Wie Corona Kettenreaktionen auslöst und Branchen straucheln lässt

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Wenn Homeoffice tatsächlich das Arbeiten der Zukunft wird und Millionen Menschen hierfür nicht mehr jeden Tag pendeln, was hieße das für das Forderungsrisiko von Lieferanten und Dienstleistern? Wo steigen dann die Insolvenzen? Der Kreditversicherer Atradius hat sich diese Fragen in einer internen Analyse gestellt und dabei die Branchen identifiziert, in denen sich das Forderungsrisiko am stärksten erhöhen würde.

Seit Beginn der Corona-Pandemie ist die Zahl der Homeoffice-Stunden weltweit enorm gestiegen. Viele Unternehmen ziehen nun nach rund sieben Monaten ein positives Fazit zum „neuen Arbeiten“. So zeigten diverse Umfragen, dass viele Firmen es sich vorstellen können, auch nach der Corona-Krise an dieser Art des Arbeitens festzuhalten. Doch wenn Homeoffice tatsächlich das Arbeiten der Zukunft wird und Millionen Menschen hierfür nicht mehr jeden Tag pendeln, was hieße das für das Forderungsrisiko von Lieferanten und Dienstleistern? Wo steigen dann die Insolvenzen? Der Kreditversicherer Atradius hat sich diese Fragen in einer internen Analyse gestellt und dabei die Branchen identifiziert, in denen sich das Forderungsrisiko am stärksten erhöhen würde.

Kaum ein Unternehmen vermeldet ernsthafte Produktivitätseinbußen

 „Nur wenige Unternehmen dürften nach der Pandemie zum alten Präsenzmodell zurückkehren“, sagt Michael Karrenberg, Regional Director Risk Services Germany, Central, North, East Europe & Russia/CIS von Atradius. „Die vergangenen Monate haben vielen Firmen verdeutlicht, dass Homeoffice für sie besser und für mehr Aufgaben funktioniert, als sie vor der Covid-19-Pandemie dachten. Kaum ein Unternehmen erlitt hierdurch ernsthafte Produktivitätseinbußen. Durch die Zunahme des mobilen Arbeitens werden sich die Geschäftsaktivitäten aber örtlich verschieben. Das führt vor allem in den Branchen zu zunehmenden Unsicherheiten, deren Umsätze von den zahlreichen Pendlern in die Städte und den Büroarbeitern abhängen. Wie stark das Forderungsrisiko bei Geschäften mit ihnen steigt, ist von Abnehmer zu Abnehmer unterschiedlich. Langfristig wird der Prozess den Druck in mehreren Branchen jedoch insgesamt erheblich erhöhen.“

Zahlreiche Firmen werden bestehende Mietverträge nicht verlängern

Die seit Monaten verwaisten Schreibtische haben in vielen Unternehmen das Controlling auf den Plan gerufen, um zu analysieren, ob es in Zukunft überhaupt noch notwendig ist, für jeden Mitarbeiter einen festen Arbeitsplatz bereitzustellen und hierfür Flächen anzumieten. In vielen Fällen werden sich die Kosten als zu hoch erweisen, gerade bei großen Unternehmen belaufen sich die jährlichen Mietausgaben häufig auf mehrere Millionen Euro. In der Folge dürften zahlreiche Firmen ihre bestehenden Mietverträge in den kommenden Jahren nicht verlängern.

Das wiederum wird – sofern kein profitables Nachnutzungskonzept für die leeren Flächen vorliegt – die Erträge von Büroimmobilienfonds erheblich schmelzen lassen. Leidtragende dieser Entwicklung sind außer Privatanlegern auch zahlreiche institutionelle Investoren, die auf die Anlagegewinne angewiesen sind. Zu ihnen zählen unter anderem Banken, Pensionskassen, Investment- und Kapitalgesellschaften, Versorgungswerke, Sozialversicherungsträger, Krankenkassen, Vermögensverwaltungen, Kirchen, Vereine und Stiftungen. Bei ihnen könnten teilweise erhebliche Liquiditätslücken entstehen.

Dauerhaft leere Büros hieße auch dauerhaft geringere Umsätze für Kantinenbetreiber, vor allem, weil sie dann deutlich weniger Mittagsgerichte verkaufen. Ihr Insolvenzrisiko dürfte sich bei einem solchen Szenario in relativ kurzer Zeit stark erhöhen. Auch viele Gaststätten werden dann erhebliche Liquiditätsmängel erleiden und ein hohes Forderungsrisiko darstellen.

Weiterhin würden die Unsicherheiten bei Geschäften mit der Papierindustrie zunehmen. Das Homeoffice hat auch die Digitalisierung von Büroprozessen weiter beschleunigt, vor allem Druckerpapier wird in geringeren Mengen benötigt.

Textilbranche hat das höchste Insolvenzrisiko

Die Corona-Pandemie und die Ausweitung der Arbeit von zu Hause haben auch die Zahl der Geschäftsessen und -reisen erheblich reduziert. Dienstgespräche und Verhandlungen werden vermehrt über Videokonferenzen beziehungsweise am Telefon durchgeführt. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, führt das wiederum zu erhöhten Unsicherheiten bei Restaurants und auch bei Hotels, die von den Geschäftsreisenden abhängen. Darüber hinaus sinkt der Bedarf an Bürokleidung wie Anzüge, Krawatten oder Business-Kostüme. Dies wiederum wirkt sich erheblich auf Anbieter auswirken, die einen hohen Umsatzanteil mit Büromode erzielen. Unter allen deutschen Branchen bewertet Atradius die Textilbranche derzeit als diejenige mit dem höchsten Insolvenzrisiko. Die Bruttowertschöpfung dürfte in diesem Jahr um 13 Prozent gegenüber Vorjahr zurückgehen.

Automobilbranche wird zusätzlich belastet

Bei einem flächendeckenden Homeoffice-Szenario wird sich auch die Zahl Pendlerkilometer erheblich verringern. Das wiederum würde die Automobilbranche zusätzlich belasten, die sich seit rund zwei Jahren sowieso schon in einer schwierigen Situation mit erhöhtem Insolvenzrisiko bei zahlreichen Zulieferern befindet. Betroffen von dieser negativen Entwicklung wären auch Werkstätten und Tankstellen.

Auch bei den Geschäften in den Innenstädten und Fußgängerzonen würde es erhebliche Folgen nach sich ziehen, sollten ein Großteil der Menschen künftig hauptsächlich von zu Hause arbeiten. Zusätzlich schwächen würde dies vor allem jene stationären Einzelhändler, die über keinen Online-Vertriebskanal verfügen.

Wer die Gewinner der Krise sein werden

Andere Branchen wiederum dürften von einer dauerhaften Homeoffice-Ausweitung profitieren. Hierzu zählt vor allem die Informations- und Kommunikationstechnologiebranche (IKT), die dann mit zusätzlichen Umsätzen durch mehr verkaufte Laptops, Handys, Telefone, Software und Datenübertragungslösungen rechnen kann. Zu den Gewinnern zählen zudem Unternehmen, die Produkte und Dienstleistungen für das eigene Zuhause anbieten, unter ihnen vor allem Möbelanbieter, da viele Homeoffice-Arbeitsplätze neu eingerichtet werden müssten. 

„Das ‚neue Arbeiten‘ könnte zahlreiche, in den Städten etablierte Wertschöpfungsketten unterbrechen. Das wird sich mittelfristig auch auf das Zahlungsrisiko bestimmter Branchen auswirken“, vermutet Michael Karrenberg, Regional Director Risk Services Germany, Central, North, East Europe & Russia/CIS von Atradius.

Quelle: Atradius

Autor(en): Versicherungsmagazin

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