Auf der Jahrestagung des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft skizzierte der frühere Chef der Techniker-Krankenkasse, Norbert Klusen, die Zukunft der Krankenversicherung. Über Wege zu stärkerer Konvergenz waren die Referenten sehr unterschiedlicher Meinung.
Bei der Jahrestagung in Berlin zeichnete Professor Dr. Norbert Klusen von der Leibniz Universität Hannover und früherer Chef der Techniker Krankenkasse ein gemäßigtes Bild der in der Politik teilweise ideologisch ausgetragenen Kämpfe zwischen den Krankenversicherungs-Systemen. Tatsächlich würden sich die führenden Kräfte sowohl der gesetzlichen als auch der privaten Krankenversicherung in der Regel durchaus gut verstehen. Es gebe auch das Bewusstsein, dass beide Systeme aufeinander angewiesen sind.
PKV kein Problem für die GKV
Die politische Diskussion ordnete er als Gerechtigkeitsdebatte ein – es gebe "Empörungsthemen", und zu denen gehöre die unterschiedliche Behandlung gesetzlich und privat Versicherter. "Die PKV ist nicht das Problem der GKV", meinte er mit Blick auf die vergleichsweise geringen Marktanteile und Budgets.
An die Politik gerichtet mahnte Klusen mehr ordnungspolitische Prinzipien an. Diese seien sogar den Unionsparteien und der FDP verloren gegangen, Änderungsvorschläge im System würden vor allem nach vermuteter Wählerwirkung gemacht.
Lerneffekte durch Kooperation
Allerdings widersprach Klusen auch deutlich einigen Thesen, die zur Erhaltung des zweigliedrigen Systems von der PKV vorgetragen werden. Dass die PKV die GKV mitfinanziere, wies er weit von sich. Tatsächlich würden durch die Privatabrechnungen überzählige Arztpraxen in Ballungsgebieten am Leben gehalten. Umgekehrt leide die GKV unter einem Mittelabzug durch den Wechsel von Versicherten zur PKV.
Dass GKV und PKV seit 2004 kooperieren können, begrüßte Klusen ausdrücklich. Beide Seiten hätten voneinander gelernt. Bei der PKV sei er überrascht gewesen, wie wenig Erfahrung sie in Sachen Kundenbindung besitzt. "Es gab nur Neugeschäftswettbewerb", aber keinen nennenswerten Wettbewerb um die Bestandskunden.
Wettbewerb auf gleicher, privatrechtlicher Basis
Klusen plädierte dafür, eine Transformation von Krankenkassen in privatrechtliche Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit zuzulassen. So könne ein integrierter Krankenversicherungsmarkt entstehen, indem sich beide Versicherungsarten annähern. Außerdem könnten die Kassen so willkürlichen Maßnahmen der Politik entzogen werden, machte er auch deutlich.
HUK-Coburg-Vorstandsmitglied Dr. Hans Heroy sah dagegen ein Kernproblem als ungelöst an Die GKV müsse ihren Beitragssatz voraussichtlich um 40 Prozent steigern, um der demografischen Veränderung der Bevölkerung gerecht zu werden. Dagegen habe die PKV nur ein vergleichsweise kleines Altersproblem, das zudem ausschließlich aus der bisher unberücksichtigten Kostensteigerung durch medizinische Inflation resultiere. Heroy rechnete vor, dass eine einmalige Anhebung aller PKV-Beiträge um vier Prozent ausreichen würde, dieses Problem ein für allemal zu beseitigen.
Freier Wechsel zwischen den Systemen möglich?
Gleichwohl sah auch Heroy den Bedarf, über eine Konvergenz der Systeme nachzudenken. Dazu skizzierte er ein Modell, in dem ein freier Wechsel der Versicherten von GKV zu PKV und zurück möglich ist. Dazu könnten beim Wechsel von der GKV in die PKV die Krankenkassen einen eventuellen Risikozuschlag für teure Kunden übernehmen, weil sie selber einen Vorteil hätten, wenn diese aus ihrem Risikokollektiv ausscheiden. Umgekehrt hätte die PKV eine verrentete Alterungsrückstellung einzubringen, wenn ein Privatversicherter in die GKV wechselt.
Zwischen den Krankenkassen erfolge der Lastenausgleich wie bisher durch den Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich, der zwar viele Nachteile habe, aber andererseits eine pragmatische, weil verfügbare Lösung darstellt. Zwischen privaten Krankenversicherern solle eine individualisierte Mitgabe der Alterungsrückstellunghelfen, ruinösen Wettbewerb zu unterbinden und die Konkurrenz stattdessen auf eine möglichst wirtschaftliche Leistungserbringung auszurichten.
Vorwurd der verdeckten Umverteilung
In seinem Redebeitrag skizzierte Professor Dr. Peter Zweifel von der Universität Zürich aus ökonomischer Sicht, warum ein symbiotisches Nebeneinander von GKV und PKV nützlich ist. Mit Hilfe klassischer ökonomischer Modelle könne nicht wirklich nachgewiesen werden, welches der beiden Systeme effizienter ist als das andere.
Tatsächlich müsse man die Politische Ökonomie mit einbeziehen. Beide Krankenversicherungssysteme sind ein "Instrument der verdeckten Umverteilung", glaubt er. Sein Gegenvorschlag lautete, modulare Krankenversicherungsverträge zu entwickeln, bei denen der Kunde für bestimmte körperliche Grundfunktionen und je nach individueller Gesundheitssituation zwischen einer kostengünstigen integrierten oder einer klassischen Vollversorgung wählen kann. Wenn die Anreizsysteme entsprechend gesetzt sind, könne die PKV damit unerwünschten Selektionseffekten wirksamer als heute vorbeugen. Er forderte die PKV auf, „den Kampf um den Kunden zu führen“. Die PKV sei dabei besser aufgestellt als die GKV.
Bild: Techniker Krankenkasse
Bei der Jahrestagung in Berlin zeichnete Professor Dr. Norbert Klusen von der Leibniz Universität Hannover und früherer Chef der Techniker Krankenkasse ein gemäßigtes Bild der in der Politik teilweise ideologisch ausgetragenen Kämpfe zwischen den Krankenversicherungs-Systemen. Tatsächlich würden sich die führenden Kräfte sowohl der gesetzlichen als auch der privaten Krankenversicherung in der Regel durchaus gut verstehen. Es gebe auch das Bewusstsein, dass beide Systeme aufeinander angewiesen sind.
PKV kein Problem für die GKV
Die politische Diskussion ordnete er als Gerechtigkeitsdebatte ein – es gebe "Empörungsthemen", und zu denen gehöre die unterschiedliche Behandlung gesetzlich und privat Versicherter. "Die PKV ist nicht das Problem der GKV", meinte er mit Blick auf die vergleichsweise geringen Marktanteile und Budgets.
An die Politik gerichtet mahnte Klusen mehr ordnungspolitische Prinzipien an. Diese seien sogar den Unionsparteien und der FDP verloren gegangen, Änderungsvorschläge im System würden vor allem nach vermuteter Wählerwirkung gemacht.
Lerneffekte durch Kooperation
Allerdings widersprach Klusen auch deutlich einigen Thesen, die zur Erhaltung des zweigliedrigen Systems von der PKV vorgetragen werden. Dass die PKV die GKV mitfinanziere, wies er weit von sich. Tatsächlich würden durch die Privatabrechnungen überzählige Arztpraxen in Ballungsgebieten am Leben gehalten. Umgekehrt leide die GKV unter einem Mittelabzug durch den Wechsel von Versicherten zur PKV.
Dass GKV und PKV seit 2004 kooperieren können, begrüßte Klusen ausdrücklich. Beide Seiten hätten voneinander gelernt. Bei der PKV sei er überrascht gewesen, wie wenig Erfahrung sie in Sachen Kundenbindung besitzt. "Es gab nur Neugeschäftswettbewerb", aber keinen nennenswerten Wettbewerb um die Bestandskunden.
Wettbewerb auf gleicher, privatrechtlicher Basis
Klusen plädierte dafür, eine Transformation von Krankenkassen in privatrechtliche Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit zuzulassen. So könne ein integrierter Krankenversicherungsmarkt entstehen, indem sich beide Versicherungsarten annähern. Außerdem könnten die Kassen so willkürlichen Maßnahmen der Politik entzogen werden, machte er auch deutlich.
HUK-Coburg-Vorstandsmitglied Dr. Hans Heroy sah dagegen ein Kernproblem als ungelöst an Die GKV müsse ihren Beitragssatz voraussichtlich um 40 Prozent steigern, um der demografischen Veränderung der Bevölkerung gerecht zu werden. Dagegen habe die PKV nur ein vergleichsweise kleines Altersproblem, das zudem ausschließlich aus der bisher unberücksichtigten Kostensteigerung durch medizinische Inflation resultiere. Heroy rechnete vor, dass eine einmalige Anhebung aller PKV-Beiträge um vier Prozent ausreichen würde, dieses Problem ein für allemal zu beseitigen.
Freier Wechsel zwischen den Systemen möglich?
Gleichwohl sah auch Heroy den Bedarf, über eine Konvergenz der Systeme nachzudenken. Dazu skizzierte er ein Modell, in dem ein freier Wechsel der Versicherten von GKV zu PKV und zurück möglich ist. Dazu könnten beim Wechsel von der GKV in die PKV die Krankenkassen einen eventuellen Risikozuschlag für teure Kunden übernehmen, weil sie selber einen Vorteil hätten, wenn diese aus ihrem Risikokollektiv ausscheiden. Umgekehrt hätte die PKV eine verrentete Alterungsrückstellung einzubringen, wenn ein Privatversicherter in die GKV wechselt.
Zwischen den Krankenkassen erfolge der Lastenausgleich wie bisher durch den Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich, der zwar viele Nachteile habe, aber andererseits eine pragmatische, weil verfügbare Lösung darstellt. Zwischen privaten Krankenversicherern solle eine individualisierte Mitgabe der Alterungsrückstellunghelfen, ruinösen Wettbewerb zu unterbinden und die Konkurrenz stattdessen auf eine möglichst wirtschaftliche Leistungserbringung auszurichten.
Vorwurd der verdeckten Umverteilung
In seinem Redebeitrag skizzierte Professor Dr. Peter Zweifel von der Universität Zürich aus ökonomischer Sicht, warum ein symbiotisches Nebeneinander von GKV und PKV nützlich ist. Mit Hilfe klassischer ökonomischer Modelle könne nicht wirklich nachgewiesen werden, welches der beiden Systeme effizienter ist als das andere.
Tatsächlich müsse man die Politische Ökonomie mit einbeziehen. Beide Krankenversicherungssysteme sind ein "Instrument der verdeckten Umverteilung", glaubt er. Sein Gegenvorschlag lautete, modulare Krankenversicherungsverträge zu entwickeln, bei denen der Kunde für bestimmte körperliche Grundfunktionen und je nach individueller Gesundheitssituation zwischen einer kostengünstigen integrierten oder einer klassischen Vollversorgung wählen kann. Wenn die Anreizsysteme entsprechend gesetzt sind, könne die PKV damit unerwünschten Selektionseffekten wirksamer als heute vorbeugen. Er forderte die PKV auf, „den Kampf um den Kunden zu führen“. Die PKV sei dabei besser aufgestellt als die GKV.
Bild: Techniker Krankenkasse
Autor(en): Matthias Beenken