Nur eine flexiblere bAV kann Fehlentscheidungen ausbremsen

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Die Aktuare sind aus vielerlei Gründen besorgt: langfristige Folgen der Corona-Pandemie auf die bAV, das durch Corona wohl zementierte Niedrigzinsniveau und die Entwicklung des HGB-Rechnungszinses. In einer Pressekonferenz des Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e.V. (IVS), Zweigverein der Deutschen Aktuarvereinigung e.V. (DAV), skizzierten die Verantwortlichen, wo der Schuh genau drückt und was ihrer Ansicht nach dagegen getan werden sollte.

Erst einmal eine gute Nachricht vorab: Die aktuelle – geringe - Sterblichkeitsrate in Folge der Corona-Pandemie hat keinerlei signifikante Auswirkungen auf die biometrischen Annahmen der Versicherungsmathematiker.

Volatilität an den Kapitalmärkten für Aktuare problematisch

Weitaus problematischer sieht es aber mit den Kapitalmärkten und der hohen Volatilität an diesen aus. Denn diese kann zu unschönen Dividendenausfällen führen. „In den Kapitalanlagen spüren wir Corona jetzt schon sehr deutlich“, kommentierte IVS-Vorstandsvorsitzenden Friedemann Lucius die Lage.

Auch das Versorgungsniveau bleibt nach Einschätzung der Aktuare nicht unberührt: Denn durch Kurzarbeit werden die bAV-Beiträge absinken. Gleichzeitig sind die Möglichkeiten der Nachdotierung begrenzt, weil die jährlichen steuerlichen Grenzen unverändert sind.

Negative Auswirkungen hat die aktuelle Lage auch auf die Versorgungsansprüche: Weniger Beitrag heißt natürlich auch weniger Anwartschaft. Mit anderen Worten: Bei Arbeitslosigkeit kommt es zum Verlust künftiger Anwartschaftszuwächse. Die Aktuarsvereinigung befürchtet auch, dass einige Firmen aus wirtschaftlichen Gründen auf Rentenanpassungen verzichten werden und sogar einige sich aus der Arbeitgeber-finanzierten bAV zurückziehen werden.

Corona verschärft und verlängert die Zinsproblematik

Das bedeutet für das IVS: Obwohl kurz-und mittelfristige Folgen die bAV belasten, seien diese nicht so gravierend, dass sie die Funktionsfähigkeit der Versorgungssysteme gefährden würden. Weitaus wichtiger sei hier, die langfristige Entwicklung zu betrachten, hier vor allem die anhaltenden Niedrigzinsen und die sich durch Corona möglicherweise noch weiter verschärfte Zinssituation. 

Und dies vor dem Hintergrund, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ein Anleihenankaufprogrammin in Höhe von 1,35 Billionen Euro verkündet hat. „Eine exorbitante Zahl“, so Friedemann Lucius.  

Zementiert sich das Tiefzinsniveau auf unabsehbare Zeit?

Aber nicht nur das: Die EZB-Entscheidung trifft auf einen demografie-bedingten Spar- und Vorsorgedruck. Dieses Aufeinandertreffen von zwei problematischen Konstellationen löst ein Nachfrageboom nach sicheren Anleihen aus. Und diese erhöhte Nachfrage kann dazu führen, dass sich das Tiefzinsniveau auf unabsehbare Zeit zementiert. Die Leidtragenden dieser Entwicklung sind vor allem Pensionskassen mit geringer Eigenmittelausstattung, befürchten die IVS-Verantwortlichen. Und wie kann hier eine Lösung aussehen? „Entweder man folgt den Niedrigzinsen oder man trotzt ihnen“, so die lapidare Antwort der Aktuare.

Was bedeutet dies nun genau? „Den Niedrigzinsen folgen“ bedeutet, dass die Versorgungsträger die Verpflichtungen aus der bAV mit einer niedrigeren Zinserwartung bewerten müssen. Die Folge: Ein deutlicher Anstieg der Verpflichtungen und ein erhöhter Finanzbedarf.

Und den „Niedrigzinsen trotzen“ heißt, dass die bAV-Anbieter ihre Risikotragfähigkeit stärken und so in der Lage sind, Kapitalmarktrisiken besser zu tragen, immer mit dem Ziel, höhere Renditen in der Kapitalanlage zu erzielen. Die Einrichtungen brauchen für diesen Weg aber mehr Eigenmittel, um höhere Erträge erzielen zu können. Diese sehr unterschiedlichen Ansätze können je nach Bedarf aber auch miteinander kombiniert werden.  

Ein wichtiges Thema bei dem IVS-Pressegespräch war zudem die Generationengerechtigkeit in der bAV.

Das grundsätzliche Problem: Die niedrigen Zinsen erhöhen den Finanzierungsbedarf in allen Durchführungswegen der bAV. Überschüsse aus risikoarmen Zusagen mit niedrigeren Leistungen/(Zins-) Garantien werden zur Finanzierung von Altzusagen mit hohen Leistungen/(Zins-) Garantien verwendet. Die Folge: Es kommt zu einer Umverteilung innerhalb der Versorgungssysteme.

Finanzierungsmittel zu Lasten der jungen Generation verwendet

Die Überschüsse beziehungsweise Finanzierungsmittel werden zu Lasten der jungen Generation verwendet, um die versprochenen Leistungen an die ältere Generation aufrechtzuerhalten. „Das ist was sich momentan hinter den Kulissen abspielt“, moniert Lucius. Doch das ist nach Ansicht des Aktuars der absolut falsche Weg. Viel eher müssten die bAV-Systeme zukunfts- und generationengerecht ausbalanciert werden, um dauerhaft zu vermeiden, dass die jüngeren Generationen benachteiligt werden. Grundsätzlich vertritt er mit seinen Verbandskollegen die Position, dass die bAV flexibler werden muss, damit Fehlentwicklungen leichter gestoppt werden können. 

Und wie genau sollen diese Gegenmaßnahmen aussehen? Notleidende Bestände könnten separiert werden, so dass das gesamte Kollektiv gestärkt werden kann. Und das Garantieniveau für Neuverträge müsste „auf erträgliches Maß reduziert werden“.

Hier müsste sein Verband schon dicke Bretter bohren, sie sähen aber schon, dass sich die Dinge bewegten.

Weniger Garantien, aber mit Aussicht auf mehr Leistung

Mit den aktuellen Niedrigstzinsen kann der Bruttobeitragserhalt nur schwer, wenn überhaupt noch garantiert werden. Und je höher die Garantie, desto weniger Beitrag kann risikoreich, dafür aber mit der Aussicht auf mehr Leistung angelegt werden. So die Position von Stefan Oecking, stellvertretender IVS-Vorstandsvorsitzender, bei seinem kritischen Blick auf die aktuelle Garantielandschaft.

Ein Werterhalt sei nur dann möglich, wenn das Garantieniveau an die veränderten Kapitalmarktrealitäten angepasst werde, also nach unten. „Das klingt widersprüchlich, ist aber sehr sinnvoll“, interpretierte Oecking seine Lagebetrachtung. „Die klassischen Leistungszusagen mit Garantie sind nicht mehr zeitgemäß und lassen sich in den Einrichtungen heute nicht mehr darstellen. Die Zukunft gehört den beitragsorientierten Zusagen, vor allem den reinen Beitragszusagen.“ Es sei zu hoffen, dass sich die Einsicht bei allen Beteiligten, dass das bisherige Garantieniveau nicht mehr zu halten sei, endlich durchsetze.

Auch sei wichtig, dass die Beitragszusage mit Mindestleistung an das aktuelle Umfeld angepasst werde und eine Mindestleistung deutlich unterhalb des Beitragserhalts zugelassen werde. Sein abschließendes Mantra: „Je niedriger das Garantieniveau ist, desto höher ist der Betrag, den ich auf eine chancenorientierte Kapitalanlage investieren kann und desto höher ist die Chance auf den Werterhalt der eingebrachten Beträge.“

Autor(en): Meris Neininger

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