Turbulenzen nun auch im Gewerbemarkt

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Viele Unternehmen in Deutschland bekommen für 2023 keinen ausreichenden Versicherungsschutz. „Aktuell müssen unsere Kunden leider lernen, dass sie nicht immer den Versicherungsschutz bekommen, den sie sich wünschen“, sagte Thomas Haukje, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Versicherungsmakler (BDVM) anlässlich der Jahrespressekonferenz in Hamburg.

Selbst wenn die Gewerbe- und Industriekunden bereit wären deutliche Prämienerhöhungen zu akzeptieren, wären in vielen Sparten die Versicherer nicht bereit, die Kunden in vollem Umfang abzusichern. „Wir müssen dann oft eine schlechte Botschaft, nämlich Prämienerhöhungen und Einschränkungen unseren Kunden überbringen“, erläuterte der BDVM-Präsident. „Das machen wir aber erst, wenn wir den Markt regelrecht durchpflügt haben.“

Weiterhin oft zweistellige Prämienerhöhungen

In der Sachversicherung sollten nach Meinung von Haukje nach rund fünf Jahren Sanierung die außerordentlichen Prämienerhöhungen eigentlich beendet sein. Trotzdem rechnet er für 2023, neben Erhöhungen aufgrund von Summenanpassungen, mit durchschnittlichen Preissteigerungen von fünf bis zehn Prozent. Schwere Risiken aus den Branchen Holz, Chemie, Fleisch und Galvanik, hätten weiterhin damit zu kämpfen, überhaupt vollen Versicherungsschutz zu bekommen. Zudem sieht Haukje die Haftpflicht als „neues Sorgenkind“ an. Hier könnte es zu Nachreservierungen kommen. Zudem würden schwere Risiken aus dem Bereichen Chemie, Pharma, Medizinprodukte, Lebensmittel, Automotive sowie US-Risiken „hart angepackt.“

Cyberschäden beherrschbar

Nachdem im vorigen Jahr in der Cyberversicherung Prämienerhöhungen von bis zu 300 Prozent durchgesetzt wurden, geht der BDVM derzeit davon aus, dass sich der Markt beruhigt hat – trotz wöchentlicher Großschäden. „Cyberschäden können vermieden oder zumindest deutlich abgeschwächt werden, wenn die Kunden 15 Punkte zur IT-Sicherheit einhalten“, sagte Sven Erichsen von der Finlex GmbH. Dann wären Cyberschäden wie Feuerschäden beherrschbar.

Trotzdem geht der Experte für Cyberschutz davon aus, dass weiterhin Prämienerhöhungen von 50 bis 100 Prozent möglich sind. Betroffen, wenn auch nicht flächendeckend, wären nun auch Gewerbebetriebe. BDVM-Chef Haukje rechnet damit, dass die Erneuerung des Versicherungsschutzes in diesem Jahr bei einigen Kunden bis zum Silvesterabend dauern könnte. Die Versicherungsmärkte sein unverändert volatil und kaum berechenbar. Grund sind die Nachwirkungen von Corona, der Ukraine-Krieg, Unterbrechungs- und Lieferkettenrisiken, Klimawandel, Cyberkriminalität, Energiekrise und Inflation. Zudem setzt der Fachkräftemangel sowohl den Versicherungsmakler als auch den Versicherern zu. Schwieriger wird nun auch das Versicherungsangebot für Gewerbetreibende.

Für den Gewerbemarkt fehlen Underwriter

Auch hier erwartet der Verband Prämienanpassungen. Sie würden sich schon durch gleitende Neuwertklauseln ergeben und wären zudem von der Flut „Bernd“ in 2021 und der Inflation getrieben. Besonders Versicherer, die in den letzten Jahren im Gewerbemarkt stark gewachsen sind, würden aktuell ihre Bestände überprüfen. Schwierigkeiten gibt es dann zusätzlich, weil vor allem für den Gewerbemarkt Underwriter fehlen würden. „Es gibt Gewerbekunden mit höchster Komplexität, die man nicht digital einfach in eine Bündel- oder Multiline-Police packen kann, sondern individuell beraten muss“, sagte Haukje.

Ärger mit Schadenregulierung

Noch immer sind nach Schätzung des BDVM über 50 Prozent aller Gewerbebetriebe in Deutschland direkt über die Ausschließlichkeit versichert. Angesichts nun stark steigender Prämien dürfte das für viele nachteilig sein. „Wir rufen aber nun nicht zum Wechsel auf“, sagte BDVM-Vizepräsidentin Julie Schellack. Jeder Unternehmer werde aber mit offenen Armen empfangen und dann dauerhaft beraten. Nur über Versicherungsmakler könnten auch Gewerbetreibende eine transparente Übersicht über den Markt erhalten. Nach Eindruck von Schellack gibt es derzeit mehr Problemfälle im Bereich der Schadenregulierung.

Betroffen sind aber in der Regel Industrieunternehmen, die einen Großschaden haben. Es würden beispielsweise immer wieder Verstöße gegen Obliegenheiten ins Feld geführt. Einig ist man sich beim BDVM, dass diese Schwierigkeiten bei der Schadenregulierung nicht systemisch sind, sondern vielfach durch den Mangel an Fachkräften hervorgerufen werden. „Immer wieder kommt es zudem vor, dass Sachbearbeiter übereifrig sind“, stellte Haukje fest. So wäre ein mutwilliger Brandschaden durch Feuerwerkskörper vom Mitarbeiter einer Assekuranz als Terroranschlag bewertet und anfänglich nicht reguliert worden. „In der Regel sind die Fachabteilungen aber zu einem sachlichen Dialog bereit“, betonte Schellack. Und würde eine Regulierung tatsächlich eskalieren, könnten die BDVM-Makler notfalls die Vorstände „wachküssen“. Dann gebe es fast immer ein Einlenken.

BDVM-Makler für 2023 optimistisch

Trotz der schwierigen Situation auf dem Versicherungsmärkten sind die BDVM-Versicherungsmakler optimistisch. Zwar habe der Ukraine-Krieg bei einigen Mitgliedsunternehmen schon 2022 Spuren hinterlassen, doch für das kommende Jahr erwarten 59 Prozent der 131 befragten Unternehmen weiter steigende Courtage-Einnahmen. 2021 waren es 61 Prozent gewesen (siehe auch Grafik).

Courtage-Einnahmen

„Wir haben diese Umfrage aber vor vier Wochen gemacht“, erläuterte Hans-Georg Jenssen, Geschäftsführender BDVM-Vorstand. „Heute dürfte die Zuversicht angesichts der Energiekrise schon wieder geringer sein.“ Überwiegend wären die BDVM-Makler zudem nur im Sachgeschäft tätig, denn in der Lebens- und Krankenversicherung liefen die Geschäfte bei weitem nicht so gut. Daher mahnte Jenssen, der 2023 in den Ruhestand geht, die Branche noch einmal eindrücklich in der Lebensversicherung endlich Pflöcke einzuschlagen und ein standardisiertes Altersvorsorgeprodukt vorzustellen. Andernfalls könnte es passieren, dass die Politik sich für ein Modell entscheide, an dem Lebensversicherer nicht mehr beteiligt wären.

Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek

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