6,5 Milliarden Euro Potenzial

Die ersten Meldungen über die laufende Verzinsung von Lebens- und Rentenversicherungen deuten einen Absturz an. Wurden im ablaufenden Jahr im Marktdurchschnitt noch um die vier Prozent gewährt, werden es wohl im kommenden Jahr deutlich unter vier Prozent werden. Neuanlagen können derzeit nur noch zu Zinsen angelegt werden, die unter den in den Beständen durchschnittlich vorhandenen Garantiezinsen liegen. Verschärft wird dies durch die Zinszusatzreserve, mit der das Delta zwischen älteren Garantiezinsen und aktuellen Kapitalanlageerträgen geschlossen werden soll.

Keine besseren Alternativen zur Altersarmut
Manche Versicherer, die auch in der Vergangenheit schon Probleme in der Lebensversicherung mit geringen Kapitalerträgen oder hohen Kosten oder beidem haben, verabschieden sich aus der klassischen, Deckungsstock-basierten Lebensversicherung und suchen ihr Heil in Biometrie- und in fondsgebundenen Produkten. "Gothaer fremdelt mit Lebensversicherung", lautete beispielsweise eine Schlagzeile in einer der letzten Ausgaben der Financial Times Deutschland.

Die herbe Kritik an der vermeintlich schlechten Rendite staatlich geförderter Rentenversicherungen leistet einen weiteren Beitrag zur Vorsorgeverdrossenheit. Beim AfW-Kongress in Berlin konnte einer der Wortführer der Anti-Lebensversicherungs-Front, Bund der Versicherten-Chef Kleinlein, auf die Frage nach den Vorsorgealternativen angesichts drohender Altersarmut für breite Bevölkerungskreise nur hilflos auf noch zu entwickelnde bessere, aber bisher nicht vorhandene Produkte verweisen. Auf wenig Verständnis der anwesenden Finanzvermittler stieß zudem seine Anregung einer Öffnung der Gesetzlichen Rentenversicherung für ergänzende Vorsorge.

Stark gestiegene Beitragseinnahmen
In einer aktuellen Studie versucht die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC, den Fokus auf den "Wachstumsmarkt betriebliche Altersversorgung" zu lenken. Sie sei "das größte und attraktivste Chancenfeld". Allerdings stelle sich die Frage, "Wo genau liegen die Potenziale und wie können sie gehoben werden?

Eine dynamische Entwicklung hat vor allem die Direktversicherung genommen. Die Beitragseinnahmen stiegen von 4,5 Milliarden Euro 2003 auf 6,2 Milliarden Euro 2011. Pensionskassen verzeichneten im selben Zeitraum einen Anstieg von 1,1 auf 2,8 Milliarden Euro. Die Rückdeckungsversicherung stieg leicht von 3,3 auf 4,1 Milliarden Euro. Auf niedrigem Niveau erfolgreich ist der Durchführungsweg Pensionsfonds, allerdings schwanken die Einnahmen sehr stark, weil hier Einmalbeiträge sehr dominant sind. 2011 waren 800 Millionen Euro Beitragseinnahmen zu verzeichnen.

PWC hat ein Marktmodell entwickelt, mit dem unter Nutzung statistischer Daten das Potenzial vor allem an Entgeltumwandlungen ermittelt werden kann. Darin wird beispielsweise berücksichtigt, dass eine Gehaltsumwandlung kaum von Niedrigverdienern vorgenommen werden kann, oder in welchen Bereichen andere Pflichtlösungen wie Versorgungswerke bestehen.

Knapp 13 Millionen Arbeitnehmer ohne bAV
Laut PWC sind von 25,9 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmern 22,9 Millionen für eine bAV adressierbar. Davon haben aber erst 5,1 Millionen eine arbeitgeberfinanzierte und 5,0 Millionen eine durch Entgeltumwandlung selbst finanzierte bAV. Es verbleiben damit 12,8 Millionen Arbeitnehmer ohne bAV.

Nach Unternehmensgröße gegliedert fällt auf, dass zwar der Durchdringungsgrad, also der Anteil der Arbeitnehmer mit bAV an allen adressierbaren Arbeitnehmern, mit der Unternehmensgröße steigt. Aber selbst bei den größten Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern hat längst nicht jeder Arbeitnehmer eine bAV. Zwar weisen die Unternehmen zu 100 Prozent bAV-Angebote auf, daran nehmen aber bisher nur 63 Prozent der Mitarbeiter teil. In den Unternehmen ab 250 beziehungsweise ab 500 Arbeitnehmer sinken diese Quoten auf 49 bezeihungsweise 55 Prozent. Bei den Unternehmen zwischen 250 und unter 500 Mitarbeitern sinkt zudem der Abdeckungsgrad der Unternehmen, sieben Prozent weisen keine bAV-Angebote auf.

Nachholbedarf bei der Entgeltumwandlung
Ganz bescheiden sieht es in dieser Hinsicht bei Kleinunternehmen aus. Unternehmen bis neun Mitarbeiter haben nur zu 39 Prozent ein bAV-Angebot, und nur 27 Prozent der Arbeitnehmer wandeln Entgelt um. Über alle Unternehmen und Mitarbeiter gesehen liegen die Durchdringungsraten bei jeweils 44 Prozent. Das Hauptpotenzial erkennt PWC nicht so sehr in der Gewinnung neuer Arbeitgeber für bAV-Programme, weil zumindest der Mittelstand und die Großunternehmen hier weitgehend abgedeckt sind, aber in der "Mobilisierung und Durchdringung der Arbeitnehmer".

Ein weiteres Mobilisierungspotenzial liegt generell in der Entgeltumwandlung. Denn bisher sind immer noch 79 Prozent aller Aufwendungen für die bAV durch den Arbeitgeber finanziert. Nur in der Direktversicherung gibt es eine Mehrheit von 64 Prozent zu Gunsten der Arbeitnehmerfinanzierung.

70 Prozent Steigerung möglich
Der Markt der bAV unterliegt aus Vertriebssicht durch Tarifvorbehalte starken Beschränkungen. Aber immerhin rund 2-2,8 Millionen unversorgte Arbeitnehmer sind bei Arbeitgebern beschäftigt, die weder eine bAV-Lösung besitzen noch einem Tarifvorbehalt unterliegen. Eine weitere geschätzte Million hat Arbeitgeber, die zwar einem Tarifvorbehalt unterliegen, aber bisher keine bAV-Lösung anbieten. Und rund 4-4,8 Millionen Arbeitnehmer ohne bAV sind bei Arbeitgebern beschäftigt, die zwar eine bAV-Lösung besitzen, aber keinem Tarifvorbehalt dafür unterliegen. Kaum zugänglich sind damit nur rund 4,4 bis 5,7 Millionen noch unversorgte Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber aber eine bAV-Lösung besitzt und einem Tarifvorbehalt dafür unterliegt.

PWC errechnet daraus ein ungehobenes Potenzial allein nur aus Entgeltumwandlungen von 6,5 Milliarden Euro jährlichen Prämieneinnahmen. Damit könnten die bisherigen Beitragseinnahmen aus Entgeltumwandlung um mehr als 70 Prozent gesteigert werden.Studienautoren sind Hendrik C. Jahn, Dr. Sebastian Tiedemann und Ralf Baldeweg.

Kontakte: Tel. 0211 981-1537, hendrik.jahn@de.pwc.com; Tel. 0421/8980-4977, sebastian.tiedemann@de.pwc.com; Tel. 040/6378-2304, ralf.baldeweg@de.pwc.com.

Autor(en): Matthias Beenken

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