Eine 100%-Tochter ist nicht unabhängig

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Die Versicherungsgeschichte kennt eine Reihe Beispiele für Vermittler, die gleichzeitig als Makler und als Vertreter von Versicherungsunternehmen tätig waren, ebenso wie von Maklern, die von Versicherern aufgekauft wurden. Ein recht junges Maklerunternehmen, das von einem Versicherer überhaupt erst gegründet wurde, musste sich vor Gericht gegen den Vorwurf wettbewerbswidrigen Verhaltens verteidigen.

Im Jahr 2006 gründete die WWK Lebensversicherung mit der 1:1 Assekuranzservice AG ein Tochterunternehmen, das sich als Versicherungsvermittlerpool bezeichnet und eine Erlaubnis als Versicherungsmakler aufweist. Um dieses Unternehmen dürfte es wohl in einem Verfahren gegangen sein, das vor dem Oberlandesgericht (OLG) München mit einem Urteil vom 16. Jamuar 2020 (Az. 29 U 1834/18) endete.

Irreführung behauptet

Verklagt worden war das Unternehmen durch einen Versicherungsmakler, der der Meinung war, dass dieses Unternehmen nicht als Makler im Markt auftreten dürfe. Als 100-prozentige Tochter eines Lebensversicherers handele es um einen „Widerspruch“ oder sogar einen „institutionalisierten Interessenkonflikt“. Dadurch würde eine Irreführung im Wettbewerb erreicht. Weiter wurde eine Werbeaussage angegriffen, die jedenfalls bis Anfang 2017 verwendet wurde. Darin warb das beklagte Unternehmen mit den Worten, "Unabhängigkeit und Neutralität - wir sind unseren Kunden verpflichtet und vertreten ausschließlich deren Interessen".

Das Landgericht hatte der entsprechenden Unterlassungsklage stattgegeben. Das OLG revidierte das Urteil teilweise. Im Ergebnis hielt es nur die Werbeaussage zur vermeintlichen Neutralität und Unabhängigkeit für unzulässig, nicht aber die Tatsache, dass man als 100%-Tochter eines Lebensversicherers Makler sein kann.

Entscheidend bleibt die Gewerbeerlaubnis

Das OLG stellte klar, dass es keine Irreführung ist, wenn ein Versicherungsmakler im mehrheitlichen Besitz eines Versicherers steht. Die Tatsache Makler zu sein sei schon deshalb nicht unwahr, weil er über eine gültige Gewerbeerlaubnis als Makler verfügt. Als solche ist sie von der zuständigen Industrie- und Handelskammer erteilt worden. Eine vom Kläger behauptete allgemeine Erlaubnis nur als "Versicherungsvermittler" nach § 34d Absatz 1 GewO gibt es nicht, sondern stets eine Erlaubnis entweder als Versicherungsmakler oder als Versicherungsvertreter.

Der Gesetzgeber hat auch keinerlei Grenzen auferlegt, dass man zum Beispiel nicht als Versicherungsmakler zugelassen werden kann, wenn ein Versicherer mehr als 50 Prozent der Anteile an dem Maklerunternehmen hält.

Anteile schaden nicht, müssen aber genannt werden

Hinzu kommt, dass die Beteiligungsverhältnisse dem Kunden beim ersten Geschäftskontakt mitzuteilen sind, jedenfalls wenn ein Versicherungsunternehmen mehr als zehn Prozent Anteil an Kapital oder Stimmrechten des Vermittlers hält. So ist es in § 15 VersVermV beziehungsweise zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch im § 11 derselben Verordnung geregelt. Ganz offensichtlich gehe also der Gesetzgeber selbst davon aus, dass Versicherer Anteile auch an Versicherungsmaklern halten können, und zwar ohne diese in der Höhe zu beschränken.

Das ist gemessen an der alten EU-Versicherungsvermittlerrichtlinie und der aktuellen Versicherungsvertriebsrichtlinie zutreffend umgesetzt worden. In der Entstehungsgeschichte der Vermittlerrichtlinie gab es allerdings durchaus noch andere Gedanken hinsichtlich der mit dem Maklerstatus pauschal behaupteten Unabhängigkeit.

Vor 30 Jahren Unabhängigkeit ganzheitlicher definiert

So hatte die EG-Vermittlerempfehlung von 1991 noch vorgesehen, dass Vermittler nicht nur den Kunden "ihre etwaigen unmittelbaren rechtlichen und wirtschaftlichen Bindungen an ein Versicherungsunternehmen" offenlegen sollten. Sondern darüber hinaus hätten sie den Aufsichtsbehörden, in Deutschland also den Industrie- und Handelskammern, "die Aufteilung ihres Vorjahresgeschäfts auf die verschiedenen Versicherungsunternehmen" offenlegen sollen. Dahinter kann eigentlich nur die Idee gestanden haben, dass Vermittler ihre behauptete Unabhängigkeit und damit eine "völlig freie Wahl des Versicherungsunternehmens" beweisen müssen. Dass die 100%-Tochter eines Versicherungsunternehmens diesbezüglich Schwierigkeiten gehabt hätte, ist nicht von der Hand zu weisen.

Das jedenfalls hat das OLG München wohl auch so gesehen, wenn es die Vorinstanz darin bestätigt, dass eine werbliche Behauptung von Unabhängigkeit und Neutralität irreführend ist. Als Grund nennt das Gericht die Gefahr, dass die mit der Werbung angesprochenen Personen die Aussage missverstehen könnten, dass der Makler entgegen der Beteiligungsverhältnisse völlig unabhängig agieren kann. "Dies trifft indes nicht zu: die Beteiligung der X. Lebensversicherung an der Beklagten ist unstreitig eine Mehrheitsbeteiligung, Neutralität und Unabhängigkeit sind daher nicht gegeben."

Dass dies auch relevant ist für Kunden, ergibt sich wiederum aus der oben genannten Pflichtinformation über Beteiligungsverhältnisse beim ersten geschäftlichen Kontakt. Die Werbeaussage wird auch nicht quasi ausgeglichen dadurch, dass an anderer Stelle auf die Beteiligung eines Versicherers hingewiesen wird.

Der ganz und der nicht so unabhängige Makler

Im Ergebnis bedeutet das allerdings, dass es jedenfalls aus wettbewerbsrechtlicher Sicht neben dem von Natur aus von einem oder mehreren Versicherern abhängigen Versicherungsvertreter sozusagen zwei Kategorien Makler gibt: Zum einen den (wirklich) unabhängigen Makler und zum anderen den von einem oder mehreren Versicherern abhängigen Makler. Damit könnte man die Frage stellen, ob nur der (wirklich) unabhängige Makler als treuhänderischer Sachwalter des Kunden durchgeht und verpflichtet ist, seinen Rat auf eine objektive und ausgewogene Marktuntersuchung zu stützen.

Was gälte dann aber für den "abhängigen Makler"? Müsste der überhaupt noch wie in § 60 Absatz 1 Satz 2 VVG gefordert in jedem einzelnen Fall dem Kunden mitteilen, dass seine Versicherer- und Vertragsauswahl durch Interessen der Anteilseigner eingeschränkt sein kann? Eine wirklich zufrieden stellende Antwort darauf gibt es nicht.

Vielleicht war die Brüsseler Idee von 1991 doch bestechend, die "Unabhängigkeit der Vermittler" laut Artikel 3 EG-Vermittlerempfehlung davon abhängig zu machen, dass es weder die "völlig freie Wahl des Versicherungsunternehmens" einschränkende Anteilsverhältnisse noch faktisch eine einseitige "Aufteilung des Vorjahresgeschäfts auf die verschiedenen Versicherungsunternehmen" gibt. Kombiniert mit einem Bezeichnungsschutz dürfte sich nur noch derjenige als Makler bezeichnen, der beide Kriterien erfüllt. Ob es dann noch viele Makler in Deutschland gäbe, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Vielleicht ist deshalb auch diese sinnvolle Unabhängigkeitsdefinition auf dem Weg zur EU-Vermittlerrichtlinie von 2002 verloren gegangen und nie wieder aufgegriffen worden.

Autor(en): Matthias Beenken

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