Gruppenversicherung und Vermittlerrecht

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Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs können die Versicherungsnehmer von Gruppenversicherungen als Versicherungsvermittler gelten. Welche Konsequenzen das für die Betroffenen hat.

Der Europäische Gerichtshof (EUGH) hat mit seinem Urteil vom 29. September 2022 (Rechtssache C-633/20) die sogenannte Gruppenspitze eines Gruppenversicherungsvertrags unter bestimmten Voraussetzungen als Versicherungsvermittler im Sinne der Europäischen Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD eingestuft, schreibt Corvin Kosler, Justitiar des Bundesverbands Deutscher Versicherungsmakler e.V. in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Versicherungspraxis.

Freiwilliger Beitritt gegen Vergütung

Voraussetzungen sind danach, dass der Beitritt zur Gruppenversicherung freiwillig erfolgt und gegen eine Vergütung, durch die der Beitretende Kunde Anspruch auf Versicherungsleistungen erhält. Die typische Konstruktion eines sogenannten echten Gruppenversicherungsvertrags ist nach Kosler die, dass ein Versicherungsnehmer mit einem einzigen, einheitlichen Versicherungsvertrag vorliegt, in den man dann als versicherte Person aufgenommen werden kann.
Alles andere wären Rahmenverträge, innerhalb derer individuelle Versicherungsverträge geschlossen werden.

Das EUGH-Urteil widerspricht der bisherigen Praxis, nach der solche Versicherungsnehmer nicht als Versicherungsvermittler angesehen und ins Vermittlerregister eingetragen werden. Ganz neu ist das Thema allerdings nicht: Der Bund der Versicherten musste vor etlichen Jahren eine Vermittlererlaubnis für die Vermittlung von Versicherungen einholen, die Mitgliedern des Vereins im Wege von Gruppenverträgen angeboten werden (Versicherungsjournal vom 14. August 2009). Später erweiterte der Verein die vermittlerrechtliche Stellung sogar auf eine zweite, abweichende Erlaubnis für seine Tochtergesellschaften (Versicherungsmagazin vom 8. Februar 2017), durch die er wahlweise als Vertreter oder als Versicherungsberater tätig werden kann.

Sonderregelung für Restschuld-Gruppenversicherungen

Bislang haben in Deutschland Gruppenspitzen in der Regel keine Informations- und Beratungspflichten gegenüber den Mitgliedern, mit einer Ausnahme: Bei Restschuldversicherungen wurden solche Pflichten 2018 mit dem neuen § 7d VVG eingeführt, erinnert Kosler.

Ausgangsfall der EUGH-Entscheidung war ein Verfahren, bei dem es um das Unternehmen TC Medical Air Ambulance Agency ging. Dieses hatte per Haustürwerbung Verbraucher umworben, in einen Gruppenversicherungsvertrag für den Fall von Erkrankungen und Unfälle im Ausland und die entsprechenden Rückholkosten einzutreten. Der Verbraucherzentrale Bundesverband hatte das Unternehmen verklagt, weil es keine Vermittlererlaubnis aufwies. Wie Kosler weiter darlegt, landete der Fall vor dem Bundesgerichtshof, der ein Vorabentscheidungsersuchen an den EUGH sendete.

Der EUGH ist der Meinung, dass in dem geschilderten Fall eine Versicherungsvermittlung im Sinne der IDD stattgefunden hat. Zwar handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, aber sie dürfte grundsätzliche Bedeutung haben.

Die Folgen für die Versicherer

Die Entscheidung des EUGH hat Konsequenzen nicht nur für die Gruppenspitzen, sondern auch für die Versicherungsunternehmen. Denn die dürfen nach § 48 VAG nur mit solchen Versicherungsvermittlern zusammenarbeiten, die entweder eine Gewerbeerlaubnis nachweisen oder von ihnen unter Einhaltung der üblichen Voraussetzungen ins Vermittlerregister eingetragen worden sind.

Das hat nicht nur positive Folgen, so Kosler. Es sei zwar „begrüßenswert“, wenn Gruppenversicherungsmodelle vom Markt verschwinden, die nur zur Umgehung von Vermittlerpflichten eingerichtet wurden. „Vielfach sind allerdings Gruppenversicherungslösungen der Wirtschaft, die auf eine unkomplizierte Geschäftsabwicklung ausgerichtet waren, betroffen“, so Kosler.

Fürsorge als Abschlussmotiv

Cäsar Czeremuga und Christian Drave, Rechtsanwälte bei der Kanzlei Norden, ergänzen im selben Heft der Zeitschrift Versicherungspraxis, dass Gruppenversicherungen auch „eine wichtige soziale Rolle“ einnehmen. Denn sie werden von Arbeitgebern „aus betrieblicher Fürsorge“ für ihre Beschäftigten eingesetzt. Und manche Versicherungen seien überhaupt nur als Gruppenversicherung rentabel anzubieten.

Als Lösungsmöglichkeit zeigen die Anwälte auf, dass der Versicherer die Gruppenspitze als gebundenen, erlaubnisfreien Vertreter ins Vermittlerregister einträgt. Das funktioniere jedoch nur, wenn die Gruppenspitze ausschließlich für diesen Versicherer vertreibt, und wenn der Versicherer mit dieser Eintragung einverstanden ist, mit der immerhin eine uneingeschränkte Haftungsübernahme verbunden ist.

Ansonsten komme auch ein Rückzug von Versicherern aus solchen Gruppenverträgen in Frage. Beobachtet werden müsse, wie sich die Aufsicht dazu stellt, und ob der Gesetzgeber Klarstellungen vornehmen wird. „Doch schlichtes Abwarten birgt Risiken“, warnen Czeremuga und Drave.

Gesetzgeber kannte den Regelungsbedarf, löste ihn aber nicht

Dass es Klarstellungsbedarf jedenfalls in Bezug auf betriebliche Versorgungsmodelle mit Gruppenversicherung gibt, ist übrigens keineswegs neu. Schon in der Umsetzung der EU-Versicherungsvermittlerrichtlinie tauchte die Frage auf, ob und welche Informations- und Beratungspflichten Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern bei solchen Verträgen hätten.

Bei einer Veranstaltung der Münsterischen Forschungsstelle für Versicherungswesen der Universität Münster im Februar 2005 räumte der damals Verantwortliche des Bundeswirtschaftsministeriums ein, dass diese Fallkonstellation im damaligen Entwurf des Umsetzungsgesetzes übersehen worden war, sagte aber eine Prüfung zu (Versicherungsjournal vom 23. Februar 2005). Ein Ergebnis dieser Prüfung ist nicht bekannt geworden. Auch bei der Umsetzung der IDD wurde hierzu abgesehen von der erwähnten Regelung für die Restschuldversicherung in Gruppenvertragsform keine gesetzgeberische Aktivität entwickelt.

Autor(en): Matthias Beenken

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