Der richtige Weg zur Nachhaltigkeit

740px 535px

Das Ziel der Transparenzverordnung, die seit 10. März 2021 eine Offenlegung auf den Homepages unter anderem von Versicherungsunternehmen verlangt, ist ein Beitrag zur Umschichtung von Kapital in nachhaltige Anlagen, die die Ansprüche von ESG erfüllen. Sie müssen also entweder ökologisch nachhaltig oder sozial nachhaltig sein und zudem nur Unternehmen unterstützen, die eine gute Unternehmensführung aufweisen.

Auch Versicherungsvermittler müssen diese Offenlegung leisten, jedenfalls wenn sie Versicherungsanlageprodukte vermitteln und wenn sie nicht weniger als drei Mitarbeitende in ihren Betrieben beschäftigen - sowie, wenn sie eine Homepage haben. Die Offenlegungspflicht ist unabhängig vom Vertriebsweg und vom gewerberechtlichen Status.

Falsches Anlegerleitbild?

In einem Fachbeitrag in der aktuellen Zeitschrift "Versicherungsrecht" (S. 601-606) bezweifeln die Professorinnen Lena Rudkowski, Universität Gießen und Christiane Pott, Universität Dortmund sowie deren Mitarbeiterin Sandra Chrzan, dass die Offenlegung ihre Ziele erreichen wird. Ihrer Ansicht nach liegt der Offenlegungs-Idee ein Anlegerleitbild des Homo oeconomicus zugrunde, das längst widerlegt wurde. Dieser Typ Anleger würde die vielen, offenzulegenden Informationen ohne Weiteres verarbeiten und in seine Anlageentscheidung einbeziehen können. Die Realität ist eine andere.

Hinzu kommt eine implizite Annahme, dass Anleger Nachhaltigkeit in ihre Investitionsentscheidung einbeziehen oder sie sogar als wichtigstes Auswahlkriterium berücksichtigen. Dem stehe jedoch schon allein die Unschärfe des Nachhaltigkeitsbegriffs im Weg. So würden die europarechtlichen Vorgaben wie Transparenz- und Taxonomieverordnung unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Während die Transparenzverordnung Umwelt- und soziale Aspekte in den Vordergrund stellt und die gute Unternehmensführung sozusagen als eine notwendige Grundbedingung, fokussiert sich die Taxonomieverordnung bisher auf einige wenige, ausgewählte Aspekte der Ökologie, insbesondere der Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen.

Anlageentscheidung wird komplexer

Aus Sicht eines Anlegers spielen bei seiner Anlageentscheidung vor allem Kriterien wie Rendite, Risiko und Liquidität eine entscheidende Rolle. Nun solle die Nachhaltigkeit quasi als viertes Kriterium hinzutreten, was die Anlageentscheidung erheblich verkompliziert. Die Autorinnen zitieren einige Forschungsergebnisse, die Zweifel daran wecken, ob Anleger tatsächlich Nachhaltigkeit beispielsweise höher als die Rendite gewichten würden, sofern zwischen diesen beiden Zielen ein Zielkonflikt auftritt.

Allerdings scheint die Europäische Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA hierzu einen pragmatischen Lösungsvorschlag zu verfolgen. In ihrem Entwurf von aufsichtlichen Leitlinien (https://www.versicherungsmagazin.de/rubriken/branche/so-stellt-eiopa-sich-nachhaltigkeitsberatung-vor-3166375.html), deren Konsultation vor gut einer Woche endete, schlagen die Versicherungsaufseher ein zweistufiges Auswahlverfahren vor. Im ersten Schritt soll eine Eignungsprüfung wie bisher ablaufen und damit auf Basis traditioneller Kriterien eine Auswahl geeigneter Versicherungsanlageprodukte erzeugt werden. Erst im zweiten Schritt sollten Versicherer und Versicherungsvermittler dann die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden einbeziehen und eine Feinauswahl von Produkten vornehmen. Das würde jedenfalls das von den Autorinnen aufgezeigte Auswahlproblem deutlich vereinfachen.

Selbst nicht nachhaltige Unternehmen kommen gut an

Gestützt auf eine aktuelle Studie machen die Autorinnen des Beitrags auf ein Paradoxon aufmerksam: Nachhaltigkeitsinformationen führen selbst dann zu einer positiven Bewertung einer Anlage, wenn sie selbst gar nicht positiv sind. Allein die Tatsache, dass ein Unternehmen über sich und seine Nachhaltigkeit berichtet, scheint Anleger bereits für das Unternehmen einzunehmen.

Es werden verschiedene mögliche Gründe diskutiert wie ein mangelndes Interesse der Anleger, mangelnde Aufmerksamkeit oder mangelnde Bewertung der Informationen. Jedenfalls "ziehen diese Erkenntnisse die Effektivität des vom Gesetzgeber verfolgten Regulierungsansatzes in Zweifel".

Zertifizierung als einfache Entscheidungshilfe

Als Gegenvorschläge bringen die Autorinnen zum einen eine Zertifizierung und zum anderen eine Beratungspflicht ins Gespräch. Durch eine Produktkennzeichnung von Versicherungsprodukten könnten Kunden auf einfache Weise über die Nachhaltigkeit informiert und im Sinne einer Umleitung von Anlagen in nachhaltige Zwecke beeinflusst werden.

Das könnte Deutschland jedoch nicht im Alleingang beschließen, es bräuchte eine europäische Grundlage dafür. Damit werde sozusagen die Taxonomie zu Ende gedacht. Ein offizielles Zertifikat wäre kein Grundrechtseingriff, weil die Entscheidung für oder gegen nachhaltige Versicherungen weiterhin dem Kunden obliegt. Versicherer könnten sich zudem gegen den Vorwurf eines Greenwashings schützen.

Allerdings würde das voraussetzen, dass eine europäische Behörde wie die EIOPA die Kompetenz einer Produktbewertung erhält. Das wäre eine schrittweise Rückkehr zur materiellen Versicherungsaufsicht. Die EIOPA selbst hätte dafür wohl Sympathien. So äußerte der frühere Vorsitzende Gabriel Bernardino auf einer Fachtagung, er würde gerne als europäische Versicherungsaufsicht Mindeststandards für Versicherungsprodukte definieren können.

Beratung ist keine Bevormundung

Eine Beratungspflicht könnte ebenfalls helfen. Dabei gibt es diese bereits, und zwar unabhängig von der erweiterten Eignungspflicht ab 2. August 2022. Denn, so machen die Autorinnen aufmerksam, müssen Versicherer beziehungsweise Vermittler auch jetzt schon zur Nachhaltigkeit beraten, wenn der Kunde dies ausdrücklich wünscht.

Eine allgemeine Pflicht zur Beratung über Nachhaltigkeitsaspekte lässt sich aber der gegenwärtigen Vertriebsrichtlinie IDD nicht entnehmen. Offensichtlich halten die Autorinnen eine Pflicht, nur nachhaltige Produkte zu empfehlen oder gar von nicht-nachhaltigen Produkten abzuraten, für nicht zulässig. Grundsatz müsse die freie Willensbildung des Kunden bleiben. Versicherungen sollen keine Vollzugsorgane einer staatlichen Umweltschutzpolitik werden. „Die der Verwirklichung der Privatautonomie dienende Beratung darf nicht vollständig von einem öffentlichen Interesse überlagert werden.“

Dieses Fazit ist wichtig für die erweiterte Eignungsprüfung, die ab 2. August beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten vorgenommen werden muss. Kunden müssen frei sein in ihrer Entscheidung für oder gegen nachhaltige Versicherungen. Aber sie sollten bessere und nachvollziehbare Informationen erhalten, um eine einfache Auswahlentscheidung treffen zu können. Dafür allerdings sollte die Europäische Union ihre Großbaustelle Taxonomie deutlich schneller zu einem soliden Fundament einer nachhaltigen Anlagepolitik werden lassen.

Autor(en): Matthias Beenken

Zum Themenspecial "Nachhaltigkeit"

 

Alle Branche News