IDD-Umsetzung wird verschoben

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Der Bundestagswahlkampf ist voll entbrannt. Das hat nun auch Auswirkungen auf ein wichtiges Gesetzesvorhaben.

"Ich sage ausdrücklich: Auch wir haben Fehler gemacht!", so Kanzlerkandidat Martin Schulz von der SPD. Und weiter: "Fehler zu machen ist nicht ehrenrührig. Wichtig ist: Wenn Fehler erkannt werden, müssen sie korrigiert werden." Dieses berühmte Zitat aus einer Rede vor Arbeitnehmern hat der Kanzlerkandidat nun auf einer Veranstaltung vor Betriebsräten der Versicherungswirtschaft wortwörtlich wiederholt.

Kein Eilverfahren mehr zum Ende der Legislaturperiode

Allerdings bezog sich das diesmal nicht etwa auf die Agenda 2010, sondern auf die Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) in Deutschland. Was Schulz dem staunenden Publikum darlegte ist, dass die SPD aus dem Konsens der Großen Koalition aussteigt, das gerade erst im Januar von der Bundesregierung vorgelegte Umsetzungsgesetz im Eilverfahren noch in der ablaufenden Legislaturperiode zu verabschieden.

Allerdings scheint die SPD dabei weniger Treiber als Getriebener zu sein. Als tatsächlicher Versicherungsvertreiber hat sich stattdessen Horst Seehofer erwiesen. Der CSU-Vorsitzende hatte schon vor wenigen Wochen auf einer parteiinternen Sitzung gegen das Mantra "alternativlos" seiner Kanzlerin gewettert. Stein des Anstoßes: Das Umsetzungsgesetz sieht keine Bereichsausnahmen für bayerische Versicherungsvertreiber vor. Seehofers Argument: Da diese teilweise sogar werblich Versicherungen nur nach dem Reinheitsgebot vertreiben, sei eine schärfere Regulierung völlig unnötig.

Was Kunden für ihr bestmögliches Interesse halten
Selbst in den Reihen der CDU brodelt es. Auslöser ist eine Marktforschungsstudie, die im Auftrag der Versicherungsaufsicht herausfinden sollte, was die Kunden von ihren Versicherungsvertreibern erwarten. Hintergrund: Die Europäische Versicherungsaufsicht musste Anfang Februar Technische Ratschläge nach Brüssel zur Ausgestaltung einiger arg unbestimmter Begriffe in der Richtlinie geben. Dazu wollte die deutsche Aufsicht Vorarbeit leisten und den Begriff "bestmögliches Interesse" des Kunden konkretisieren, das Versicherungsvertreiber ihren Handlungen zugrunde zu legen haben.

Das Ergebnis der Studie sollte eigentlich nicht veröffentlicht werden, nun ist es aber doch über Wikileaks bekannt geworden: 95 Prozent der bevölkerungsrepräsentativ befragten Haushalte antworteten auf die Frage, was sie denn für ihr "bestmögliches Interesse" in Zusammenhang mit Versicherungen halten, dass sie schlicht damit in Ruhe gelassen werden wollen.

Vertreibung irreführender Titel?

Selbst verzweifelte Nachfragen des beauftragten Callcenters, ob man sich nicht über erweiterte Erstinformationen mit Angabe der Vergütungsart des Vermittlers, umfassende Nachfragen zum Einkommen und zur Anlageerfahrung oder Warnhinweisen bei ungeeigneten Versicherungsanlageprodukten freuen würde, brachte keine signifikante Änderung im Antwortverhalten.
"Möglicherweise haben wir den Kundenbedarf komplett falsch eingeschätzt", kommentierte dies ein mit der Sache vertrauter Fachbeamter in Berlin, der namentlich ungenannt bleiben möchte. "Sie wollen gar nicht vertrieben werden. Das gibt uns schon allein angesichts des Titels der Richtlinie zu denken."

Stresstest für Produktentwickler

Ein weiteres Problem offenbarte sich bei der 31. QIS-Studie (Quantitative Impact Study), die von der Versicherungsaufsicht jüngst durchgeführt wurde. Anders als bisher lag der Fokus diesmal nicht auf der Solvabilität, sondern einem Stresstest der Produktentwickler in Versicherungsunternehmen. Diese wurden dem Stress eines simulierten Produktgenehmigungsprozesses ausgesetzt, wie er ebenfalls durch die IDD eingeführt werden soll.

Auch wenn die Aufsicht traditionell keine Einzelergebnisse veröffentlicht, so wurde doch bekannt, dass es in Einzelfällen zu bedenklichen Stresserscheinungen gekommen ist. So soll ein Versicherungsunternehmen beim simulierten Versuch, den Zielmarkt für ein neues Unfallversicherungsprodukt festzulegen, diesen mit "alle, die nicht bei drei auf den Bäumen sind", beschrieben haben. Jetzt störte allerdings die Aufsicht weniger die Tatsache, dass diese Zielgruppe recht weit gefasst war. Vielmehr kritisierte sie, dass nicht präzise genug definiert wurde, auf welche Bäume und bis zu welcher Höhe genau die potenziellen Kunden geflüchtet sein müssen, um nicht zum Zielmarkt zu gehören.

Problematische Definitionen des Zielmarktes
Ein anderer Fall stellte sich aber auf Nachfragen als Flur-Scherz der Aufsichtsbehörde heraus. So soll ein Kölner Versicherungsunternehmen bei der Beschreibung des Zielmarktes für sein neues Kfz-Versicherungsprodukt "alle Kölner" und als "einschlägige Risiken für diesen Zielmarkt" gemäß Richtlinienvorgabe "Fahrten nach Düsseldorf" formuliert haben.

Diese Geschichte ist schon allein deshalb unglaubwürdig, weil solche Fahrten gar nicht erst unternommen werden. Auch der umgekehrte Fall eines Düsseldorfer Versicherers, "alle Kölner" pauschal aus dem Zielmarkt auszugrenzen, dürfte nur ein böses Gerücht sein. Denn dies würde einen gravierenden Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz darstellen, das eine Ungleichbehandlung nach der ethnischen Herkunft der Menschen verbietet.

Da schwankt nichts mehr
In einem ganz anderen Punkt hat sich die Richtlinie IDD als obsolet erwiesen. Wobei derzeit noch über die Bedeutung des Wortes "obsolet" gestritten wird, seit es der amerikanische Präsident für die NATO verwendet hat und damit sagen wollte, dass sie überflüssig ist, und dass er ganz treu zu ihr steht. Zumindest vermuten Beobachter dies zwischen den wenigen Zeilen der Tweets des Präsidenten herausgelesen zu haben.

In der IDD sollen Versicherungsanlageprodukte besonders scharf reglementiert werden. Definitorisch handelt es sich dabei um Produkte mit Sparprozess, deren Ergebnis direkt oder indirekt von Schwankungen der Kapitalmärkte abhängt. Was den Brüsseler Autoren der Richtlinie wohl entgangen war ist die Tatsache, dass die Zinsen von der Europäischen Zentralbank inzwischen abgeschafft und Schwankungen damit ausgeschlossen sind. Eine Kölner Mathematikprofessorin half den Europa-Beamten aktuell auf die Sprünge und erläuterte ihnen die Formel, "dreimal Null ist Null ist Null".

Alle Erlaubnisse parallel möglich
Eine positive Seite hat aber die geplante Verschiebung der Richtlinien-Umsetzung. Vorerst können Versicherungsvermittler weiterhin sämtliche bei der IHK gehandelten Erlaubnisse gleichzeitig käuflich erwerben: Versicherungsvertreter, Versicherungsmakler, Versicherungsberater. Hierfür hat eine Verbraucherschutzorganisation im hohen Norden den Weg frei gemacht.

Einzige Bedingung: Sämtliche Teilzeitbeschäftigten im Vermittlerbüro müssen sich bereit erklären, bei Bedarf als Geschäftsführer/-in einer formal einzurichtenden Tochterfirma aufzutreten, damit diese jeweils eine der verschiedenartigen Erlaubnisse erhalten kann. Noch geklärt werden muss, ob diese Multivermittlungsberater auch automatisch Mitglied im Verbraucherzentrale Bundesverband werden können.

Schlusshinweis
Ein abschließender Hinweis für alle diejenigen, die am Rosenmontag nichts Besseres zu tun wissen als zu arbeiten: Diese postfaktische Meldung gehört in die Kategorie Fake News. Oder wie der amerikanische Präsident es präziser benennen würde: Very Fake News. Allen Leserinnen und Lesern ein dreifach närrisches "IDD Alaaf" oder ""DD Helau"!

Bild: © Senoldo /Fotolia.com

Autor(en): Matthias Beenken

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