EU-Fiskalregeln vor dem Umbau

740px 535px

Nach rund 30 Jahren sollen die europäischen Fiskalregeln auf den Prüfstand. Die Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Staatsschuldenquoten haben den Ruf nach Reformen lauter werden lassen. Am 19. Oktober 2021 will die EU-Kommission dazu eine erste Stellungnahme abgeben.

Laut EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sollen bei der Reform der europäischen Fiskalregeln auch wirtschaftspolitische Lehren aus der Corona-Zeit einfließen. Die Vorschriften für Verschuldungsgrenzen sind bis 2023 ausgesetzt, um den EU-Staaten die nötigen Stabilisierungsmaßnahmen in der Pandemie möglich zu machen. Einer Kurzanalyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung zufolge, sollte die Bundesregierung "aktiv dazu beitragen, dass die Regeln künftig einfacher, transparenter und investitionsfreundlicher gestaltet werden".

Höherer Kapitalbedarf für Infrastruktur und Klimaschutz

Die Wissenschaftler monieren in ihrer Studie, dass die Regularien in ihrer gegenwärtigen Form beispielsweise wichtige Vorhaben für Investitionen in Infrastruktur oder Klimaschutz blockieren könnten, selbst wenn diese mit der Schuldenbremse im Grundgesetz vereinbar sind. Die notwendigen Überarbeitungen ließen sich relativ niedrigschwellig ohne Änderungen der EU-Verträge und unter Beibehaltung der sogenannten Maastricht-Regeln für Defizite und Staatsverschuldung umsetzen.

Die IMK-Experten Sebastian Dullien, Andrew Watt, Sebastian Watzka, Christoph Paetz und ihr Co-Autor René Repasi, Europarechtler von der Erasmus-Universität Rotterdam, betonen in ihrer Studie auch die Notwendigkeit einer Transformation hin zu einer digitalisierten, dekarbonisierten Wirtschaft. "Denn die Klimaziele, die unter anderem Deutschland gesetzlich festgeschrieben hat, lassen sich ohne massive öffentliche Investitionen nicht erreichen. Auch hat Deutschland ganz erhebliche Nachholbedarfe bei traditioneller Infrastruktur", heißt es. Hierfür sind laut IMK und dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Mittel in Höhe von mindestens 460 Milliarden Euro für die kommenden zehn Jahre nötig.

Goldene Regel soll Kreditfinanzierung erlauben

Der deutsche Staat könne entsprechenden Kredite "nach wie vor auch für lange Zeiträume zu Niedrigstzinsen" aufnehmen und Simulationsrechnungen zufolge auch positive wirtschaftliche Effekte erzielen. Mit der deutschen Schuldenbremse ließen sich Investitions-Kredite nach Einschätzung von IMK, IW sowie von namhaften Juristen ebenfalls vereinbaren, indem diese Kredite von Investitionsgesellschaften mit eigener Sachaufgabe übernommen werden. Doch die EU-Fiskalregeln in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung könnten einen deutschen Ansatz für Green Deal und bessere öffentliche Infrastruktur ausbremsen. Sie unterscheiden nicht, ob diese Kredite aus dem Kernhaushalt oder über Investitionsgesellschaften finanziert werden. Sie könnten damit "ökonomisch sinnvolle Pläne der neuen Bundesregierung blockieren, obwohl sie weder die Schuldentragfähigkeit Deutschlands gefährden würden noch im Konflikt mit der deutschen Schuldenbremse stehen", so die Studienautoren.

Eine sinnvolle und wichtige Stellschraube unter anderen wäre den Ökonomen zufolge eine Vorrangbehandlung von wachstumsfördernden öffentlichen Investitionen durch Einführung einer "goldenen Regel", die für Investitionen zumindest teilweise eine Kreditfinanzierung erlaubt. Zudem empfehlen die Forscher, in der Finanzpolitik von der bisherigen Betrachtung struktureller Defizite hin zu einer Ausgabenregel umzuschwenken, bei der die nicht-investiven, nicht-zyklischen Ausgaben nur mit einer bestimmten Rate pro Jahr wachsen dürfen, solange sie nicht durch Steuererhöhungen finanziert werden.

Komplexität soll verringert werden

Zugleich fordern sie, "die Komplexität der bisherigen Regeln zu verringern, die Transparenz zu stärken und am Ende auch die Glaubwürdigkeit des EU-Vertragsrahmens zu erhöhen, da die neuen Regeln weniger unerwünschte wirtschaftliche Nebenwirkungen in sich tragen, einfacher von der Kommission durchgesetzt werden können und damit ihre Anwendung auch auf nationaler Ebene leichter zu kommunizieren ist."

Autor(en): Angelika Breinich-Schilly

Alle Branche News