Kritische Stimmen zu Mehrwertsteuersenkung

740px 535px

Die befristete Mehrwertsteuersenkung ist beschlossene Sache. Sie soll Unternehmen Geld in die Kassen spülen. Doch viele Betriebe zweifeln an der Maßnahme.

"Steuerentlastungen und Steuerreformen sind ein Evergreen der Finanz- und Wirtschaftspolitik – seit vor genau 100 Jahren in Deutschland der moderne Steuer- und Wohlfahrtsstaat entstand", schreibt Stefan Bach in seinem Beitrag "Steuersenkungen: untere und mittlere Einkommen entlasten!" in der Zeitschrift "Wirtschaftsdienst" (Ausgabe 3 | 2020). "Die große Aufmerksamkeit für die Steuerpolitik ist wenig überraschend, denn das Steuersystem schöpft 24 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zugunsten des Fiskus ab. Nimmt man die Sozialbeiträge hinzu, fließen fast 42 Prozent des BIP durch die Kassen des Staatssektors", erläutert Bach.

Auch in der aktuellen Krise greift die Politik zum Instrument der Steuersenkung. Nun hat der Bundesrat dem milliardenschweren Corona-Konjunkturprogramm der Bundesregierung zugestimmt. Den Schwerpunkt bildet die befristete Senkung der Mehrwertsteuer ab dem 1. Juli 2020. Mit diesem Schritt will die Bundesregierung Konsum und Wirtschaft ankurbeln und den Auswirkungen der Corona-Krise entgegenwirken.

Politik hofft auf mehr Kaufkraft für neue Anschaffungen

So fallen bis Jahresende statt 19 nur noch 16 Prozent Mehrwertsteuer an. Der ermäßigte Steuersatz, der für etliche Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs gilt, sinkt von sieben auf fünf Prozent. Das stelle den Bürgern rund 20 Milliarden Euro an zusätzlicher Kaufkraft zur Verfügung, betonte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Dieses Geld "werden viele für neue und weitere Anschaffungen einsetzen".

Gegen das Maßnahmenpaket stimmten in einer Sondersitzung des Parlaments FDP und AfD. FDP-Fraktionsvize Christian Dürr kritisierte das Vorhaben als "wirkungslos" und verwies auf den hohen bürokratischen Aufwand für den Einzelhandel. Linke und Grüne enthielten sich. Dort herrschen Zweifel, dass das Geld bei den Verbrauchern auch tatsächlich ankommt.

Bau und Handwerk kritisieren hohen Aufwand

Allerdings kam Kritik nicht nur von der parlamentarischen Opposition. Die Mehrwertsteuersenkung ist gerade in kleinen Geschäften des Einzelhandels eher Last als Hilfe. Wenn nicht bereits geschehen, müssen sie schnellstmöglich Kassen- und IT-Systeme anpassen. Für die Systembetreiber bedeutet dies viel Arbeit für nur wenige Monate Steuersenkung. Denn eine Verlängerung der Maßnahme ist nicht geplant.

Gerade dem Handwerk und dem Baugewerbe bereiten die oft langfristigen Verträge und Rechnungen Bauchschmerzen, weil ihnen dadurch ein gigantischer Mehraufwand droht: Denn hier kommt es bei der Umsatzsteuer auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung an.

Wird eine Sanitärinstallation zum Beispiel im ersten Halbjahr erbracht, muss die Rechnung 19 Prozent Mehrwertsteuer ausweisen. Werden Rohre und Fenster nach dem ersten Juli verbaut, dürfen auf der Rechnung nur noch 16 Prozent stehen.

Auch sehen viele Betriebe, die für die kommenden Monate oft volle Auftragsbücher haben, keinen Vorteil für ihr Geschäft. Viele können keine weiteren Arbeiten übernehmen, da ihnen die Arbeitskräfte für Neuaufträge fehlen.

Komplizierte Regelungen in der Gastronomie

Ob die Maßnahme der stark gebeutelten Gastronomie und Hotellerie helfen wird, die massiven Umsatzeinbußen während des Shutdowns zumindest teilweise auszugleichen, muss sich zeigen. Hier sind die neuen steuerlichen Regelungen besonders kompliziert.

Für Restaurants und Gaststätten wurde bereits der Mehrwertsteuersatz für Speisen befristet vom 1. Juli 2020 bis zum 30. Juni 2021 von 19 auf sieben Prozent abgesenkt. Durch die weitere befristete Senkung der Mehrwertsteuer für die sechs Monate bis zum Jahresende gilt in der Gastronomie daher der ermäßigte Steuersatz von fünf Prozent, um dann bis Mitte nächsten Jahres auf sieben Prozent zu klettern. Danach geht es für Speisen wieder auf 19 Prozent zurück. Bei Getränken sollen bis Jahresende dagegen 16 Prozent Mehrwertsteuer gelten. Schon von 1. Januar 2021 an werden dann aber wieder 19 Prozent fällig.

Weitere Erleichterungen gibt es für Firmen, etwa durch geänderte Abschreibungsregeln. Außerdem sollen sie krisenbedingte Verluste besser mit Gewinnen aus dem Vorjahr verrechnen können. Das soll mehr Geld in die Kasse in Krisenzeiten spülen.

Autor(en): Angelika Breinich-Schilly

Zum Themenspecial "Corona"

 

Alle Branche News