"Es besteht große Hoffnung für Wirecard-Aktionäre"

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Auf Wirecard rollt eine Klagewelle zu. Rechtsanwalt Markus Mingers ist einer der Anwälte, die für Anleger in Sammelklagen Schadenersatz erstreiten werden. Worum genau gestritten wird, erläutert er im Gespräch mit Swantje Francke von springerprofessional.de.

Aktuell sammeln sich die Wirecard-Klagen. Besteht für geschädigte Anleger überhaupt Hoffnung auf Entschädigung?
Markus Mingers: Ja, es besteht sogar große Hoffnung für die geschädigten Aktionäre und Inhaber von Wirecard-Anleihen oder Derivaten. Neben den Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand der Wirecard AG gibt es weitere Ansprüche gegen die Vermittler und die damals tätige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young – gegebenenfalls bestehen zudem Ansprüche gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Zudem wichtig: Da eine Verjährungsfrist bis frühestens zum 31. Dezember 2023 nicht droht, sollten Geschädigte vor übereilten eigenständigen Klagen absehen.

Warum vereinen sich Geschädigte zu dieser Sammelklage? 
Aktuell laufen die Vorbereitungen für ein Musterverfahren gegen die Wirecard AG nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) beim Landgericht München I. Der Vorteil: Mit diesem Verfahren können alle zentralen Rechtsfragen in einem Verfahren geklärt werden. Die Ergebnisse werden im Musterentscheid festgehalten und sind bindend für Beklagte und Kläger der Sammelklage. Dadurch entstehen für die Teilnehmer des Musterverfahrens hohe Erfolgschancen bei entsprechend niedrigeren Kosten.

Wie sehen die verschiedenen Entschädigungsoptionen aus?
Geschädigte Anleger können den Kursdifferenzschaden geltend machen. Dabei beläuft sich die Summe auf die Differenz zwischen Einkaufs- und jetzigen Verkaufspreis. Bedeutet: Die Höhe des Schadensersatzes hängt von den relevanten Wertpapiertransaktionen des Mandanten ab. Der Vorteil ist, dass die Beweislast hier bei der Wirecard AG liegt. Am wahrscheinlichsten wird auch ein Kursdifferenzschaden sein. Grundlage für diesen bildet das Wertpapierhandelsgesetz. Für die Höhe des Schadensersatzes beziehungsweise des Kursdifferenzschadens spielt es zudem keine Rolle, ob die Aktie zu einem höheren oder niedrigeren Wert als zum Einstandspreis verkauft wurde oder ob ein Buchschaden entstanden ist. Relevant ist nur, dass die Aktie von dem Mandanten in einem bestimmten Zeitraum – grob 24. Februar 2016 bis 18. Juni 2020 beziehungsweise bis 25. Juni 2020 – gehalten wurde. Dabei ist es irrelevant, ob der Mandant die Aktie gegenwärtig noch hält.

Gibt es eine weitere Option?
Als Alternative könnte auch der Transaktionsschaden eingefordert werden. Dann erhalten Anleger den kompletten Einkaufspreis wieder, den das Wertpapier zum Zeitpunkt des Erwerbs hatte. Allerdings ist dieser Fall ein wenig komplizierter, da hier die Beweislast beim Käufer liegt. Dieser muss beweisen, dass keine Transaktion getätigt worden wäre, wenn die jetzigen Informationen vorhanden gewesen wären.

Gibt es vergleichbare Fälle aus der Vergangenheit?
Solche Bilanzfälschungen und Kursmanipulationen sind in Deutschland beispiellos. Der Sturz der Aktie ist nur vergleichbar mit dem Börsencrash am neuen Markt. Ein ähnliches Szenario gab es meiner Ansicht nach bis jetzt nur beim US-amerikanischen Konzern Enron. Der Energiekonzern galt lange Zeit als eines der innovativsten Unternehmen in den Vereinigten Staaten. Nach einer Konjunkturschwäche versuchte das Management ein Finanzloch in der Bilanz zu vertuschen. Die Folge: 2001 kam es aufgrund vorsätzlicher Bilanzfälschungen zu einem der größten Unternehmensskandale in der Geschichte der US-Wirtschaft. Zu den Beklagten zählten unter anderem die beiden CEOs Kenneth Lay und Jeffrey Skilling sowie CFO Andrew Fastow. 
Wegen ihrer nach dem Skandal dementierten Verbindung zum Enron-Gründer und CEO "Ken" Lay geriet auch die Regierung von George W. Bush in die Kritik. Ähnlich wie im Fall Wirecard haben wir hier die Parallelen hinsichtlich der vorsätzlich angeordneten Bilanzfälschung durch Mitglieder der Vorstandschaft und auch die Verbindung zu einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft –  im Fall Enron: Arthur Andersen LLP – sowie Kontakte zu Institutionen beziehungsweise Personen der Regierung.

Wirecard soll im Rahmen des Insolvenzverfahrens aufgespalten werden. Ist es danach überhaupt noch möglich, einen Topf zu identifizieren, aus dem die Entschädigungen gezahlt werden können?
Die Klage würde sich gegen den Vorstand und den Aufsichtsrat von Wirecard richten. Diese sind durch eine sogenannte Directors-and-Officers-Versicherung (D&O) abgesichert. Da die Pflichtverletzungen evident sind, muss die Versicherung haften. Außerdem haften die Vorstandsmitglieder persönlich für den entstandenen Schaden. Des Weiteren hat die Insolvenz der Wirecard AG nichts mit der finanziellen Situation der anderen Verantwortlichen zu tun.

Das Interview ist ursprünglich auf springerprofessional.de erschienen.

Autor(en): Swantje Franke

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