Autoversicherer fahren in die Verlustzone

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Die Autoversicherung wird 2023 hohe Verluste einfahren. Grund sind mäßige Prämienanpassungen, die die hohen Mehrkosten durch die Inflation nicht ausgleichen. Mit Hinweisen auf die dramatische Lage will sich die Branche nun selbst wieder in Richtung sachgerechter Kalkulation disziplinieren.

Am Ende gab es eine heiße Diskussion mit rund zehn Branchenvertretern auf dem Podium während des Kongresses der 20. Jahrestagung des Business-Forum 21 "Mobilität & Kfz-Versicherung im Fokus". Dabei überboten sich die Teilnehmer damit, die Lage in der Autoversicherung als besonders dramatisch zu schildern. Im schlimmsten Fall dürfte die Schaden-Kosten-Quote für die gesamte Kfz-Versicherung für das laufende Jahr bei 110 Prozent liegen. Im besten Fall wohl immer noch bei 105 Prozent. „Die Autoversicherung wird tiefrot“ fasste Jörg Rheinländer, Vorstand beim größten Kfz-Versicherer Deutschlands, der Huk-Coburg Gruppe, die Lage zusammen.

Die Misere ist hausgemacht. Obwohl schon im Oktober 2022 der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) auf die hohe Ersatzteilinflation von teilweise über acht Prozent hinwies, reagierten die meisten Versicherer nicht. „Es gab sogar Anbieter, die ihre Tarife abgesenkt haben“, stellt Marco Morawetz von der General Reinsurance (Gen Re) in einer Marktanalyse fest. „Zum Jahresbeginn wurden die Prämien in der Kfz-Versicherung im Durchschnitt lediglich um 2,3 Prozent marktweit angepasst“, so Morawetz. Dabei haben die Versicherer, um im Wettbewerb keine Verluste zu erleiden, die Kraftfahrthaftpflichtversicherung (KH) insgesamt nur um zwei Prozent und die Vollkaskoversicherung um drei Prozent erhöht. Die Teilkaskoversicherung blieb sogar unverändert.

Unterjährige Anpassungen reichen nicht

In Fachgesprächen Ende 2022 hatten viele Marktteilnehmer versichert, die Prämien zwischen sieben und neun Prozent zu erhöhen. Das ist in der Praxis aber nicht passiert. „Die zum Jahresbeginn erfolgte Anpassung ist nicht auskömmlich für die Autoversicherung und wird die Inflation nicht ausgleichen“, warnte Morawetz die Branche. Für 2023 rechnet der Kfz-Versicherungsexperte daher in einem „realistischen Szenario“ mit einem Verlust von drei Prozent in der gesamten Autoversicherung. 2022 hatte die Branche noch einen Gewinn von 550 Millionen Euro eingefahren. Im Laufe des Jahres werden die Autoversicherer die Untertarifierung kaum in den Griff bekommen, denn nur rund acht bis neun Millionen Autofahrer wechseln laut dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) jährlich ihr Auto. Bei jedem Wechsel gibt es einen neuen Vertrag, der auch teurer ausfallen kann. Erst mit dem Jahreswechsel, kann dann breit in den Bestand eingegriffen werden.

Tatsächlich müssten die Autoversicherer ihre Preise sogar deutlich über die Inflationsrate anheben. Grund ist, dass die Ersatzteilpreise stärker als der Verbraucherpreisindex gestiegen sind. Die Inflation lag laut dem Statistischen Bundesamt 2022 bei 7,9 Prozent und im März 2023 bei 7,4 Prozent. Durch die Inflation steigt sogar die Schadenhäufigkeit in der Kfz-Versicherung. „Grund ist, dass durch die höheren Reparaturkosten die Selbstbeteiligung in der Kaskoversicherung öfter überschritten wird“, erläuterte, Doris Peter von der HDI Versicherung.

E-Fahrzeuge stark untertarifiert

Noch stärker müssten die Kfz-Versicherer die Prämien für Elektrofahrzeuge in der Kaskoversicherung erhöhen. Hier fährt der Markt derzeit durch eine starke Untertarifierung in der Vollkaskoversicherung ein Minus von über 19 Prozent ein und in der Teilkaskoversicherung ein Minus von über sechs Prozent. Noch sei der Bestand von E-Fahrzeugen mit rund ein Prozent am Gesamtbestand aller Kfz relativ klein. „Er wächst aber stark und damit bekommen die Kfz-Versicherer in der Zukunft ein großes Problem“, warnte Morawetz.

Preis aus dem Focus nehmen

„Nun brauchen wir Prämienerhöhungen auch im Bestand“, forderte Dirk Schmidt-Gallas vom Beratungsunternehmen Simon-Kucher & Partners in einem Videobeitrag. Laut einer Befragung von Simon-Kucher sagen rund 46 Prozent der Bundesbürger, dass sie derzeit mehr sparen müssen. Daher dürften Prämienerhöhungen die Autofahrer schnell dazu treiben, Prämien zu vergleichen und teurere Anbieter zu verlassen. Berater Gallas rät den Assekuranzen daher Rabatte zu streichen und Prämienerhöhungen mit einer Ansprache zu Mehrleistungen zu verbinden, um das Preisthema aus dem Focus zu nehmen. Zudem sollten die Autoversicherer „grüne Premium-Tarife“ anbieten. Damit würde eine hohe zusätzliche Zahlungsbereitschaft der Kunden erreicht werden. In einem Modellprojekt zur Hausratversicherung stellten die Berater fest, dass 28 Prozent der Kunden den ESG-Tarif wählten und so Prämienerhöhungen von durchschnittlich 11 Prozent durchgesetzt werden konnten.

Dafür müssten die Versicherer vielfach ihren Vertrieb neu strukturieren. So hat sich nach einer Analyse der Axa Versicherung der Kfz-Direkt-Kanal zwar im Markt etabliert, aber nur einen Anteil von 19 Prozent erreicht. „Jeder Kfz-Vertriebskanal hat individuelle Stärken. Um diese Potentiale zu heben, müssen Versicherer individuelle Angebote je Vertriebskanal etablieren und keinen „one-size-fits-all-approach“ über alle Kanäle forcieren“, forderte Fabian Schneider, Vorstandschef der Axa Easy Versicherung. Bei einem einheitlichem Markenauftritt profitierten die personellen Vertriebswege sehr stark von Überleitungen aus der Onlinewelt. Schneider: „So haben wir analysiert, dass von 100 Axa-Kfz-Kunden, die ihre Kundenreise bei Axa online starteten, 40 im Agenturkanal ihren Vertrag abschlossen.“

Eine Plattform für alle Autoversicherer

Zudem wollen die Kfz-Versicherer mit viel Service rund um Mobilität das Plattformgeschäft neu organisieren und vor allem das Vergleichsportal Check 24 angreifen. Hierzu haben sie Onpier gegründet. Seit März 2023 ist neben der Huk-Coburg, der LVM, dem HDI auch die WGV Mitstreiter auf der branchenoffenen Plattform. Auf der BF21-Konferenz warben die Vorstände Jörg Rheinländer von der Huk-Coburg und Heinz Gressel von der LVM-Versicherung leidenschaftlich für weitere Teilnehmer an onepier. Vielleicht wirkte aber ein Vortrag von Tobias Schmidt, Industry Manager bei Google Germany, viel stärker auf die verantwortlichen Manager. Schmidt machte sehr plastisch deutlich, was Google allein anhand von Suchverläufen alles über seine Nutzer weiß. Sollte eines Tages ein Digitalriese in die deutsche Kfz-Versicherung einsteigen, könnte der Zulauf zu Onepier wohl sprunghaft zunehmen.

Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek

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