Innovativ ist nur das Frontend

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Axa-Vorstandsvorsitzender Dr. Thomas Buberl geht mit der Versicherungsbranche scharf ins Gericht. Und: Nachwuchssorgen plagen nicht nur die Versicherer, sondern auch die Versicherungsabteilungen der Industrie.

Beim Kongress des Gesamtverbands der versicherungsnehmende Wirtschaft e.V. (GVNW), der aus der Fusion des Deutschen Versicherungs- Schutzverbands und des Bundesverbands der firmenverbundenen Versicherungsvermittler entstanden ist, zeichnete Axa-Chef Buberl die Herausforderungen für die gesamte Branche nach. Ein Schwerpunkt war die Digitalisierung, bei der die Versicherer erst verstehen lernen müssten, was das im Einzelnen bedeutet.

Produktentwicklung muss viel schneller werden
„Innovationen findet man bisher eher am Frontend“, meinte Buberl und umschrieb damit wohl auch, dass viele der heftig diskutierten Insurtechs nur kleine Stücke der Wertschöpfungskette betreffen, meist in der Kundeninteraktion am Beginn der Kundenbeziehung. Dahinter werde noch gearbeitet wie eh und je. Vor allem die Produktentwicklung müsse erheblich schneller werden, so Buberl. Auch sollten Versicherer die Chance nutzen, dass Kunden im Privat- wie im Industriesektor sehr freigiebig mit Daten sind. Diese gelte es zu nutzen.

„Während sich der Kauf eines Buchs massiv vereinfacht hat“, so Buberl weiter, „ist der Kauf einer Versicherung massiv komplexer geworden.“ Die Versicherer seien sehr transaktionsorientiert.
Stattdessen müssen sie kundenorientierter werden. Auch sollten sie sich nicht von Vermittlern oder von branchenfremden Akteuren aus der Kundenbeziehung drängen lassen, sondern sich stärker als Partner anbieten.

Lebensversicherung als „die Kohle der Energieversorger“
Gemeinsam Risiken zu verstehen und zu minimieren sei der Auftrag, der Kunden wie Versicherern gemeinsam nutze, meinte Buberl. Dass die Lebensversicherung nicht mehr im Mittelpunkt der Wachstumsfantasien der Branche stehen, wurde an einer Bemerkung deutlich, in der er diese Sparte mit der „Kohle für die Energieversorger“ gleichsetzte.
Die „Kohle“ ist eine Brückenenergie, die als zwar noch unverzichtbar, aber auch als schmutzig und daher perspektivisch abzulösen gilt. Ein sicher schwieriger Vergleich für die unter dem Niedrigzions leidende, aber doch offenbar für die Altersvorsorge in Europa so unverzichtbare Lebensversicherung.
Nachwuchssorgen auch in der Industrie

Kontakt zur Versicherungsbranche nur "per Zufall"
Ein wichtiges Thema scheint für die Branche auch die Gewinnung junger Talente, aber auch deren Bindung an die Unternehmen zu sein. In zwei Foren widmete sich der Verband den Sorgen, die die Industrie mit ihren Versicherungsabteilungen ebenso teilt wie die Versicherer. Einhelliger Tenor war, dass Akademiker verschiedener Fachrichtungen allenfalls „per Zufall“ in die Versicherungsbranche finden, nicht aber wegen der effektiven Werbung der Branche.

Wie die Personalwerbung besser werden kann, darüber gingen die Meinungen auseinander. Einige Teilnehmer sahen Angebote von Praktika und Werkstudenten-Stellen als Lösung an, andere ein generell besseres Image der Branche.

Frauenförderung immer noch Lippenbekenntnis
Ein Teilnehmer, Führungskraft in der türkischen Versicherungswirtschaft, zeigte Unverständnis über die sehr geringen Frauenquoten in den Führungsetagen deutscher Versicherer. Diese seien in der Türkei viel höher. Ein Personalberater beklagte, dass es in der Branche immer noch erhebliche versteckte Hindernisse für junge Frauen gibt, an interessante Positionen zu kommen. Die „Gefahr“ des Kinderkriegens und anschließenden Ausfalls hindere an der Karriere.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei bisher oft nur Lippenbekenntnis. Dabei ist das ein entscheidender Anreiz, wie der Beitrag einer jungen Studierenden zeigte. Das Gehalt locke nicht mehr primär, denn ein materieller Wohlstand sei schon von zuhause aus gegeben. Deshalb wünschten sich die jungen Leute heute vor allem eine hohe Flexibilität bei Arbeitszeiten und Rücksichtnahme auf private Belange. Führungsbesprechungen in den Abendstunden sind da kontraproduktiv, so ein anderer Diskussionsbeitrag.

Bildquelle: ©fotolia

Autor(en): Matthias Beenken

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