Über eine Milliarde Einsparpotenzial

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Die britische Finanzaufsicht FCA hat am Freitag einen ersten Bericht zu ihren Ermittlungen über die Preispolitik der Sachversicherer  veröffentlicht. Im Zentrum stehen Kfz- (Motor) und kombinierte Gebäude- und Hausratpolicen (Home) für Privatkunden. Der Markt wird mit 18 Milliarden FBP Bruttoprämienvolumen eingeschätzt.

Zum Vergleich: In Deutschland setzen die Sachversicherer rund 28 Milliarden Euro mit Kfz- und gut neun Milliarden Euro mit Gebäude- und Hausratversicherungen um, das sind umgerechnet rund 83 Prozent mehr als in Großbritannien. Allerdings sind hierzulande auch rund 60 Prozent mehr Wohnungen versichert sowie fast doppelt so viele Fahrzeuge zugelassen.

Sechs Millionen Kunden werden benachteiligt

Die britische Finanzaufsicht schätzt, dass sechs Millionen Versicherte ihre Versicherung preiswerter abschließen und in Summe 1,2 Milliarden GBP an Prämien einsparen könnten. Das entspräche rund sieben Prozent der gesamten Prämieneinnahmen.

Der Einsparungsbedarf ergibt sich dabei ausdrücklich nicht etwa aus einer überzogenen Kalkulation der Risikoprämie und der Betriebskosten, sondern es wird die Gewinnmarge der Versicherer und ihrer Vertriebspartner in die Kritik genommen. Neukunden bekämen Versicherungen billiger angeboten, um sie dann bei den jährlichen Erneuerungsrunden - in Großbritannien sind Mehrjahrespolicen sowie Policen mit automatischer Verlängerung ohne besonderes Verlängerungsangebot nicht zulässig - anzuheben, jedenfalls wenn sich der Kunde nicht die Mühe macht Jahr für Jahr neu zu vergleichen und den Versicherer zu wechseln.

Zwar werden andere Versicherungen wie Kranken-, Tier- und Reiseversicherungen explizit ausgenommen, aber die FCA stellt unverhohlen in Aussicht, die Erfahrungen mit den Sparten Motor und Home Insurance auf weitere Versicherungen anzuwenden und die Regulierung auszudehnen.

Überaus aufwändige Erhebung

Die Erhebungen wurden bei einzelnen Großvermittlern durchgeführt und sollen repräsentativ für 23 Prozent des Home- und 69 Prozent des Motor-Marktes sein. Geprüft wurden die Preise in einem Fünfjahreszeitraum von 2014 bis 2018. Zusätzlich wurden Finanzdaten der Versicherer und Antworten auf eine marktweite Befragung herangezogen. Weiter wurden 3.500 Kunden der Home- und 6.800 Kunden der Motor-Versicherung online sowie weitere gut 600 Kunden beider Versicherungen telefonisch interviewt. Die Methodenvielfalt ist ungewöhnlich groß.

Als einer der Gründe für die Untersuchung wird die in Großbritannien erst zum 1. Oktober 2018 umgesetzte Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD genannt. Sie sieht zum einen vor, dass Kunden in ihrem bestmöglichen Interesse zu behandeln sind. Zum anderen sollen Versicherer oder Vermittler bei der Produktentwicklung die Kundeninteressen in ein förmliches, internes Genehmigungsverfahren einfließen lassen. Das wiederum könnte ein willkommener Ansatzpunkt für Aufsichtsbehörden sein, die Bedarfsgerechtigkeit von Versicherungen kritisch zu hinterfragen und von den Versicherern Rechenschaft zu verlangen – obwohl es keine materielle Versicherungsaufsicht mehr geben darf.

Direkt oder per Vergleichsportal

Die hier untersuchten Produkte werden häufig direkt abgesetzt, insbesondere Motor (60 Prozent), aber auch 27 Prozent bei Home. Traditionelle Vermittler spielen untergeordnete Rollen: Ausschließlichkeitsvertreter setzen nur zwei beziehungsweise sechs Prozent der Motor- und Home-Policen ab, andere Vermittler einschließlich Vergleichsplattformen 31 beziehungsweise 34 Prozent. Bei Home kommen Banken auf 24 Prozent und der Einzelhandel auf neun Prozent Marktanteil.

Die britische Finanzaufsicht stört sich an der Preisdiskriminierung, durch die zum einen Kunden individuell geschädigt werden, zum anderen aber auch der Wettbewerb leidet. Zudem habe man nicht erkennen können, dass Versicherer, so wie von ihnen selbst behauptet, ihre Angebote im Neugeschäft nach der langfristigen Profitabilität der Kunden ausrichten. Neugeschäft wird also mit Preisnachlässen eingeworben, ganz gleich ob die Kunden später treu bleiben oder rasch wieder wechseln. Besonders zu leiden haben "verletzliche" Kunden, also vor allem solche mit geringen Einkommen, geringer Bildung oder höherem Alter, die sich nicht gegen Prämienanpassungen durch Suche nach günstigeren Versicherungen wehren.

Wie viel mehr treue Kunden zahlen

Konkret bezahlen Bestandskunden beispielsweise 21 Prozentpunkte mehr Gewinnmarge innerhalb ihrer Hausratprämie gegenüber einem Neukunden. Bei reiner Gebäudedeckung sind es 16 Prozentpunkte Aufschlag, bei kombinierten Policen 17 Prozentpunkte. Kfz-Bestandskunden müssen mit elf Prozentpunkten mehr Margenanteil in ihrer Prämie rechnen als die Neukunden. Das Ganze steigt mit der Dauer der Kundenbeziehung an, nach zehn Jahren Treue zahlt zum Beispiel der Kfz-Kunde 25 Prozentpunkte mehr Gewinnanteil in seiner Prämie, bei Home sogar rund ein Drittel mehr.

Bemerkenswert ist, dass in der Studie auch die Wechselkosten aus Sicht des Kunden als bewerteter Zeitaufwand berücksichtigt werden. So würden durchschnittlich 18 (20) GBP für die Suche und 20 (22) GBP für das Wechseln des Home- oder Motor-Versicherers anfallen. Auch bei den Versicherern selbst wurden erhebliche Vertriebs- und Marketingkosten für das Neugeschäft festgestellt, der Kostenblock sei mit fast zwei Milliarden GBP der zweitgrößte nach den Schadenkosten. Bei Home macht das 29 Prozent, bei Motor sieben Prozent der Prämieneinnahmen aus. Weiter wird aufgezeigt, dass die Versicherer selbst zwar das Geschäft profitabel betreiben können, aber mit vergleichsweise knappen Margen. Deutlich besser kommen Vermittler und ganz besonders Vergleichsportale davon, letzteren wird ein operativer Gewinn von 53 (39) Prozent an der Vermittlung von Home- und Motor-Policen bescheinigt.

Ideologie statt Fakten

Eine solche Sorgfalt beim Aufbau eines tiefen Verständnisses, wie ein Versicherungsmarkt funktioniert und welche Eingriffe überhaupt sinnvoll wären, wünscht man sich auch beim deutschen Gesetzgeber. Der fällt eher durch Ideologie als durch wissenschaftlich fundiert und fair erhobene Fakten auf, wenn Gesetzesvorstöße wie das Provisionsdeckelgesetz begründet werden.

Autor(en): Matthias Beenken

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