Die Assistance muss sich wandeln

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Wie hat sich die Bedeutung der Assistance nach zehn Jahren in der Versicherungswirtschaft entwickelt? Professor Mathias Müller-Reichart (im Bild), Mitherausgeber des "Assistance-Barometers", zieht im Interview Bilanz.

Die Ergebnisse des diesjährigen Assistance-Barometers zeigen, dass die Bedeutung von Assistance-Services in den Augen der Kunden in den vergangenen zehn Jahren rapide abgenommen hat. Gleichzeitig ist der Grad der Serviceerwartung gegenüber Banken und Versicherern jedoch um fast 60 Prozentpunkte gestiegen. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Müller-Reichart: Die Entwicklungskurven der Serviceerwartung allgemein im Vergleich zur institutionenbezogenen Erwartung verlaufen diametral. Für die Bevölkerung stellt ein grundsätzlicher Service mittlerweile eine Selbstverständlichkeit im Konsumprozess dar. Die Zustimmungsquote stieg erst in den Jahren ab 2010 auf Werte um die 85 Prozent.

Dass im Jahr 2017 nur noch 44 Prozent der Bevölkerung Service als wichtig einordnen, zeigt, dass Assistance als Grundnutzen selbstverständlich geworden ist. Vor diesem Hintergrund ist es aber alarmierend, dass 67 Prozent der Befragten bei Banken und 70 Prozent bei Versicherern erhöhte Serviceanstrengungen einfordern. Die Finanzdienstleistung weist in der Servicewahrnehmung der Kunden weiterhin ein eklatantes Defizit auf.

Für Versicherer muss die Assistance also weiter eine hohe Bedeutung haben?
Müller-Reichart: Versicherungsunternehmen haben die Servicedefizitwahrnehmung ihrer Kunden bemerkt und erkennen somit die Bedeutung der Assistance als Element der Kundenzufriedenheit, Serviceoptimierung und Imageverbesserung. Weil Versicherungsunternehmen nur bedingt durch Produktunterschiede, sondern vielmehr durch Prozessdigitalisierung und Serviceunterschiede eine Unique Selling Proposition erlangen können, benötigen sie Assistance-Dienstleistungen, um sich zu inhaltlich zu differenzieren.

Wo sehen Sie nach zehn Jahren, in denen Assistance-Leistungen Teil der Geschäftsmodelle von Versicherern geworden sind, die größten Erfolge und wo bieten sich noch Zukunftsfelder?
Müller-Reichart: Den größten Erfolg sehe ich darin, dass sich die Assistance-Philosophie im Geschäftsmodell der Versicherungswirtschaft etabliert hat. Zu einem Versicherungsprodukt zählt heute neben der Risikodeckung auch die damit einhergehende Risikonachsorge via Assistance-Leistung. Die Dienstleistung wurde somit zum originären Grundnutzenbestandteil eines Versicherungsproduktes. Das bewirkt, dass es als Geschäftsmodellbestandteil seinen innovativen Charme teilweise verloren hat.

Aufgrund unserer gesellschaftlichen Entwicklung sehe ich dennoch große Zukunftspotenziale in der Senioren- und Familien-Assistance. Während die Gesundheits- sowie die sachbezogene Assistance, etwa in den Bereichen Kfz und Reise, bereits bestens etabliert sind, werden aufgrund der Pluralität sowie des Altersaufbaus unserer Gesellschaft in den kommenden Jahren und Jahrzehnten hier vermehrte Unterstützungselemente nötig sein.


Welche Auswirkungen hat die zunehmende Digitalisierung auf die Assistance-Dienstleistungen der Versicherer - haben sich die Servicebedürfnisse der Kunden und die Vertriebswege für Assistance gewandelt, beispielsweise durch Nutzung digitaler Service-Apps?

Müller-Reichart: Für die Bevölkerung zeigen sich die Vorzüge der Digitalisierung in vereinfachten und beschleunigten Prozessen. Insofern hilft Digitalisierung dem Assistance-Gedanken zu einer schnelleren und einfacheren Umsetzung zum Beispiel über Service-Apps, macht ihn aber durch die internetgeführte Direktverbindung zum Problemlöser auch teilweise obsolet. Analog zu Banken gerät die Mittler- und Organisationsfunktion des Assisteurs in Gefahr, da der digitale Prozess keine Intermediäre mehr benötigt. Insofern muss sich Assistance wandeln: von der reinen Organisationsfunktion zu einem kreativen Schöpfer von Problemlösungsalgorithmen.

Unterm Strich: Haben Assistance-Services in den vergangenen Jahren zur Neukundengewinnung und einer Imageverbesserung in der Versicherungsbranche beigetragen?
Müller-Reichart: Wenn 78 Prozent der Versicherungsunternehmen in der Assistance ein Mittel zur Imageverbesserung zu erkennen glauben, sehe ich darin eher ein Wunschdenken. Assistance wird als Bestandteil des Versicherungsproduktes wahrgenommen, womit Assistance nicht zur Neukundengewinnung beiträgt, sondern potenzielle Kundenverluste verhindert. Allein durch Assistance werden Sie kein Versicherungsprodukt verkaufen. Ohne Assistance werden Sie es aber womöglich gar nicht mehr verkaufen können. Assistance-Services wurden im Laufe der vergangenen zehn Jahre zum versicherungstechnischen Grundnutzen. Ihr Fehlen könnte somit das Geschäftsmodell der Versicherungswirtschaft beeinflussen.

Das Interview führte Eva-Susanne Krah.

Lesetipp:
Assistance: Auf dem Weg in die digitale Zukunft
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Autor(en): versicherungsmagazin.de

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