"Die Riester-Rente ist in jeder Hinsicht ein Flop!"

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Umfragen zufolge sah es lange so aus, also ob CDU/CSU und FDP zusammen mit den Grünen oder SPD die kommende Regierung führen. Mittlerweile liegt die SPD vorn. Versicherungsmagazin hat die Parteien zu ihren Plänen für die Assekuranz und Branchenverbände zu ihren Erwartungen befragt. Und wie sehen die Pläne der Linken aus?
Ein Interview mit Matthias W. Birkwald, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Die Linke.

Die gesetzliche Rentenversicherung hat ein Finanzierungsproblem, das sich auch noch massiv ausweiten wird. Dies ist bereits seit längerem bekannt. Wie sehen Ihre Pläne für die gesetzliche Rente aus?
Die Linke setzt sich für die Stärkung der Gesetzlichen Rentenversicherung ein. Die bewusst gerissenen Lücken in den sozialen Sicherungssystemen müssen geschlossen werden, so dass eine lebensstandardsichernde Rente für jede/n erreichbar ist. Mit einem Beitragssatz von etwas über 20 Prozent zur Rentenversicherung ließe sich ein Rentenniveau von 53 Prozent, also in lebensstandardsichernder Höhe, leicht und nachhaltig finanzieren. Zur Zeit liegt der offizielle Beitragssatz bei 18,6 Prozent, davon tragen Arbeitgeber*innen 9,3 Prozentpunkte, Arbeitnehmer*innen 9,3 Prozentpunkte - mit dem Unterschied, dass die abhängig Beschäftigten gehalten sind, mindestens weitere vier Prozent ihres Einkommens in die private Vorsorge zu stecken, ohne Arbeitgeberbeteiligung. Für jene liegt der Satz für die Altersvorsorge also bei mindestens 13,3 Prozent.

Das muss wieder paritätisch aufgeteilt werden. Darüber hinaus gilt nach wie vor: Gute Arbeit und gute Löhne führen zu einer guten Rente - mehr gute, unbefristete und gut bezahlte Arbeit ist ein wesentlicher Baustein.

Die Riester-Rente muss reformiert werden. Was planen Sie für diese Vorsorgeform?
Die Riester-Rente ist in jeder Hinsicht ein Flop - vielleicht außer für diejenigen, die sie verkaufen. Zu teuer, intransparent, unrentabel. Wir wollen die Gesetzliche Rentenversicherung wieder zur tragenden Säule der Alterssicherung machen. Private Vorsorge wird weiterhin möglich sein, ist aber nicht mehr nötig, um den Lebensstandard zu sichern. Die Linke im Bundestag hat deshalb ein Konzept vorlegt, die Förderung der Riester-Rente einzustellen und stattdessen freiwillige Beitragszahlungen in die gesetzliche Rente zu erleichtern. Davon könnten Millionen von Versicherten profitieren, weil ihre gesetzliche Rente stiege.

Meine Gewerkschaft die IG Metall nutzt dieses Instrument bereits tausendfach bei den kleinen Unternehmen. Es gibt seit 2018/2019 immer mehr Tarifverträge für freiwillige Zusatzbeiträge in die gesetzliche Rente im Metallhandwerk, bei Tischlern und im Heizung-Sanitärhandwerk in Hamburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, NRW und noch viele mehr. Da legen die die Arbeitgeber bei ihren Beschäftigten ab dem 50igsten 50 Euro im Monat auf die eigenen freiwilligen Zusatzbeiträge drauf. Das ist unbürokratisch, paritätisch finanziert und steigert die gesetzliche Rente! (Bundestagsdrucksache 19/27317)

Auch bei der bAV muss nachgebessert werden, weil das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) die gewünschten Effekte nicht vollständig erbracht hat. Außerdem wird der Höchstrechnungszins zum Jahreswechsel auf 0,25 Prozent gesenkt, was dann Produkte mit einer 100-prozentigen Beitragsgarantie unmöglich macht. Wie sehen Ihre Vorstellungen für die Betriebsrente aus?
Betriebsrenten als Baustein zu einer besseren Altersvorsorge begrüßen wir sehr. Allerdings müssen zwei Dinge klar sein: Zum einen muss die Gesetzliche Rente durch Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent ausreichen, um den Lebensstandard zu sichern. Zum anderen muss die betriebliche Altersversorgung halten, was sie suggeriert: Der Arbeitgeber darf sich nicht aus der Verantwortung ziehen und muss sich mindestens mit der Hälfte an den Beiträgen beteiligen und die sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung muss abgeschafft werden, weil durch die Entgeltumwandlung die Rentenansprüche der Versicherten sinken und die Rentenanpassung gedämpft wird.

Wir fordern außerdem, die Doppelverbeitragung mit Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen bei betrieblicher Altersvorsorge sofort zu beenden. Klar ist: Betriebsrenten dürfen nicht frei von Sozialabgaben sein. Aber sie sollen in der Ansparphase bezahlt werden und nicht in der Rentenphase. Einer erneuten Absenkung des Höchstrechnungszinses stand die Linke kritisch gegenüber. Zugleich zeigt dies aber auch exemplarisch die mannigfaltigen Probleme einer privaten Altersvorsorge, die sich an den Entwicklungen auf den Kapitalmärkten orientiert. Die Senkung des Höchstrechnungszinses hat Auswirkungen auf Neuverträge, weil nur noch mit einem geringeren Zinseszinseffekt kalkuliert werden kann.

Das heißt, für die gleiche garantierte Leistung, zum Beispiel die gleiche garantierte Rente, muss dann mehr Provision gezahlt werden. Seit einigen Jahren werden bei Riester- und Rürup-Renten die Rentenfaktoren nach dem Höchstrechnungszins bemessen (also auch Altverträge betroffen), der zu dem Zeitpunkt gilt, in dem die Verrentung beginnt. Letztlich wird die Minderung des Höchstrechnungszinses zu klaren Rentenkürzungen bei Riester- und Rürup-Renten führen.

Befürworten Sie eine Bürgerversicherung und warum (nicht)?
Die Linke setzt sich für die Einführung der Erwerbstätigenversicherung bei der Rentenversicherung ein. In Abgrenzung zur Bürgerversicherung werden dabei nur die Erwerbseinkommen in der Rentenversicherung berücksichtigt, weil diese Einkommen im Alter bei Ende der Erwerbstätigkeit wegfallen. Mieten, Zinseinnahmen etc. fließen dagegen weiter und müssen also im Alter nicht ersetzt werden, wie es die Bürgerversicherung vorsieht.

Unser Konzept der Erwerbstätigenversicherung sieht vor, dass tatsächlich alle Erwerbstätigen mit ihrem Erwerbseinkommen versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung sind, also auch Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter, Selbstständige sowie zuerst Bundestagsabgeordnete. Die Beitragsbemessungsgrenze wollen wir deutlich anheben, so dass künftig auch sehr viel höhere Einkommen als heute in die Rentenversicherung einbezogen werden. Aktuell liegt die Grenze bei 84 000 Euro Jahreseinkommen, die Linke peilt eine Grenze von rund 160 000 Euro (das 4,3fache der Bezugsgröße) an. Auf der anderen Seite sollen aber sehr hohe Rentenansprüche, die sich aus den entsprechend höheren Beiträgen ergeben, degressiv abgeflacht werden.

Sind Sie für die Einführung eines Provisionsdeckels beziehungsweise Provisionsverbots im Versicherungsvertrieb und warum (nicht)?
Ein Provisionsdeckel bei Lebensversicherungen (und für Restschuldversicherungen) kann aus LINKER Sicht nur ein erster Schritt sein und muss von weiteren Maßnahmen flankiert werden (im Lebensversicherungsbereich unter anderem Verschärfung der Ausschüttungsbremse, 50- prozentige Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven). Wir setzen uns für eine schrittweise Überwindung des Provisionssystems und eine Stärkung der unabhängigen Honorarberatung sowie eine Stärkung der unabhängigen Beratung durch Verbraucherzentralen ein.

Sind Sie für die Einführung eines Provisionsdeckels beziehungsweise Provisionsverbots im Versicherungsvertrieb und warum (nicht)?
Ein Provisionsdeckel bei Lebensversicherungen und für Restschuldversicherungen kann aus Linker Sicht nur ein erster Schritt sein und muss von weiteren Maßnahmen flankiert werden - im Lebensversicherungsbereich unter anderem Verschärfung der Ausschüttungsbremse, 50- prozentige Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven. Wir setzen sich für eine schrittweise Überwindung des Provisionssystems und eine Stärkung der unabhängigen Honorarberatung sowie eine Stärkung der unabhängigen Beratung durch Verbraucherzentralen ein.

Wie schätzen Sie die Stimmen von Kritikern an der Bürgerversicherung und am Provisionsdeckel beziehungsweise Provisionsverbot ein, dass dadurch Arbeitsplätze in der Versicherungsbranche verloren gehen und weniger Kunden eine Beratung zum Thema Versicherung in Anspruch nehmen, wie das Beispiel Großbritannien gezeigt hat?
Auch in dieser Legislaturperiode haben wir unter anderem im Rahmen von Öffentlichen Anhörungen in Ausschüssen mit vielen Sachverständigen darüber diskutiert, ob zum Beispiel ein Provisionsverbot dazu führen würde, dass immer mehr Berater*innen und Vermittler*innen ihren Job an den Nagel hängen. Insgesamt muss man sagen, dass das Beispiel Großbritannien - oder Niederlande - eher gezeigt hat: Die Qualität der Finanzberatung ist durch das Provisionsverbot gestiegen.

Dabei wurde auch deutlich, dass weder Finanzmarkt noch Vermittlerstrukturen arg gelitten haben. Eine angeblich massenhafte Ausgrenzung finanziell schwacher Verbraucher*innen fand in Anbetracht der Datenlage nicht statt. Anlageberatung wird nicht dadurch teurer, dass sie von Kund*innen direkt bezahlt wird. Stattdessen ist davon auszugehen, dass Honorarmodelle zu einem intensiveren Preiswettbewerb führen, da die Beratungskosten unmittelbar ersichtlich sind.

Das Interview führte Jan F. Wagner, freier Finanzjournalist aus Frankfurt.

Hinweis: Zum Zeitpunkt der Drucklegung der Septemberausgabe des Versicherungsmagazins, für die dieses Interview geführt wurde, lagen CDU/CSU noch in den Umfragen vorn. Das hat sich mittlerweile geändert, nun führt die SPD vor der Union.

Autor(en): Jan F. Wagner

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