Neue Antidiskriminierungsrichtlinie wird stark kritisiert

Die Europäische Kommission hat einen fünften Richtlinienentwurf zur Antidiskriminierung vorgelegt und will damit das "soziale Profil Europas schärfen". Dazu gehöre auch das Vorgehen gegen soziale Benachteiligungen. Die Antidiskriminierungsrichtlinien aus dem Jahre 2000, die in Deutschland 2006 umgesetzt wurden, gelten allerdings hauptsächlich für die Situation am Arbeitsplatz. Jetzt geht es darum, Diskriminierungen im Alltag, etwa beim Einkaufen, Wohnen, im Verkehr oder beim Thema Versicherungen zu verhindern.

Viele Europäer waren Benachteiligungen ausgesetzt
Eine aktuelle Eurobarometer-Umfrage ergab, dass sich 15 Prozent aller Europäer in den vergangenen zwölf Monaten in irgendeiner Form benachteiligt vorkamen. Jeder zweite Europäer ist überzeugt, dass es in seinem Land nach wie vor Diskriminierungen wegen des Geschlechts, einer Behinderung, des Alters oder religiöser Überzeugungen gibt. "Das Recht auf Gleichbehandlung ist von grundlegender Bedeutung", sagt Vladimir Spidla, EU-Kommissar für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit.

Richtlinie "zu weitgehend"
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat die neue Richtlinie als zu weitgehend kritisiert. Werde der Entwurf unverändert umgesetzt, könnte dies zu Einschränkungen beim Angebot von Versicherungsschutz und zu Prämienerhöhungen führen. Dr. Frank von Fürstenwerth, Hauptgeschäftsführer des GDV, begrüßt zwar, dass die Europäische Kommission die versicherungstechnische Differenzierung nach dem jeweiligen Risiko nicht grundsätzlich unter Diskriminierungsverdacht stellt und die Notwendigkeit risikoadäquater Prämien anerkennt. Er kritisiert aber, dass sie im Richtlinienvorschlag selbst die praktischen Möglichkeiten zur Risikodifferenzierung stark einschränkt. Denn analog zur Richtlinie für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen aus dem Jahr 2004 will sie als Rechtfertigungsgrund für Differenzierungen allein statistische Erkenntnisse zulassen. Die für individuelle Einschätzungen von Vorerkrankungen und Behinderungen unverzichtbaren medizinischen Erkenntnisse und Erfahrungswerte sollen dagegen nicht mehr berücksichtigt werden dürfen. Die Beschränkung der Versicherer allein auf statistische Verfahren wäre insofern auch für die Versicherten ein klarer Rückschritt.

Finanzielle Belastungen sind ausgereizt
Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) lehnen die Richtlinie ab. In einer gemeinsamen Erklärung der beiden Spitzenverbände heißt es: "Eine weitere Verschärfung der Antidiskriminierungsrichtlinien ist für die Wirtschaft untragbar. Es ist weder ein Handlungsbedarf zu erkennen, noch ist eine Folgenabschätzung für Mittelstand und Handwerk gemacht worden.“ Schon jetzt seien die finanziellen und bürokratischen Belastungen der Wirtschaft durch die bisherigen Antidiskriminierungsrichtlinien ausgereizt. Den Unternehmen seien im ersten Jahr der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes über 1,73 Milliarden Euro an zusätzlichen Kosten entstanden.

Überregulation in vielen Bereichen
Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, erklärt: "Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aus dem Jahr 2006 wurden die bisherigen vier EU-Richtlinien zur Allgemeinen Gleichbehandlung umgesetzt und alle zur Diskussion stehenden Diskriminierungssachverhalte in Deutschland aufgegriffen. Der jetzt vorliegende fünfte Richtlinienentwurf geht weit über den bislang schon bestehenden Diskriminierungsschutz in Europa hinaus. Es steht zu befürchten, dass Bürger sowie insbesondere auch die mittelständischen Unternehmen in Deutschland durch die geplanten Regelungen aus Brüssel in unvertretbarem Umfang eingeengt und belastet werden. Als Bundesminister für Wirtschaft und Technologie spreche ich mich daher entschieden gegen den Richtlinienentwurf aus." Die von der EU-Kommission geplante Richtlinie würde viele Bereiche des täglichen Umganges und der sozialen Kontakte der Menschen überregulieren und Freiräume unnötig einengen.


Keine "unverhältnismäßigen Bürden"
EU-Kommissar Spidla will den Firmen dagegen keine unverhältnismäßig neuen Lasten aufbürden. Ausdrücklich geht es dem Kommissar nur um das, was vernünftig und der Situation angemessen ist. Nicht jede Gaststätte brauche eine Rampe oder einen Aufzug für Behinderte. Aber dort, wo sie öfter einkehren, sollte es sie geben. Auch die Versicherer würden keineswegs gezwungen, einem 60-Jährigen eine Lebensversicherung unter den gleichen Konditionen wie einem 20-Jährigen anzubieten. Insgesamt werde es bei der Umsetzung der Richtlinie auf Flexibilität, Fingerspitzengefühl und Verhätnismäßigkeit ankommen. Die Richtlinie habe den Sinn, vor allem auf diejenigen abschreckend zu wirken, die nach wie vor Menschen benachteiligen.

Autor(en): Susanne Niemann

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