Geldverdienen ist nicht unanständig

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Die Jahreshauptversammlung des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) stand im Zeichen der Provisionsdeckel-Debatte und der Digitalisierung. Der frühere Bundeswirtschaftsminister Brüderle rief die Zuhörer auf, sich gegen eine Unterwerfung unter einen allmächtigen Staat zu wehren.

Der neue Versicherungsombudsmann Wilhelm Schluckebier lobte die Versicherungsbranche und ihre Vermittler für ihre vergleichsweise sehr niedrigen Beschwerdezahlen. Rund 19.000 Beschwerden im Jahr fallen an, im Verhältnis zur Anzahl der Versicherungsverträge sei das sehr wenig.

Rolle in der Altersvorsorge in Gefahr

Die Zahl der Vermittlerbeschwerden bezifferte Schluckebier auf rund 600. Das ist etwas mehr als das Doppelte der Im Jahresbericht ausgewiesenen 283 Beschwerden. Die Differenz erklärte der Ombudsmann damit, dass manche Beschwerde gegen Vertreter in der Statistik als Versichererbeschwerde geführt wird, weil dort der Ombudsmann verbindliche Entscheidungen zugunsten des Kunden treffen kann. Aber auch diese Gesamtzahl sei "bemerkenswert niedrig".

Gerhard Müller, Präsidiumsmitglied des Gesamtverbands Deutscher Versicherungsunternehmen (GDV), sorgt sich darum, ob die Versicherungswirtschaft künftig "überhaupt noch eine Rolle bei der Altersvorsorge spielt". Seiner Ansicht nach stelle die Politik derzeit reihenweise Dinge in Frage, die bislang als selbstverständlich gegolten hätten. Neben Niedrigzinsen und Regulierung machte er den Nachwuchsmangel als eines der größten Probleme der ganzen Branche aus. Die Nachwuchsgeneration wünsche sich eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehr Menschlichkeit und Sinnorientierung im Umgang miteinander.

Ordnungspolitik aus der Mode gekommen

Bundeswirtschaftsminister a.D. Rainer Brüderle bewies in einer fulminanten Rede, dass er weiter das Geschehen sehr genau beobachtet und selbst in Details politischer Initiativen eingeweiht ist. "Die Soziale Marktwirtschaft ist zu einer Leerformel geworden", beklagte er die derzeit vorherrschende Politik. Die Ordnungspolitik habe keinen Stellenwert mehr in der derzeitigen Bundesregierung. Bezogen auf die Vorschläge des Juso-Sprechers Kühnert nach einer Sozialisierung großer Unternehmen machte er "Arroganz" und "autoritäres Denken" bei Menschen aus, die selbst noch nicht ernsthaft gearbeitet hätten.

Vor allem beklagte Brüderle Geschichtsvergessenheit. Der auch auf ihn anzuwendende Begriff "Neoliberaler" sei zu Unrecht ein Schimpfwort geworden. Denn Neoliberalität sei gerade als Reaktion auf den Totalitarismus des Dritten Reichs entstanden. "Wettbewerb begrenzt Macht", zitierte Brüderle große Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft. Es sei nicht die Aufgabe des Staates, "nationale Champions" zu küren, kritisierte er den heutigen Amtsinhaber im Bundeswirtschaftsministerium.

Freie Bürger sorgen selbst vor

Zum Thema Altersvorsorge wies Brüderle darauf hin, dass vor allem die Mitte der Gesellschaft "gekniffen" sei. Sie würden mit den Niedrigzinsen abgestraft und fänden keine Zukunftsstrukturen vor. "Es hat auch etwas mit Würde in einer freien Gesellschaft zu tun, für sich selbst vorzusorgen", hob er die Rolle der kapitalgedeckten, privaten Vorsorge hervor. "Wir sind nicht Untertan, wir sind Bürger", so sein Credo.

"Geldverdienen ist nichts Unanständiges", unterstrich er seine Ablehnung eines gesetzlichen Provisionsdeckels. Die Ansprüche der Kunden steigen, die Verrechtlichung aller Lebensbereiche und damit die Herausforderungen in der Beratung ebenfalls. Das müsse anständig bezahlt werden können. Dass diese Thesen unter den mehreren hundert anwesenden Versicherungsvermittlern und Vertretern der Unternehmen auf offene Ohren und Zustimmung stieß, überrascht nicht.

Kosten des Provisionsdeckels unterschätzt

In der von Marc Surminski moderierten Podiumsdiskussion kritisierte Martin Gräfer, Vorstand des Versicherers Die Bayerische, eine erhebliche Unterschätzung der Kosten eines Provisionsdeckels. Die vom Bundesfinanzministerium behaupteten Gesamtkosten von 1,6 Millionen Euro für die Versicherungsbranche würden allein in seinem Haus anfallen, hat der neben Vertrieb auch für IT verantwortliche Vorstand ermitteln lassen - und die Bayerische sei ein eher kleiner Mitbewerber.

Dass die Versicherer sehr viel Geld in die Digitalisierung und in neu gegründete Unternehmen investieren, stritten die Diskutanten keineswegs ab. Bei allen Bekenntnissen zum traditionellen Vertrieb, die auf einer solchen Veranstaltung kaum anders zu erwarten waren, machten einzelne Aussagen doch deutlich, welche Motive dabei eine Rolle spielen. So sieht Gräfer künftig einen schwindenden Bedarf an klassischen Versicherungsprodukten und vermehrte Versicherungslösungen in "Ökosystemen", wie er am Beispiel eines in der Veranstaltungsregion ansässigen Heizungsherstellers deutlich machte.

Differenzierte Sicht zum Stellenwert der Beratung

Rolf Wiswesser, Vorstand Allianz, zeigte sich optimistisch, dass "Do it yourself-Kunden" doch irgendwann wieder zur persönlichen Beratung finden. Zudem lieferten Zukäufe von Insurtechs wertvolles Know-how, das anschließend dem traditionellen Vertrieb zur Verfügung gestellt werden könne. Für Franz Bergmüller aus dem Vorstand der Württembergischen ist die Gründung "auf der grünen Wiese" eine Chance, sich aus dem Fluch alter IT-Systeme befreien und erheblich schneller werden zu können. Bernd Dedert, Vorstandssprecher der Mainzer Bausparkasse, sah jedenfalls für sein Haus im Kerngeschäft Finanzierungen die persönliche Beratung als nicht nur nicht gefährdet, sondern als weiterhin notwendigen Erfolgsfaktor an.

BVK-Präsident Michael Heinz ließ keinen Zweifel daran, was er von der gegenwärtigen Stimmungslage in der Politik hält. "Wir lassen uns den Berufsstand nicht von linken Spinnern in Berlin kaputtmachen." Immerhin sei derzeit nicht zu erwarten, dass die Beratungen über einen Provisionsdeckel vor März 2020 weitergingen. Aber die Vermittler müssten weiter für ihre Interessen kämpfen und dafür notfalls auch erneut auf die Straße gehen.

Autor(en): Matthias Beenken

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