Krankenversicherung als Wahlkampfthema ungeeignet

740px 535px
Auch wenn von einem zum Verband der privaten Krankenversicherung zugehörigen Institut keine Kritik am dualen Versicherungssystems zu erwarten ist, so lohnt es sich doch, sich mit den Erkenntnissen internationaler Organisationen zu befassen, die von diesem zusammengetragen wurden.

Die deutsche private Krankenvollversicherung hat in Europa ein Alleinstellungsmerkmal: In fast keinem anderen Land existiert eine solche Dualität gesetzlicher und privater Basisvorsorge der Krankenversicherung. Aber auch nur fast. Denn immerhin einige wenige Spanier (knapp unter einem Prozent) und noch weniger Isländer (0,2 Prozent) sind vollständig privat versichert.

Immer noch viele Menschen in Europa unversichert
Dagegen herrscht sonst in Europa ein öffentliches, entweder Steuer- oder wie auch bei uns Sozialversicherungs-basiertes Krankenversicherungssystem vor. Doch auch das gilt keineswegs für alle Länder. Denn in Belgien, Luxemburg, Ungarn, der Slowakei, Estland und Polen sind bis zu knapp zehn Prozent der Bevölkerung gar nicht versichert, so eine Übersicht in der aktuellen Studie „Zugangshürden in der Gesundheitsversorgung“ des Wissenschaftlichen Instituts der PKV, die auf Daten der OECD beruht.

Hier wäre viel eher eine Diskussion angebracht, warum es noch keinen europäischen Konsens über einen Zugang für jeden Bürger zur Gesundheitsvorsorge gibt. Das würde den Betroffenen vermutlich mehr helfen als der auf Dauer öde ideologische Lagerkampf „gesetzlich gegen privat“, der in Deutschland in jedem Wahlkampf inszeniert wird.

Steuern oder Beiträge, das ist die Frage
Sehr uneinig ist Europa zudem in der Frage der Finanzierung von Gesundheitskosten. In Dänemark, Finnland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Norwegen, Portugal, Schweden und Spanien kommt dafür der Steuerzahler auf, sonst dagegen Beitragszahler. Steuerfinanzierte Systeme unterliegen einer stärkeren Steuerung durch die Politik, abzulesen an Kontingentierungen von Gesundheitsleistungen. Beitragssysteme dagegen verlagern die Lasten etwas einseitig zum Beispiel wie in Deutschland auf Beschäftigte und Arbeitgeber, auch wenn ein deutlich größerer Kreis von der Gesetzlichen Krankenversicherung profitiert.

Die Studie veranschaulicht, dass sich das deutsche Gesundheitssystem sehen lassen kann. Beispielsweise geht es hierzulande am schnellsten, was die Zulassung neuer Medikamente angeht – mit durchschnittlich 3,5 Monaten übertrifft Deutschland die Nachbarn, bei denen es bis zu knapp 16 Monate dauern kann (Spanien).

Zahnarzt muss oft privat bezahlt werden
In vielen europäischen Nachbarländern gelten zahnärztliche Leistungen nicht als Bestandteil der gesetzlichen Grundversorgung. In zehn von 23 Ländern müssen Betroffene die entsprechenden Kosten komplett aus eigener Tasche oder über private Zusatzversicherungen tragen. Umgekehrt wird allerdings nur für Polen ausgewiesen, dass zahnärztliche Leistungen ohne Eigenanteil übernommen werden, sonst sind stets Eigenanteile und damit Ansatzpunkte für eine private Zusatzvorsorge vorhanden.

Deutschland ist zusammen mit Island, Luxemburg und Österreich besonders liberal, was die Steuerung der Patienten angeht. Laut Studie ist man weder an eine Registrierung bei einem bestimmten Hausarzt gebunden noch beim Zugang zu Fachärzten beschränkt. Letzteres allerdings dürfte wohl vor allem für die rund zehn Prozent Privatversicherten in Deutschland gelten und weniger für Kassenpatienten, auch wenn dies in der Studie anders dargestellt wird. So heißt es dort, es werde nicht kontrolliert und sanktioniert, ob sich Kassenpatienten erst an den Hausarzt wenden, um eine Überweisung an einen Facharzt zu erhalten. Doch bei vielen Fachärzten erhalten Kassenpatienten gar nicht so ohne weiteres einen Termin, wenn nicht ein Hausarzt seine Kontakte spielen lässt.

Wenige Zuzahlungen gleich kränkere Bürger?

Deutsche gesetzlich Versicherte werden auch relativ großzügig in Sachen Zuzahlungen behandelt. Da müssen ihre europäischen Nachbarn teilweise deutlich mehr bezahlen. Nur zwei Beispiele: In Frankreich müssen 30 Prozent der Kosten plus einem Euro pro Arztbesuch zahlen. In der Schweiz sind die ersten 300 CHF pro Jahr selbst zu tragen und danach weitere zehn Prozent bis zu einer Obergrenze.

Lange warten müssen deutsche Bürger nur auf frischere Wahlkampfideen
Nicht zum ersten Mal gibt das WIP einen Überblick über einen in Wahlkämpfen beliebten Angriffspunkt auf das deutsche, duale Gesundheitssystem. In schöner Regelmäßigkeit werden ungerecht lange Wartezeiten für Kassenpatienten beklagt. Da sollten sich deutsche Kassenpatienten einmal mit ihren polnischen Nachbarn unterhalten, die jedenfalls nach einer OECD-Erhebung im Durchschnitt ein Jahr auf verschiedene Operationen warten müssen. Auch die Esten brauchen ähnlich viel Geduld.

Dagegen sind die Wartezeiten in Deutschland nach Studien generell sehr kurz, mir nur leichten Vorteilen für Privatpatienten. Zudem wurden 2015 bereits die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet, über Terminservicestellen Kassenpatienten beim Zugang zu Terminen zu helfen. Zitiert wird eine Umfrage der Techniker Krankenkasse, nach der 61 Prozent der Befragten mit ihrer Wartezeit vollkommen oder sehr zufrieden waren. Erstaunlich viele Befragte berichten, innerhalb eines Tages einen Termin erhalten zu haben.

Niederländer wollen ins Ausland, Deutsche nicht
Nur in einer Erhebung ist Deutschland am Ende der Skala der Europäer: Ganze elf Prozent der Deutschen geben nach einer Erhebung der Europäischen Kommission an, dass sie für eine Behandlung ins Ausland reisen würden. Dagegen würden zwei Drittel ihrer niederländischen Nachbarn ins Ausland reisen – deutlicher kann man wohl kaum die Zufriedenheit mit dem eigenen Gesundheitssystem ausdrücken.

Bild: © Allianz

Autor(en): Matthias Beenken

Alle Branche News