Leitzinsanhebungen lassen Unternehmen straucheln

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Die Notenbanken in den USA und Großbritannien wollen an der Leitzinsschraube drehen. Geht auch die EZB diesen Schritt, drohen vielen Betrieben finanzielle Engpässe bis hin zur Insolvenz, sagt eine aktuelle Analyse. Das könnte aber auch für eine Marktbereinigung sorgen.

"Heben die USA und Großbritannien die Leitzinsen in größeren Schritten - im Bereich von ein Prozent oder mehr - an, drohen zahlreichen Unternehmen Zahlungsschwierigkeiten", erläutert Thomas Langen, Senior Regional Director Deutschland, Mittel- und Osteuropa bei Atradius. Der Kreditversicherer geht davon aus, dass die US-Notenbank Fed und die Bank von England die Zinsen in den kommenden Monaten zunächst in kleinen Schritten steigern und die Auswirkungen in der ersten Jahreshälfte noch moderat bleiben. Die Fed hat für das laufende Jahr bereits inflationsbedingt drei Zinserhöhungen angekündigt. 

Auch in Europa ist die Teuerungsrate in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen und lag im Dezember 2021 mit fünf Prozent auf Rekordhoch. Das setze auch die Europäische Zentralbank (EZB) unter Druck, ihre bisherige Strategie zu ändern und den Leitzins anzuheben, heißt es in der Analyse. 

EZB will langsameren Zinskurs fahren

Allerdings betonte EZB-Chefin Christine Lagarde jüngst im französischen Hörfunk, sich mit Zinsanhebungen Zeit lassen zu wollen. "Der Zyklus der wirtschaftlichen Erholung in den USA ist dem in Europa voraus", zitiert sie die Wirtschaftszeitung "Handelsblatt". "Wir haben also allen Grund, nicht so schnell und rabiat vorzugehen, wie man es sich bei der Fed vorstellen kann."

Im Dezember hatte der EZB-Rat beschlossen, Ende März 2022 das Pandemie-Notfallankaufprogramm PEPP einzustellen. Zeiglich will die EZB aber im Rahmen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) Nettoankäufe von 40 Milliarden im zweiten und 30 Milliarden Euro im dritten Quartal durchzuführen. Damit will das Institut sicherstellen, "dass der geldpolitische Kurs weiterhin mit einer mittelfristigen Stabilisierung der Inflation bei seinem Zielwert vereinbar ist", begründet die Notenbank ihre Beschlüsse. Laut "Handelsblatt" habe es bei den Diskussionen Kritik an diesem Vorgehen gegeben, da einige Ratsmitglieder, darunter wohl auch Ex-Bundesbank Chef Jens Weidmann, die Gefahr "einer länger höheren Inflation" sehen. 

Deutsche Wirtschaft leidet unter Mehrfachbelastungen

In jedem Fall werden sich die künftigen Notenbankentscheidungen in den USA, Grobritannien und Europa auch in der deutschen Wirtschaft auswirken. Der Atradius-Prognose zufolge seien in der Krise die Schulden in nahezu allen Branchen angewachsen. Zugleich drohen weitere Belastungen durch höhere Lohnkosten, da 2022 für rund zehn Millionen Arbeitnehmer Tarifverhandlungen anstehen, sowie durch stark gestiegene Material-und Energiepreise. 

"Bei den Automobilzulieferern dürfte die Neuverschuldung insgesamt etwas über dem Durchschnitt liegen", meint Langen. Neben den Belastungen infolge der Corona-Pandemie und höherer Materialpreise hätten viele Betriebe erheblich in ihr Geschäftsmodell investiert und neue Produkte entwickelt, "um angesichts fortschreitender Elektromobilität weiter gefragt zu sein". Eine mögliche Zahlungsunfähigkeit durch steigende Zinsen sieht Kreditexperte Langen auch bei Private-Equity-Konstrukten und langfristig bei Unternehmen aus konsumnahen Branchen. 

"Steigende Leitzinsen lassen auch die Kosten für Unternehmenskredite in die Höhe schnellen", so Langen. Unternehmen können in diesem Fall ihren Verbindlichkeiten oft nicht mehr nachkommen. Das würde 2022 branchenübergreifend zu mehr Firmeninsolvenzen führen, als noch vor kurzem angeommen. Die Weichen für das Ausmaß der Insolvenzrisiken werden der Analyse zufolge innerhalb der kommenden sechs Monate gestellt. 

Export-Unternehmen profitieren von einer Zinsschere

Bleibt es bei den unterschiedlichen Strategien von EZB und Fed, werden davon vor allem exportorientierte Unternehmen im Euroraum profitieren, prognostiziert die Analyse. "Je mehr sich die Zinsschere zwischen den USA und Europa vergrößert, desto stärker könnte der Euro gegenüber dem Dollar an Wert verlieren. Ausführende europäische Unternehmen könnten dann profitieren, da sich ihre Produkte dann zu günstigeren Preisen in den USA anbieten lassen", heißt es zur Begründung.

Höhere Zinsen in Europa werden dagegen die durch die Corona-Hilfsmaßnahmen gewachsene Zahl so genannter Zombieunternehmen mit unrentablen Geschäftsmodellen minimieren. "Von ihnen geht ein hohes Risiko für gesunde Firmen aus, einen Zahlungsausfall zu erleiden. Eine Zinserhöhung könnte dazu beitragen, dass Zombiefirmen noch schneller Insolvenz anmelden müssen und vom Markt genommen werden", erläutert Langen. 

Dieser Artikel ist ursprünglich auf Springer Professionell erschienen.

Autor(en): Angelika Breinich-Schilly

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