Europa im Brexit-Schock

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Großbritannien hat für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. Die Finanzmärkte und die internationale Wirtschaft stürzt die historische Entscheidung in Turbulenzen. Meinungen, Einschätzungen und Reaktionen zum Brexit-Votum.

Die Finanzwelt reagiert geschockt auf die Entscheidung des britischen Volkes, die Europäische Union (EU) nach 43 Jahren zu verlassen. Die Unsicherheit ist groß, das zeigt sich an den internationalen Börsen, die in Ostasien, Australien und Europa unter Druck stehen. Der Aktienindex Dax gibt zwischenzeitlich um zehn Prozent nach, der größte Kurssturz seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008. Zu den größten Verlieren zählten die Aktien der Deutschen Bank und der Commerzbank.

Börse startete mit Minus
Die Londoner Börse startete laut der Tageszeitung "Die Welt" mit einem deutlichen Minus von 7,5 Prozent, am Börsenplatz Paris waren es knapp acht Prozent. Die Betreiber der Deutschen Börse und der London Stock Exchange (LSE), die derzeit über eine geplante Fusion verhandeln, sehen keine Auswirkungen des Brexit auf das Projekt.

Britische Währung stürzt ab
Nach Bekanntwerden der Entscheidung am frühen Morgen fiel das britische Pfund auf seinen niedrigsten Kurs seit 30 Jahren. Die Ratingagentur Standard & Poors will mit einer Abwertung Großbritanniens reagieren. Das Land könnte damit seinen AAA-Status verlieren.

Große Besorgnis in der Finanzindustrie
Finanzexperten in Deutschland betrachten den Austritt der Briten aus der Eurozone mit Betroffenheit und Sorge. Sie glauben aber in der Mehrzahl, dass sich die Finanzmärkte nach einer ersten Schockphase wieder erholen werden.

Hans-Walter Peters, Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) und Sprecher der persönlich haftenden Gesellschafter der Privatbank Berenberg, kommentiert zum Brexit: "Es ist ein schwarzer Tag für das Vereinigte Königreich." Peters glaubt, dass sich die Lage an den Finanzmärkten nach dem ersten Schock jedoch rasch beruhigen dürfte. Die Notenbanken hätten zudem alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen, um stabilisierend eingreifen zu können.

Klaus Wiener, Chefvolkswirt des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), sieht die deutschen Versicherer nur indirekt über die Turbulenzen auf den Finanzmärkten betroffen. Die Branche verfüge über Kapitalanlagen von insgesamt rund 1,5 Billionen Euro. Das britische Pfund verliere gerade massiv an Wert, genauso wie Aktien der Insel. Diese Effekte spüren man auch in Deutschland. Die Flucht in „sichere Häfen habe die ohnehin schon niedrigen Renditen in Deutschland weiter unter Druck gesetzt. "Auch hier sinken derzeit die Aktienkurse. Ich hoffe allerdings dass der Markt sich wieder stabilisieren wird. Börsennotierte Versicherungskonzerne spüren die Kursschwankungen natürlich auch direkt", so der GDV-Experte.

Die Experten von Allianz Global Investors GmbH erwarten, dass die gegenwärtigen Turbulenzen in den Finanzmärkten zunächst nur kurzfristiger Natur sein werden. Investoren müssten sich jedoch auf wiederholte Schwächeperioden einstellen. Die Analysten fürchten, dass sich der Ausgang des EU-Referendums allgemein negativ auf europäische Asset-Preise auswirke, wenn das Investorenklima weltweit leidee.

Mit Blick auf die Kapitalmärkte merken die Experten bei Vontobel Asset Management an, dass sich die Anleger nach einer zunächst turbulenten Phase wieder auf das internationale Wachstum, die Geldpolitik und die Aussichten bei der Entwicklung der Unternehmensgewinne konzentrieren dürften.

Brexit-Konsequenzen für die Wirtschaft

Der Austritt Großbritanniens wird sich massiv auf verschiedene Bereiche der Wirtschaft auswirken, beispielsweise auf Private-Equity (PE)-Unternehmen. Die Stimmung im Markt sei schon in den vergangenen Monaten gedämpft gewesen. "Manche PE-Investoren haben explizit potenzielle UK-Deals auf Eis gelegt", beobachtet Jan Schinköth, Partner im Bereich Private Equity bei DLA Piper. Er befürchtet, dass sich das Investitionsklima im gesamten Euroraum vorerst weiter abkühlen wird, bis die politischen und ökonomischen Auswirkungen absehbar sind und neues Vertrauen im Markt wächst.

Professor Lüder Gerken, Vorstandsvorsitzender des Centrum für Europäische Politik (Cep), sieht im Brexit-Ergebnis einen Warnschuss für Europa. Die Debatte über die Konstruktionsfehler der Gemeinschaft, etwa die unvollendete Wirtschaftsunion und schwache Rechtsdurchsetzung, habe "überschattet, welche Vorteile vor allem die Briten in der EU genießen und was es sie kosten werde, zum Beispiel auf den gemeinsamen Binnenmarkt zu verzichten."

Auswirkungen auf Fintechs
Simon Black, CEO, PPRO Group, beurteilt die Folgen des britischen Votums für die Fintech-Branche. "Angeführt vom Finanzplatz London ist Großbritannien in den letzten Jahren zu einem globalen Zentrum für Finanztechnologie-Innovationen geworden. Mit geschätzten 500 Fintech-Unternehmen im Land werden dem Staat durch den Brexit in den nächsten zehn Jahren rund fünf Milliarden Britische Pfund an Steuereinnahmen verloren entgehen", sagte er. Grund hierfür sei die Abwanderung der Fintech-Unternehmen.

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Autor(en): Eva-Susanne Krah

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