Handelsblatt Jahrestagung: Transparenz - jeder spricht darüber, doch keiner will sie haben

Wir tun so, als ob es kein Verlustrisiko in der Altersvorsorge gäbe. Doch wenn in den AV-Verträgen kein Hinweis auf ein derartiges Risiko existiert, wird dies in zehn Jahren für unsere Branche zur Falle und wir werden mit Klagen zu kämpfen haben", so die nüchterne Prognose von Dr. Rolf Wiswesser, Noch-Vorstandsmitglied der AWD-Deutschland auf der 5. Handelsblatt Jahrestagung "Strategiemeeting Lebensversicherungswirtschaft" in Köln.

Sicher sei es schwierig, solide Prognosen für die Altersvorsorge abzugeben. Und vor allem für den Berater sei es problematisch, eine realistische Renditeprognose zu liefern und das Risiko darzustellen. Dabei sei es sicher legitim, bei Prognosen zur möglichen Renditen, mit Normierungen zu arbeiten, doch diese Vorhersagen müssten auf jeden Fall realistisch und volkswirtschaftlich sinnvoll sein. Augenblicklich erhalte der Kunde nur Aussagen zu nominalen Werten und nicht zu realen.
Aber dieser müsse Antworten geliefert bekommen auf Fragen wie: Was ist der reale Substanzwert meines Vertrages? Welchen Einfluss hat die Inflation auf meine Versicherung, welchen Schwankungen unterliegt diese und wie gestaltet sich die Wertentwicklung während der Vertragslaufzeit? Mit anderen Worten: Der Kunde brauche ein klares Chance-Risiko-Profil seines Vertrages. "Nicht die Kostentransparenz ist das Problem, sondern der Stress in der Produktperformance ist die Ursache, warum Verträge künftig nicht mehr durchgehalten werden", ist sich Wiswesser sicher.

Keine Bereitschaft, sich der Offensive für mehr Offenheit zu stellen
Doch auch wenn der künftige Ergo-Mann in diesem Kontext die Kostentransparenz nicht als ausschlaggebenden Faktor erachtet, zeigt er sich bei der Handelsblatt-Konferenz doch als Verfechter des viel beschworenen Schlagwortes in der Branche und wählte deutliche Worte: "Wir müssen beim Thema Transparenz weitaus deutlicher werden. Bislang sind die Versicherer nicht bereit, sich der Transparenz-Offensive zu stellen, vielmehr zerschießen wir hier jedes Fundament und richten nur einen Hilfeschrei an die Politik, die Probleme zu lösen." Der AWD-Chef ging noch einen Schritt weiter und monierte die inaktive bis destruktive Haltung der Versicherungsbranche: "Wir unterwandern nur die diesbezüglichen Bestrebungen der Politik. Wir sollten hier aber künftig in Vorlage gehen. Und besonders Versicherungsvorstände sollten aus wohlverstandenem Eigeninteresse auf Transparenz setzen, denn die Öffentlichkeit stellt heute weitaus andere Anforderungen an den Vertrieb als früher".

Mehr Risikoklassen sollen Transparenz noch erhöhen
Wie Transparenz in der Branche besser gelebt werden und eine bedarfsgerechte Altersvorsorgeberatung aussehen könnte, machte er - natürlich - am Beispiel seines Hauses deutlich. Seit 2009 liefert der AWD seinen Kunden eine eigene Risikoermittlung für die Altersvorsorge, bei der der Kunde über möglichen Risiken aufgeklärt wird und ihm klar signalisiert werde, dass mehr Rendite auch mehr Risiko bedeute. Bislang sind die Produkte des Strukturvertriebes in vier Risikoklassen unterteilt, das soll sich ab 2012 ändern, dann weitet das Unternehmen die Risikoklassen auf fünf aus. Als Vorbild dient dem AWD das Volatium-Modell. - Die Brancheninitiative "Volatium" des Analysehauses Morgen & Morgen vergleicht und zertifiziert seit Beginn diesen Jahres nach einer einheitlichen, umfassenden Methode Altersvorsorgeprodukte. Dabei sollen klassische und moderne Produkte vergleichbar werden. Die Analyse soll auf Basis des einzelnen Anbietertarifes erfolgen. Dabei ist geplant, mit rund 10.000 Berechnungen zu simulieren, wie sich die einzelnen Tarife in unterschiedlichen Marktszenarien "echt" entwickeln.

Für Vermittler und Kunde unterschiedliche Formen der Transparenz
Warum die vollmundig beschworenen Transparenz notwendig ist, wer sie wie braucht und warum sie bislang eher auf dem Papier steht und noch zu selten im Beratungsalltag gelebt wird, war auch Thema einer Diskussionsrunde auf dem Strategiemeeting in Köln. Die Begründungen für mangelnde Transparenz muteten manchmal etwas hilflos oder gezwungen an. Stephan Schinnenburg, Geschäftsführer von Morgen & Morgen, glaubt, dass die Transparenz für Vermittler und Kunde jeweils eine andere sein muss, wobei für Letzteren nicht so wichtig sei, wie der Prozess hinter dem Produkt aussieht. Außerdem schätzt er, dass viele Versicherer die Haltung einnähmen: "Transparenz im Allgemeinen gern ja, aber bitte nicht bei mir". Problematisch sei auch, dass der GDV augenblicklich nicht in der Lage sei, hier die Versicherer zusammenzubringen. Und Roland Weber, Vorstandsmitglied bei den Debeka Versicherungen, mutmaßt: „Es wäre schön, wenn die Branche transparenter würde, bislang ist dies nicht der Fall. Vielleicht liegt es auch daran, dass es zu viele Lebensversicherer und zu viele Krankenversicherer gibt“.

Treiber sind die Vertriebe
Doch der Druck Transparenz endlich zu leben, kommt verstärkt aus den Vertrieben. Das unterstreicht auch Dr. Wiswesser: „Treiber beim Thema Transparenz sind die Vertriebe. Da das Haftungsrecht ausgeweitet wurde, sind sie diejenigen, die diese Informationen - für ihre Kunden - dringend brauchen“.
Wiswesser müsste bei seinem neuen Arbeitgeber, der Ergo, mit seinem Plädoyer für mehr Offenheit offene Türen einrennen, denn der Versicherer aus Düsseldorf ist ein Verfechter der Transparenz-Offensive und hat sich auf die Fahnen geschrieben, seinen Kunden "Klartext statt Klauseln" zu liefern.

Mehr Informationen zu der 5. Handelsblatt Jahrestagung finden Sie in der Oktober-Ausgabe von Versicherungsmagazin.

Bild: © Christoph Ruhland /

Autor(en): Meris Neininger

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