rate ich Autofahrer um jeden Punkt zu kämpfen“, so die Fachanwältin.

Wer ganz auf Nummer Sicher gehen will, sollte aber besser zur klassischen Verkehrsrechtsschutzversicherung greifen. „Über den Verkehrsrechtschutz erst nachzudecken, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, ist falsch“, meint Jan Vaterrodt von der Roland Assekuranz aus Köln.

Bildquelle: ©Gina Sanders / fotolia

Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek

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