Warum Vorsorge-Verkauf so schwer ist

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Kunden werden mit Informationen überflutet, dennoch wird allerorten mehr Transparenz gefordert. Regulierer überbieten sich mit Vorschlägen dazu. Aber die Kunden wollen einfach nicht verstehen, wie rational es ist, für das Alter vorzusorgen. Was ein Psychologe und ein Komiker dazu zu sagen haben.

"Die meisten von uns denken viel über Geld nach: darüber, wie viel Geld wir haben, wie viel wir brauchen, wie wir an mehr herankommen können, wie wir das, was wir haben, bewahren können, und wie viel unsere Nachbarn, Freunde und Kollegen verdienen, ausgeben und sparen." So leiten der amerikanische Psychologe und Verhaltensforscher Dan Ariely sowie der Komiker und Autor Jeff Kreisler ihr Buch über Geld ein.

Schlechte Geldentscheidungen sind die Regel

"Es wäre in Ordnung, viel über das Geld nachzudenken, wenn uns das dabei helfen würde, bessere finanzielle Entscheidungen zu fällen", heißt es weiter. "Aber so ist es nicht. Die Wahrheit ist, dass schlechte Geldentscheidungen ein Merkmal des menschlichen Verhaltens sind."

Und das führt beispielsweise dazu, dass Amerikaner nur rund ein Zehntel dessen ansparen, was sie für den Ruhestand eigentlich bräuchten. Anders ausgedrückt muss ein Amerikaner bis Alter 80 weiterarbeiten, weil er zu wenig gespart hat - wird aber im Durchschnitt nur 78. Nun ist die vorherrschende Vorsorge-Struktur in den USA nicht unmittelbar mit der deutschen vergleichbar - oder vielleicht doch?

Es lohnt sich, über diese Frage nachzudenken, und dabei die deutsche Übersetzung dieses Buchs zu lesen, das bewusst leicht verständlich für ein breites Publikum geschrieben wurde. Die darin enthaltenen Erkenntnisse sind nicht neu. Wer sich schon einmal intensiver mit Ergebnissen der Behavioral Finance-Forschung befasst hat, wird das Buch als eine unterhaltsame Zusammenfassung dieses seit einigen Jahren sehr angesagten Forschungsbereichs der Ökonomie erkennen. Alle anderen dürften in der sehr verständlichen und passagenweise auch lustigen Abhandlung etliche Aha-Erlebnisse haben.

Rabatt-Wunsch

So erfährt man unter anderem, warum Menschen lieber Waren mit Rabatt kaufen, der vorher auf den Preis aufgeschlagen wurde, anstatt einen "ehrlichen" Preis ohne Rabatt-Mätzchen. Ist das übertragbar auf Versicherungen?

Nur bedingt, in der Lebens- und der nach Art der Lebensversicherung kalkulierten Krankenversicherung wäre das wohl nicht mit den Kalkulationsvorschriften vereinbar. In der Kompositversicherung ist das aber nicht undenkbar. Mit Rationalität von Finanzentscheidungen hätte das nichts zu tun - aber die "Wünsche" des Kunden sind nach VVG eines der beiden wichtigen Kriterien für den Rat, den Versicherer und Vermittler diesem geben sollen.

Kunden kann man sich schlecht rational denken

Ähnliches gilt auch für die Relativität von Preisen. Ein und derselbe Wein im Restaurant kostet ein Vielfaches dessen, was ein Kunde im Supermarkt dafür ausgeben würde, selbst bereinigt um die Kosten der Bedienung, zeigen Ariely und Kreisler auf. Wäre es nicht denkbar, dass auch ein und dieselbe Versicherung Unterschiedliches kosten darf, je nachdem ob sie beim Internet-Discounter oder in einem edlen Makler- oder Vertreter-Büro erworben wurde? Das könnte beispielsweise etwas die Furcht vor dem Thema Honorar und der Akzeptanz beim Kunden nehmen.

Weiter erfährt man im Buch, wie man "Ablenken und ködern" kann. Diese Passagen dürften eingefleischten Verbraucherschützern geradezu körperliche Schmerzen zufügen. Aber Realität und Wunschtraum des Rationalisten sind ganz oft weit voneinander entfernt, das wird in dem Buch immer wieder herausgearbeitet.

Schmerz-Erlebnisse und das richtige Timing

Lesenswert für Versicherungs-Manager könnte auch das Kapitel zur "Schmerz-Vermeidung" sein. Im Buch wird dies insbesondere am Beispiel des Urlaubs diskutiert, wie die Bewertung eines an sich wunderschönen Urlaubs kippt, wenn gegen Ende Erwartungen der Kunden enttäuscht werden. Übertragen auf eine Lebensversicherung könnte das der Schmerz einer lieblosen Überweisung einer unter den Erwartungen liegenden Auszahlung sein, oder in einer Schadenversicherung ein unüberlegter, rein verwaltungstechnisch organisierter Vorgang "Schadenbearbeitung" ohne jegliche Anteilnahme am Kunden und seiner Situation. Das könnte dann der "Schmerz" am Ende einer Versicherungs-Beziehung sein.

Auch der Zahlungszeitpunkt hat eine wichtige Bedeutung. Reisen muss man bewusst oft lange im Voraus zahlen. "Wenn wir etwas bezahlen, bevor wir es konsumieren, dann ist der Konsum beinahe schmerzlos", erklären die Autoren, und die Leistung wird viel unbeschwerter und unkritischer genossen, als wenn erst nach deren Durchführung die Zahlung droht. Das könnte animieren, über vermehrte Angebote von Einmalzahlungen für Versicherungsprodukte nachzudenken.

Der berühmte "Framing-Effekt" wird ebenfalls vorgestellt, hier als Anker bezeichnet. Ein schon sehr altes Beispiel aus der Szene der Immobilienmakler zeigt, das selbst Voll-Profis in ihrem Werturteil keineswegs frei sein von äußeren Einflüssen, insbesondere von Anker-Preisen für Immobilien, die ihnen genannt werden. Noch stärker gilt das für Laien. Allein die Produktinformations-Blätter und die Marketinginformationen von Versicherern sind gelebte Beispiele für Framing. Das könnte man auch zugunsten vernünftiger Finanzentscheidungen in der Vorsorge einsetzen.

Welcher Preis ist fair?

Vermittler sollten sich auch mit dem Thema Fairness näher auseinandersetzen. So wird am gut nachvollziehbaren Beispiel der Schlüssel-Notdienste, die zu horrenden Preisen die zugefallene Tür öffnen, aufgezeigt, wie irrational wir denken. Ein exzellent arbeitender Schlüsseldienst kann eine handelsübliche Tür innerhalb von wenigen Minuten praktisch ohne Beschädigung öffnen, ein schlecht ausgebildeter dagegen wird vielleicht eine Stunden brauchen und das Schloss dabei zerstören. Verrückterweise würde derselbe aufgerufene Preis - Beispiel 150 Euro - im ersten Fall als Wucher Empörung auslösen, im zweiten Fall aber als fair eingeordnet werden, weil der Kunde unwillkürlich den erlebten Zeitaufwand als Maßstab zugrunde legt.

Daraus den Rückschluss zu ziehen, dass ein schlecht ausgebildeter Vermittler, der stundenlang auf einen Kunden einredet und dabei Fehler auf Fehler häuft, leichter auf Akzeptanz des Kunden für seine Provision stößt als ein Voll-Profi, wäre sicher nicht sachgerecht. Aber das Beispiel gibt zu denken, ob nicht auch der Voll-Profi sich die Mühe machen sollte, den Kunden viel miterleben zu lassen, was er für ihn leistet. Er sollte dem Kunden zeigen und erläutern, was er auch außerhalb der unmittelbaren Kundengespräche für den Kunden tut - und zwar konkret und nicht nur abstrakt und allgemein wie beispielsweise der abgedroschene Spruch der Branche, man würde Service leisten. Die Versicherungsbranche sollte auch nicht dem Beispiel der Banken und mittlerweile sogar der Sparkassen folgen und reihenweise die Filialen schließen, wo man Mitarbeiter aus Fleisch und Blut erlebt, die für ihre Kunden arbeiten. Vielmehr sind Büros mit Kundenkontakt sehr wertvoll.

Auch Vermittler denken in Kategorien

Vermittler selbst neigen übrigens auch dazu, in solchen Kategorien zu denken, wie man aktuell in der Diskussion über einen geplanten Provisionsdeckel in der Lebensversicherung beobachten kann. Eingriffe bei der Provision werden als unfair abgelehnt, weil dann der Akquiseaufwand nicht mehr angemessen vergütet werde. Dabei ist die Provision gerade keine Aufwandsvergütung, sondern eine Erfolgsvergütung. Für eine 200.000 Euro-Beitragssumme-Lebensversicherung gibt es die doppelte Provision eines 100.000 Euro-Vertrags, obwohl derselbe Beratungsaufwand entstanden ist. Das aber empfinden interessanterweise in der Regel weder Vermittler noch Kunden als unfair.

Zusammenfassend gibt das Buch viele Anregungen, sich mit typischen Verhaltensweisen und deren Übertragbarkeit auf Versicherungen zu beschäftigen. An einigen Stellen werden die Leser auch explizit das Thema (freiwillige) Altersvorsorge vorfinden und vielleicht ein bisschen besser verstehen, warum der Kunde sich so schwer damit tut.

Lesetipp

Dan Ariely, Jeff Kreisler: Teuer ist relativ, Warum wir nicht mit Geld umgehen können, ISBN 978-3-430-2052-7, 20 Euro, 2018 Econ Verlag.

Cover Teuer ist relativ

Autor(en): Matthias Beenken

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