Der Assekuranz fehlt eine Daten-Strategie

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Die Versicherer in Deutschland haben in den vergangenen Jahren Investitionen in Milliardenhöhe für Digitalisierungsprojekte getätigt. Dies lässt vermuten, die gesamte Assekuranzbranche arbeite bereits heute mit modernsten Daten- und Data-Analytics-Strategien. Eine neue Studie von EY deutet jedoch auf eine erhebliche Lücke zwischen diesem digitalen Anspruch und der Praxis in den Versicherungshäusern hin.

Data Analytics ermöglicht, im Gegensatz zur klassischen Datenverarbeitung, einen Erkenntnisgewinn aus einem Vielfachen an Informationen. Von einer entsprechenden Verwertung dieser Daten erhofft sich die Mehrheit (73 Prozent) der befragten Studienteilnehmer Vorteile durch Effizienzsteigerungen, etwa durch Automatisierung. Drei Viertel der Versicherer (74 Prozent) versprechen sich höhere Einnahmen sowie eine Differenzierung und Innovationsführerschaft gegenüber dem Wettbewerb.

Personal und Budget: Erhebliche Unterschiede
Auch wenn das Thema Data Analytics eine hohe öffentliche Präsenz genießt, befindet sich die Umsetzung in der Praxis noch in einem Frühstadium. Lediglich jedes vierte Unternehmen (22 Prozent) verfügt über eine aus der Gesamtstrategie abgeleitete Datenstrategie. 26 Prozent der Versicherungshäuser verfügen über kein Data-Analytics-Budget. 39 Prozent  haben in den vergangenen zwölf Monaten kein Personal im Bereich Data Analytics aufgebaut und planen dies auch in den kommenden zwölf Monaten nicht zu tun.

"Die Versicherungsinstitute sind in der Umsetzung von Data Analytics sehr unterschiedlich weit", erklärt Andrei Todea, Senior Manager bei EY Financial Services und Mitautor der Studie. "Die Schere zwischen den eher passiven Marktteilnehmern und denjenigen, die neben Technologien auch in neue Mitarbeiter und Ausbildung investieren, geht auseinander". Diejenigen Vertreter, die Potenziale aggressiv verfolgen und realisieren, zeichnen sich organisatorisch durch eine ausgeprägte Nähe der Vorstandsetage zum Thema Data Analytics aus.

Konkrete Anwendungsmöglichkeiten gesucht
Die meiste Versicherer suchen noch nach Einsatzmöglichkeiten (Use Cases), bei denen sie Data Analytics einbringen und Mehrwerte erzielen können – etwa in den Bereichen Schadenregulierung, im Vertrieb oder in Marketing und Kundenservice. Der Bedarf nach einer Konkretisierung dieser Anwendungsszenarien (orientiert an der Arbeitsrealität der Assekuranz und entlang der Bedürfnisse der Versicherungsnehmer) wird von jedem zweiten Unternehmen (52 Prozent) als Priorität für das kommende Jahr 2018 genannt.

"Die Einsatzfelder von Data Analytics werden künftig über Prozessoptimierungen deutlich hinausgehen", kommentiert Rainer Dunkerbeck, Partner bei EY Financial Services und Mitautor der Studie. "Data Analytics wird zunehmend auf die Nutzbarmachung vorhandener Daten und die Individualisierung der Kundenansprache und Kundenbetreuung fokussieren". Die Ergebnisse der Studie legen ebenfalls nahe, dass fast ein Viertel der Anbieter (22 Prozent) neue Versicherungsprodukte plant (bisher nur vier Prozent), die auf Data Analytics basieren. "Es ist gut vorstellbar, dass wir künftig zum Beispiel mehr kurzlaufende oder stark individualisierte Policen, etwa im Gesundheitsbereich oder in der Freizeitindustrie, sehen werden", ergänzt Dunkerbeck.

Ausblick: Künftiger Einsatz von Data Analytics
Zwar wurden in zahlreichen Häusern Investitionen in Grundlagen zur Entwicklung und Umsetzung geplanter Projekte getätigt. Den Reifegrad des Datenmanagements und der Einbindung externer Daten (etwa Rating- oder Geodaten) bewerten zahlreiche Studienteilnehmer aber noch kritisch. Neben dem Fehlen geeigneter Spezialisten und datenschutzrechtlicher Vorgaben wurde vor allem die mangelnde Datenqualität als Barriere genannt. 65 Prozent der Versicherungsunternehmen sehen darin eine hohe beziehungsweise die höchste Herausforderung für erfolgreiche Data-Analytics-Einsätze. Dies ist insoweit bemerkenswert, als Aufgaben im Berichtswesen oder bei der Umsetzung regulatorischer Vorgaben, allen voran die Solvency-II-Regelungen, bereits eine angemessene Datenqualität fordern.

Die Ergebnisse der Studien deuten jedoch darauf hin, dass nur jedes dritte Versicherungsunternehmen (30 Prozent) die Qualität ihrer Daten regelmäßig misst. "Bisher wurden vornehmlich Aufbauinvestitionen getätigt. Nun geht es darum, konkrete Ergebnisse und Mehrwerte durch Data Analytics zu erzielen. Welchen Beitrag dieser Umbau hin zu einer Data Analytics-zentrierten Organisation leistet, damit das Geschäftsmodell der Versicherer letztlich Bestand hat, dazu gehen die Meinungen innerhalb der Assekuranzbranche noch auseinander", schließt Todea.

 

Drei Fragen an die Studienautoren

Andrei Todea Rainer Dunkerbeck
Andrei Todea, Senior Manager bei  EY Financial Services Rainer Dunkerbeck, Partner bei EY Financial Services

Versicherungsmagazin: Welche Branchen sind beim Thema Data Analytics weiter als die Assekuranz und könnten als Vorbilder dienen?
Rainer Dunkerbeck: Die Versicherer sollten sich nicht ausschließlich an einer Branche orientieren, sondern eher entlang ihrer Wertschöpfungskette an unterschiedlichen erfolgreichen Vorbildern. Der internetbasierte Einzelhandel am Beispiel Amazon etwa zeigt, wie der Verkauf zusätzlicher oder höherwertiger Produkte und Dienstleistungen (so genanntes Up- und Cross Selling) mithilfe von Data Analytics erfolgreich umgesetzt wird. Im Bereich der Location Based Services – etwa Empfehlungen zu Restaurants - geben die Tourismus- und Freizeitbranche gute Impulse.er Versicherer ist laut Studie noch verbesserungsbedürftig.

Versicherungsmagazin: Mit welchen Maßnahmen könnte die Qualität der Daten erhöht werden?
Andrei Todea: Datenqualität ist unmittelbar mit Datenverantwortung verbunden. Die fortschrittlichen Unternehmen haben Funktionen und Verantwortungen für den Vermögenswert "Daten" definiert, die idealerweise auch an das Top-Management berichten. Die Kosten sollten eigentlich überschaubar sein, da die Maßnahmen auf bestehende Solvency II-Regelungen aufgesetzt werden können. Die größte Herausforderung ist jedoch der Kulturwandel: Daten sind nicht mehr alleinige Sache der IT, sondern werden zu einem unternehmerischen Wert, der gepflegt werden muss.

Versicherungsmagazin: Können Sie ein konkretes Anwendungsbeispiel beschreiben?
Rainer Dunkerbeck: Einige erste Beispiele existieren ja bereits, zum Beispiel Kfz-Tarife, die auf das eigene Fahrverhalten maßgeschneidert sind (so genannte Telematik). Ebenso gibt es Risikolebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen, die einen gesunden Lebensstil - etwa durch die Dokumentation durchgeführter Sportaktivitäten – belohnen. Interessant sind zudem einige neuere Anwendungen, die auf die Erhöhung der Prozesseffizienz abzielen. So kann etwa auf Basis eines per Handy aufgenommenen Fotos eines Kfz-Unfalls automatisiert eine Schadensakte angelegt, der Schaden geprüft und nach Bedarf ein Gutachter eingeschaltet werden.

Autor(en): Versicherungsmagazin.de

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