Solvency nimmt (endlich) konkrete Formen an

Die europäische Aufsichtsbehörde für Versicherungen EIOPA hat kürzlich die Leitlinien für die Teileinführung von Solvency II veröffentlicht, die wohl auch in deutsches Recht umgesetzt werden.

Die Herausforderungen, oft technischer Natur, sind groß, aber den Versicherern bleibt zur Umsetzung vergleichsweise wenig Zeit. Gerade die Bedeutung des ORSA (Own Risk and Solvency Assessment) für die Unternehmen wird oft noch unterschätzt. So jedenfalls die Einschätzung von Thorsten Henkel, Consultant bei Towers Watson.

Fragen wie folgende seien berechtigt: Welchen Mehrwert bringt die Implementierung der Leitlinien für das Risikomanagement, wenn bislang entscheidende Fragen zur Kapitalhinterlegung bei klassischen Lebensversicherungsprodukten noch nicht endgültig geklärt sind? Wieso sollte es nicht ausreichen, mit geringem Aufwand zu starten und dann sukzessiv die Qualität zu verbessern, wenn doch zunächst ohnehin keine aufsichtsrechtlichen Konsequenzen zu befürchten sind?

Stillstand ist keine Option
Die Messlatte der BaFin an das Risikomanagement werde spürbar höher sein als vor Umsetzung der Leitlinien.
Die Versicherer müssten nun die Auswirkungen der neuen Anforderungen in ihre Projektpläne einarbeiten und entsprechende Prioritäten setzen. Bei der Umsetzung der Governance-Anforderungen seien viele Gesellschaften in ihren Vorbereitungen dank der 2009 eingeführten MaRisk schon weit vorangeschritten. Dies gelte in abgeschwächter Form auch für die Umsetzung der Berichterstattungs-Leitlinien, wobei manchmal noch an der Robustheit der Ergebnisse gearbeitet werden müsste. Aufholbedarf bestehe vor allem bei den Anforderungen des ORSA:
  • Einschätzung des aktuellen ökonomischen Kapitalbedarfs,
  • Abweichung des eigenen Risikoprofils von den Annahmen, die der aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderung zugrunde liegen (Angemessenheit der Standardformel),
  • Beurteilung der zukünftigen Solvabilität mit Szenariorechnungen und Analyse und Bewertung von Kapitalmanagementoptionen.

Der ORSA werde mittelfristig bei einigen Gesellschaften zu weitreichenden Konsequenzen führen, wenn zum Beispiel der ökonomische Kapitalbedarf sogar noch höher sein sollte als derjenige nach Säule 1, oder einfach durch Erkenntnisgewinne anhand von Geschäftsplanung auf Basis von risikoorientierten, ökonomischen Kennzahlen anstatt von Solvency I.

Angemessenheit der Standardformel
Die meisten Gesellschaften planten für die aufsichtsrechtliche Kapitalanforderung mit der Standardformel zu rechnen. Der Name Standardformel sei jedoch trügerisch. Gesellschaften müssten dennoch hingehen und deren Angemessenheit prüfen und gegebenenfalls bei stark abweichendem Risikoprofil an einzelnen Stellen eine andere Kalibrierung oder eine eigene Methode entwickeln.

Unternehmen müssen die Aspekte nun noch mit Leben füllen
Mit den Leitlinien sei die Messlatte für eine Zukunft mit Solvency II gelegt: Eine europaweit konsistente Vorbereitung auf das Mammutprojekt sei sichergestellt und die wichtigsten Aspekte des prinzipien- und risikobasierten Aufsichtssystems müssten nun in den Unternehmen gelebt werden.

Doch die Versicherer plage noch die derzeitige Unsicherheit, wie streng die Aufsicht die Leitlinien in ihren Prüfungen auslegen werde und welche Maßnahmen hinsichtlich klassischer Lebensversicherungsprodukte auf politischer Ebene ergriffen werden beziehungsweise mit welchen Zwischenlösungen hier gearbeitet werden solle.
Abhängig von den Entscheidungen hierzu könne die Bedeutung des ORSA sogar noch weiter steigen, während Säule 1 zu einer reinen Compliance-Übung verkommen könnte.

Quelle: Towers Watson

Autor(en): versicherungsmagazin.de

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