Versicherer sehen noch viele Hürden auf dem Weg zum autonomen Fahren

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"Autonome Versicherungsvisionen sind für eine Branche, die Jahrzehnte lang ein stabiles Geschäftsmodell gelebt hat, eine echte Herausforderung. Die Versicherer sind aber bereit und fähig, sich dieser zu stellen", begrüßte Meris Neininger, Chefin vom Dienst bei Versicherungsmagazin, die Teilnehmer der Fachtagung "Automatisiertes Fahren 2019" der Automobilzeitschrift ATZ und Versicherungsmagazin.

Fahrerassistenzsysteme können Unfälle deutlich vermindern. Diese Aussage belegte der Referent Johann Gwehenberger (im Bild) vom Allianz Zentrum für Technik (ATZ) mit vielen Zahlen. Seit mehr als einem Jahrzehnt analysiert die Unfallforschungsabteilung des AZT Kfz-Unfälle. Mehr als 30.000 Schadenfälle haben die Analysten in ihrer Datenbank. Gwehenberger erläuterte, dass sich beispielsweise durch autonome Notbrems-Systeme 50 Prozent der Auffahrunfälle vermeiden lassen. Das bedeute aber auch, dass sich 50 Prozent Unfälle ereigneten. "Wir Versicherer werden nicht aussterben", ist er sich sicher.

Technik ist nicht disruptiv

Den durch Presse und Unternehmensberatungen verbreiteten Szenarien, dass in wenigen Jahren 90 Prozent der Fahrzeuge autonom fahren würden, erteilte er eine klare Absage. "Die Technik wird nicht disruptiv sein, weil wir noch viele Probleme zu lösen haben", so seine Einschätzung. Der Experte zählte eine Reihe für die Versicherer kritischer Szenerien auf: Spurwechsel, Hindernisse, Interaktionen mit Verkehrsteilnehmern oder die IT-Sicherheit.

Damit teil- und vollautomatisiertes Fahren von der Gesellschaft akzeptiert werde, müssten Unfälle mit automatisierten Fahrzeugen in Bezug auf Haftung und Verantwortung zweifelsfrei aufklärbar sein. Es müsse auch möglich sein, die Sicherheit automatisierter Systeme zu überwachen und zu bewerten. Dazu benötigten die Versicherer sowohl Objekt- als auch Umgebungsdaten. Falls die Voraussetzungen gegeben seien, könnten sie auch autonom fahrende Fahrzeuge versichern.

Kfz-Versicherung ist wichtigste Sparte in Schaden- und Unfallversicherung

Auch Andreas Kelb, Bereichsleiter, E+S Rückversicherung fürchtet nicht, dass die Telematik auf kurze Sicht den deutschen Kfz-Markt durcheinanderwirbeln wird. Die gesamte Kfz-Versicherung ist in der Schaden- und Unfallversicherung mit einem Volumen von knapp 28 Milliarden Euro die wichtigste Sparte.

Während in der Kfz-Haftpflicht sowie Vollkaskoversicherung die Schadenfrequenzen seit Jahren leicht rückläufig sind, steigen die Durchschnittsschäden permanent. Dies liege neben der höheren Fahrzeugdichte mit sinkenden individuellen Kilometerleistungen auch an den technischen Systemen über die viele Fahrzeuge mittlerweile verfügten. Diese verteuerten die Reparaturen.

Marktdurchdringung wird schleppend verlaufen

Nach Einschätzung seines Hauses ist Telematik immer noch ein Thema im Markt. Es gebe eine Entwicklung weg von eingebauten Boxen oder Steckern hin zu technisch einfacheren Lösungen etwa Smartphone-Applikationen. Kelb berichtete, dass sein Haus ein Telematik-Produkt entwickle, das auf Hardware verzichte und über eine App funktioniere. Das Angebot werde derzeit noch getestet und voraussichtlich im Spätsommer ausgerollt.

Das autonome Fahren wird laut dem Experten in den kommenden Jahren keine Effekte in Bezug auf Risiko- und damit Prämienminderung haben. Da das aktuelle Durchschnittsalter eines Pkws in Deutschland fast zehn Jahre betrage, werde der Markt nur sehr schleppend von der neuen Technik durchdrungen. Von etwa 53 Millionen Pkw im Jahr 2025 würden maximal zehn Prozent entsprechend ausgestattet sein. "Kfz wird auch über 2030 hinaus ein bewährtes Geschäftsmodell der Versicherer bleiben", so seine Prognose.

Warum die R+V mit autonomen Shuttles experimentiert

Warum die R+V Allgemeine Versicherung autonome Shuttles betreibt, erklärte Verena Reuber, Leiterin des gleichnamigen Projekts. Seinen Ursprung hat das Projekt im Innovationlab MO14 des Versicherers. Dieses wurde im Herbst 2016 mit dem Ziel gegründet, sich abseits der gewohnten Pfade mit der Mobilität der Zukunft auseinanderzusetzen. Die R + V entschloss sich 2017, in zwei hochautomatisierte Fahrzeuge zu investieren und  die neue Technik und deren Chancen und Risiken kennenzulernen, zu verstehen und abzusichern.

Die erste Hürde war die Zulassung der hochautomatisierten Fahrzeuge durch den TÜV. Dies erwies sich als schwieriges Unterfangen, da es 2017 noch keine Prüfkategorie gab. Gemeinsam mit dem TÜV entwickelte der Versicherer ein Lastenheft. "Wir haben sehr viel dadurch gelernt", beschrieb Reuber diese Zeit. Sowohl klassische Untersuchungen wie Brems- und Beschleunigungstest aber auch Überprüfungen des autonomen Modus mussten vorgenommen werden.

Um die selbstfahrenden Fahrzeuge in möglichst unterschiedlichen Verkehrssituationen zu erproben, wurden sie in vier Testfeldern mit jeweils variierendem Fokus eingesetzt: Auf dem Frankfurter Flughafen, auf dem Firmengelände der Behringwerke in Marburg, im öffentlichen Raum in Wiesbaden und in Mainz. In jedem Szenario mussten sich die Fahrzeuge anderen Schwierigkeiten stellen:

  1. Abwechslungsreicher Fließverkehr auf dem Flughafengelände,
  2. Temperaturen um den Gefrierpunkt und eine starke Steigung/Gefälle stellten den Motor in Marburg vor Herausforderungen,
  3. Öffentlicher Fließverkehr beim Transport von R+V-Mitarbeitern in Wiesbaden,
  4. Interaktion mit Fußgängern und Fahrradfahrern auf der Rheinpromenade in Mainz. Hier musste das Fahrzeug auf nichtmotorisierten Individualverkehr reagieren.

Während des Testbetriebs sind keine Unfälle passiert, so die Projektmanagerin. Da die Testfelder wissenschaftlich begleitet wurden, habe man viele Erfahrungen und Erkenntnisse vor allem in den Bereichen der Akzeptanzforschung und der technischen Analyse sammeln können. 

Autor(en): Alexa Michopoulos

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