In guten wie in schlechten Zeiten?

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"Wir sind..." "Wir machen..."  "Wir wollen..." Solche Sätze prägen die firmeninternen Kommunikationsmedien fast aller Unternehmen - angefangen von deren Führungsleitlinien bis hin zu deren Mitarbeiterzeitschriften. Und auch ihre Führungskräfte appellieren im Gespräch mit den Mitarbeitern oft an das kollektive WIR – gerade so als hätten die Inhaber beziehungsweise Kapitalgeber der Unternehmen sowie deren Führungskräfte und Mitarbeiter identische Interessen und säßen alle im selben Boot.

Doch dann brechen zum Beispiel - wie aktuell nicht selten im Gefolge der Covid 19-Pandemie - die Umsätze weg oder die Erträge sinken. Und die Unternehmensleitung muss einen Teil der Belegschaft in Kurzarbeit schicken und Sozialleistungen streichen. Oder mittelfristig muss sich das Unternehmen aufgrund nötiger Umstrukturierungen und Sparmaßnamen sogar von Mitarbeitern trennen. In solchen Situationen entpuppt sich das kollektive WIR meist schnell als ideologische Seifenblase, die platzt, wenn die Sonne mal nicht mehr scheint.

Unternehmen sind Zweckgemeinschaften

Denn spätestens dann wird jedem klar: Unternehmen sind keine Großfamilien, in denen alle gemeinsam durch dick und dünn gehen. Unternehmen sind Zweckgemeinschaften - also soziale Gebilde, in denen sich Personen mit unterschiedlichen Interessen zeitweise zusammenschließen, um wechselseitig voneinander zu profitieren. Und wenn ein oder mehrere Beteiligte aus der Zusammenarbeit keinen Nutzen mehr ziehen oder sich neue Ziele setzen? Dann trennen sich die Wege meist wieder. Das klingt hart, entspricht jedoch meist der betrieblichen Realität.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Welchen Nutzen haben Unternehmen davon, sich in den Mitarbeitergesprächen und -publikationen so zu präsentieren, als seien sie soziale Einrichtungen? Keinen! Denn hierdurch werden nur die Interessengegensätze verschleiert, die zwischen den Stakeholdern bestehen. Also werden sie in den Mitarbeitergesprächen auch nicht erörtert. Und folglich werden auch keine tragfähigen Kompromisse ausgehandelt, wie die Interessen aller Beteiligten angemessen berücksichtigt werden.

Bei einer steifen Brise bricht der Sozialkitt weg

In Boom-Zeiten ist das kein Problem. Denn dann ist genug zum Verteilen da. Anders ist dies in wirtschaftlich schwierigen Perioden. Oder wenn ein Unternehmen aufgrund von Marktveränderungen vor harten Einschnitten steht. Dann zeigt sich: Die Führung jedes Unternehmens unterliegt auch Sachzwängen, denen sie sich nicht entziehen kann - so auch in der aktuellen Situation aufgrund der Marktverwerfungen, die coronabedingt in vielen Branchen entstanden sind.

Für die meisten Mitarbeiter ist diese Erkenntnis nicht neu. Schließlich sind sie weder naiv, noch dumm. Sie erachten den Appell an das kollektive WIR ohnehin als Führungsrhetorik und die glatt gebürsteten (Führungs-)Leitlinien sowie Mitarbeiterpostillen entlocken ihnen nur ein müdes Gähnen. Denn sie wissen: Was im Unternehmensalltag letztlich zählt, ist Leistung und das, was unter dem Strich hängen bleibt.

Für manche Mitarbeiter - speziell junge, die vom New deal im digitalen Zeitalter träumen - ist das Wegbrechen des Sozialkitts in Krisen- oder Marktumbruchzeiten aber eine Desillusionierung:

  1. "Haben unsere Chefs nicht gesagt, dass ...?"
  2. "Steht in unseren Leitlinien nicht,...?"
  3. "Habe ich nicht,...?"

Sie fühlen sich verraten und verkauft. Also gehen sie innerlich auf Distanz zu ihrem Arbeitgeber, was auch ihre künftige Arbeitshaltung prägt.

Ein tragfähiges Fundament schaffen

Deshalb sollten Führungskräfte im Führungsalltag möglichst selten an das kollektive WIR appellieren. Statt diese verschleiernde Führungsrhetorik zu gebrauchen, sollten sie im Gespräch mit ihren Mitarbeitern klar herausarbeiten: Welche gemeinsamen Interessen haben wir und wo divergieren diese? Und: Welche Interessen lassen sich (nur) unter bestimmten Voraussetzungen unter einen Hut bringen?

Dann können sie leichter ein solides Fundament für eine Zusammenarbeit legen, die auch in schwierigen Zeiten trägt. Denn die Mitarbeiter spüren: Mein Chef ist ehrlich. Er verschweigt uns zum Beispiel nicht, dass das Erzielen von Gewinn zu den undiskutierbaren Zielen des Unternehmens zählt. Oder in der aktuellen Situation, dass er selbst nicht weiß, wie es mittel- und langfristig weitergeht. Er akzeptiert aber auch, dass meine Ziele teils andere als seine und die des Unternehmens sind. Und er versucht die verschiedenen Interessen - soweit möglich - unter einen Hut zu bringen.

Also sind die Mitarbeiter zwar enttäuscht, wenn ihr Vorgesetzter ihnen situationsabhängig zum Beispiel verkündet:"Aufgrund der Marktveränderung müssen wir die Arbeit neu strukturieren. Deshalb muss ich ..." Dies belastet aber nicht Beziehung der Mitarbeiter zu ihrem Vorgesetzten (sowie zumeist auch weniger zum Unternehmen). Denn er war ihnen gegenüber ehrlich und verkaufte ihnen nicht ein X für ein U.

Der Autor

Professor Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (www.kraus-und-partner.de). Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.

 

Autor(en): Georg Kraus

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