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Transparenz in der Lebensversicherung

1. Begriff „Transparenz“ in der Assekuranz

Diskussionen über eine mangelnde Transparenz bzw. Forderungen nach einer Erhöhung der Transparenz in der Lebensversicherung stehen bereits seit mehreren Jahrzehnten v.a. im Fokus medialer Berichterstattungen. Veränderte Informationsbedürfnisse der (potenziellen) Versicherungsnehmer, u.a. ausgelöst von Verunsicherungen infolge der Finanzkrise, und die öffentliche Kritik von Verbraucherschützern an der „Black Box“ Lebensversicherung können beispielhaft als Gründe dafür genannt werden, dass die Erfüllung von Transparenzanforderungen bis in die Gegenwart zu den wesentlichen Herausforderungen der Lebensversicherungsbranche zählt. Dabei bleibt der Begriff der Transparenz nicht selten unbestimmt, eine allgemein gültige Definition liegt in der wissenschaftlichen Literatur nicht vor. Im Folgenden wird unter Transparenz die Bereitstellung von Informationen bzw. eines „Mehr“ an Informationen verstanden – i.S.e. quantitativen Erhöhung der Informationsmenge, v.a. aber einer Qualitätserhöhung, die zusammen zu einer Komplexitätsreduktion und mithin zu einem besseren Verständnis des Betrachtungsobjekts „Lebensversicherung“ führen.

2. Notwendigkeit von Transparenz in der Lebensversicherung

Die Notwendigkeit von Transparenz in der Lebensversicherung wird u.a. durch deren produktspezifische Besonderheiten determiniert. Zum einen bedingt der Dienstleistungscharakter (z.B. mit den Merkmalen Immaterialität und Abstraktheit), dass die Versicherungsnehmer das Produkt „Lebensversicherung“ und dessen Nutzen nur eingeschränkt verstehen. Zum anderen repräsentiert die Lebensversicherung ein Produkt von hoher Komplexität und mithin hoher Erklärungsbedürftigkeit, die v.a. auf die mathematischen Kalkulationsgrundlagen sowie auf die juristische Ausgestaltung eines Lebensversicherungsvertrags zurückgeführt werden können. Ebenso bestimmen die Besonderheiten des Lebensversicherungsmarkts die Notwendigkeit von Transparenz. Die im Zuge der Deregulierung entstandene Produktvielfalt erschwert es dem Versicherungsnehmer, das auf seine Bedürfnisse abgestimmte Produkt auszuwählen. Ferner induziert die Vielfalt an Produkten Unsicherheiten des Versicherungsnehmers und führt im schlechtesten Fall dazu, dass sich dieser in Gänze gegen einen Vertragsabschluss entscheidet. Für eine informierte Entscheidungsfindung beim Produktkauf stellen transparente, verständliche sowie strukturiert aufbereitete Produktinformationen für den Versicherungsnehmer eine wesentliche Grundlage dar, Vor- und Nachteile eines Produkts (z.B. in Bezug auf Preis, Leistungen, Kosten) abzuwägen und das für ihn passende Angebot zu wählen.

3. Gesetzliche Regelungen zur Transparenz in der Lebensversicherung

Die Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-InfoV) aus dem Jahr 2008 und das Gesetz zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte [LVRG] aus dem Jahr 2014 verfolgen – bezugnehmend auf die Lebensversicherung – u.a. das Ziel, zu einer Verbesserung der Transparenz in der Lebensversicherung beizutragen. Dafür wurden Vorschriften zur Kostentransparenz und zur Bereitstellung eines Produktinformationsblatts eingeführt. Die betreffenden Informationspflichten sollen dem Versicherungsnehmer zu einem Vergleich zwischen Produkten verschiedener Anbieter verhelfen und ihm auf deren Basis eine informierte Entscheidung ermöglichen.

Die Regelungen zur Kostentransparenz verpflichten Lebensversicherungsunternehmen zur Offenlegung aller Kosten, die in die Prämie einkalkuliert sind. Dabei sind die Abschlusskosten als einheitlicher Gesamtbetrag in Euro anzugeben, die übrigen in die Prämie einkalkulierten Kosten unter Angabe der jeweiligen Vertragslaufzeit als absoluter Anteil der Jahresprämie. Im Rahmen des Ausweises der übrigen in die Prämie einkalkulierten Kosten sind die Verwaltungskosten separat ebenso als Anteil der Jahresprämie sowie unter Angabe der jeweiligen Vertragslaufzeit darzulegen. Darüber hinaus sind mögliche sonstige Kosten in Eurobeträgen anzugeben, die dem Versicherungsnehmer einmalig oder aus besonderem Anlass in Rechnung gestellt werden können, wie z.B. Gebühren, die für die Ausstellung einer Ersatzurkunde erhoben werden. Die letztgenannten sonstigen Kosten müssen dabei nicht in die Prämie einkalkuliert sein. Ferner obliegt den Lebensversicherungsunternehmen die Angabe der Effektivkostenquote eines Lebensversicherungsvertrags (mit Ausnahme reiner Risikolebensversicherungsverträge), um dem Versicherungsnehmer aufzuzeigen, in welchem Umfang die Rendite eines Vertrags durch die damit einhergehenden Kosten reduziert wird. Dabei umfasst die Effektivkostenquote alle einkalkulierten Kosten: Abschluss- und Vertriebskosten, laufende Kosten sowie Fondskosten bei fondsgebundenen Produkten. (Bereits im Jahr 2011 hat der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. die Angabe einer Gesamtkostenquote auf freiwilliger Basis empfohlen. Nur wenige Lebensversicherungsunternehmen schlossen sich in der Folgezeit dieser Transparenzinitiative an.)

Im Sinne einer Würdigung der VVG-InfoV ist festzustellen, dass den Lebensversicherungsunternehmen durch die Verordnung zwar die Offenlegung der Kosten obliegt, die Transparenzvorgaben jedoch weder das Ziel einer vollständigen Kostentransparenz erreichen, noch dem Versicherungsnehmer einen effektiven Produktvergleich ermöglichen. Ursachen hierfür liegen zum einen in den unterschiedlichen Möglichkeiten der Versicherer, ihre Kosten zu erheben und schließlich auszuweisen (etwa als einmalige Abschlusskosten i.H.v. z.B. 40 Promille der Beitragssumme vs. als einmalige Abschlusskosten i.H.v. null Euro bei gleichmäßiger Erhebung der Kosten für den Vertragsabschluss von jedem Beitrag über die gesamte Vertragsdauer hinweg sowie Zuordnung dieser Beträge zu den übrigen laufenden Kosten). Mithin werden die Kosten weder transparent offengelegt, noch kann der Versicherungsnehmer einen anbieterübergreifenden Produktvergleich vornehmen. Mit Ausnahme der sonstigen Kosten umfassen die Transparenzvorschriften zum anderen nicht die tatsächlichen Kosten des Lebensversicherungsunternehmens, sondern (nur) die rechnungsmäßig in die Prämie einkalkulierten Kosten, die entsprechend der aufsichtsrechtlich geforderten Beitragskalkulation vorsichtig anzusetzen sind. Zudem kann die gesetzlich verpflichtende Angabe einer Effektivkostenquote nur eingeschränkt zu einer Erhöhung der Kostentransparenz in der Lebensversicherung beitragen. Das Fehlen einer einheitlichen Definition der Transparenzkennziffer einerseits sowie der Mangel an einem standardisierten Berechnungsverfahren andererseits führen dazu, dass im Markt Effektivkostenquoten ausgewiesen werden, die untereinander nicht vergleichbar sind und folglich den eigentlichen Nutzen der Kennziffer – die Möglichkeit eines auf die Kostenseite bezogenen anbieterübergreifenden Produktvergleichs – hemmen. Darüber hinaus bleibt die Leistungsseite eines Lebensversicherungsprodukts bei alleiniger Angabe der Effektivkostenquote vollkommen unberücksichtigt. Um die (potenziellen) Versicherungsnehmer über die durch die Kosten verursachte Renditeminderung zu informieren, bedarf es zusätzlich der Angabe der erwarteten Rendite vor und/oder nach Abzug der Effektivkostenquote. Die gesetzlichen Vorgaben beinhalten diesbezüglich jedoch keine Informationspflicht.

Mit Inkrafttreten der VVG-InfoV wurden die Versicherungsunternehmen ebenso dazu verpflichtet, ihren allgemeinen Vertragsinformationen mit dem Produktinformationsblatt ein Merkblatt voranzustellen, das dem Versicherungsnehmer die für eine Entscheidungsfindung wesentlichen Vertragsinformationen kurz, prägnant und verständlich aufzeigt. Die Einführung eines verpflichtenden Produktinformationsblatts trägt insofern zu einer Transparenzverbesserung bei, als dass der Versicherungsnehmer vor Vertragsabschluss einen ersten Überblick über wichtige Vertragsinformationen erhält, ohne dazu umfangreiche Bedingungswerke studieren zu müssen. Zu hinterfragen bleibt jedoch, ob die für das Produktinformationsblatt geforderten Informationen, zu denen z.B. nicht die Angabe der Ablauf- oder Rentenleistung zählt, den Versicherungsnehmer in seiner Entscheidungsfindung faktisch unterstützen und einen wirksamen Beitrag zur Transparenz leisten. Des Weiteren gewähren die allgemeinen Vorgaben der VVG-InfoV Interpretations- und Gestaltungsspielräume, die nicht vergleichbare Produktinformationsblätter unterschiedlicher Versicherer zur Folge haben können, die dann wiederum nur eingeschränkt die Möglichkeit eines anbieterübergreifenden Produktvergleichs bieten.

Das Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz (kurz: AltvVerbG), im Juli 2013 in Kraft getreten, sowie die das Gesetz präzisierende Verordnung zum Produktinformationsblatt und zu weiteren Informationspflichten bei zertifizierten Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen nach dem Altersvorsorge-Zertifizierungsgesetz (im Juli 2015 erlassen; wird ab Januar 2017 in Kraft treten) greifen einige der o.g. Probleme der VVG-InfoV auf und sind grundsätzlich – zumindest bezüglich staatlich geförderter Altersvorsorgeprodukte – als positive Schritte zu mehr Transparenz zu beurteilen. Die Vorschriften ermöglichen und vereinfachen zum einen durch die Festlegung von Aufbau, Inhalt und optischer Gestaltung der Produktinformationsblätter für staatlich geförderte Altersvorsorgeprodukte einen anbieterübergreifenden Produktvergleich, indem Gestaltungsspielräume der Lebensversicherungsunternehmen beseitigt werden. Zum anderen werden Informationen vorgeschrieben, die jenseits der in der VVG-InfoV geforderten Angaben als transparenzfördernd erachtet werden können. Dazu zählen u.a. die Einteilung des Altersvorsorgeprodukts in Chance-Risiko-Klassen sowie Angaben zum Preis-Leistungs-Verhältnis, wie z.B. der Ausweis der zum Vertragsbeginn garantierten Leistung, Angaben zu angenommenen Leistungen in Abhängigkeit unterschiedlicher Wertentwicklungen, der Ausweis der Effektivkostenquote sowie Angaben zur Wertentwicklung des Vertrags nach Abzug der Effektivkostenquote. Zur Vermeidung unterschiedlicher Vorgehensweisen bei der Ermittlung der Effektivkostenquote soll deren Berechnungsmethodik bei zertifizierten Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen zentral durch die Produktinformationsstelle Altersvorsorge vorgegeben werden.

Im Vergleich zu den Anforderungen der VVG-InfoV sind somit zumindest für staatlich geförderte Altersvorsorgeverträge Angaben gefordert, die als relevante Kundeninformationen vor Vertragsabschluss erachtet werden können und mithin die Möglichkeit einer informierten Kundenentscheidung ein Stück weit fördern. Auch der Problematik nicht vergleichbarer Effektivkostenquoten wird durch die vorgesehene Standardisierung des Berechnungsverfahrens Rechnung getragen. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass sich die jüngsten gesetzlichen Transparenzmaßnahmen nicht auf die Lebensversicherung insgesamt, sondern ausschließlich auf staatlich geförderte Altersvorsorgeverträge beziehen. Folglich bleiben zum einen die Unzulänglichkeiten der VVG-InfoV für die Lebensversicherung i.Allg. bestehen, zum anderen werden für staatlich geförderte und nicht geförderte Lebensversicherungsprodukte unterschiedliche Produktinformationsblätter hervorgebracht, was i.S.e. verbesserten Transparenz in der Lebensversicherung nicht zielführend sein kann. Ferner ist im Rahmen der Zurverfügungstellung jedweder Produktinformationen zu berücksichtigen, dass die (potenziellen) Versicherungsnehmer i.d.R. eine nur eingeschränkte Kompetenz zur Beurteilung von Lebensversicherungen besitzen. Lebensversicherungsunternehmen obliegt es daher grundsätzlich, den Konflikt zwischen einer hinreichenden Transparenz einerseits und einer zu umfangreichen und möglicherweise zu komplexen Information andererseits zu bewältigen und Konzepte zu entwickeln, die geeignet sind, die Transparenz in der Lebensversicherung voranzutreiben.

4. Würdigungen vor dem Hintergrund essentieller Besonderheiten in der Lebensversicherung

Die Lebensversicherungsunternehmen müssen sich heute dem Druck des Gesetzgebers beugen und Vorgaben umsetzen, deren tatsächlicher Nutzen i.S.e. Transparenzerhöhung teilweise zu hinterfragen ist. Dies wäre vermeidbar gewesen, hätten sie schon in den vergangenen Jahren eine größere Transparenzbereitschaft gezeigt. Im Übrigen umfasst die immer wiederkehrende Kritik an der mangelnden Transparenz des Produkts Lebensversicherung weitere Punkte, die über die Kostenkomponente sowie die Einführung eines Produktinformationsblatts hinausgehen.

Dazu gehört z.B. regelmäßig eine mangelnde Beitrags- und Überschussbeteiligungstransparenz, was unter mangelnder Produkttransparenz subsumiert werden kann (die hier des Weiteren aufgeführten Kritikpunkte haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit). Zur deren Würdigung ist es jedoch unerlässlich, die Besonderheiten des Sparprozesses in der Lebensversicherung darzustellen. Hierbei muss zwischen individuellen Ansprüchen (Deckungsrückstellung) und kollektiven Reserven (im Wesentlichen freie Rückstellung für Beitragsrückerstattung [RfB] und bilanzielle Bewertungsreserven; Die Möglichkeiten zur Bildung von Reserven sind aufgrund des aktuellen Rechtsrahmens tlw. eingeschränkt [bspw. Beteiligung an Bewertungsreserven, steuerliche Behandlung der RfB etc.]) differenziert werden. Schlussendlich verlaufen die Wertentwicklung des Kapitalanlageportfolios des Lebensversicherungsunternehmens und die individuellen Ansprüche des Versicherungsnehmers aufgrund der kollektiven Reserve asymmetrisch, wodurch sich der Sparprozess in der Lebensversicherung fundamental von „einfachen“ Sparprozessen unterscheidet. Das „Kollektivsparen“ beinhaltet die wesentlichen Charakteristika von Versicherungen. Mit Hilfe des Risikoausgleichs im Kollektiv und in der Zeit transformiert das Lebensversicherungsunternehmen Kapitalmarktrisiken – sowohl innerhalb einer Sparergeneration als auch zwischen verschiedenen Sparergenerationen. Unter Transparenzfragen sind die Besonderheiten des Sparprozesses in der Lebensversicherung und der daraus resultierende Nutzen zu berücksichtigen. Die Risikoaversion von Individuen ist der Grund für das Bestehen einer allgemeinen Versicherungsnachfrage, daher muss gerade im Kontext der Altersvorsorge konstatiert werden, dass das Bedürfnis nach „Sicherheit“ und damit einhergehend nach einem effizienten Risikotransfer hinsichtlich des Kapitalmarktrisikos dem Ziel des Altersvorsorgesparens immanent sein sollte. In der Konzeption des Kollektivsparens resultiert Sicherheit letztlich nicht aus nominellen Zinsgarantien, sondern aus den Wirkungsweisen und den inneren Zusammenhängen hinsichtlich der kollektiven und individuellen Versichertenguthaben. Die kollektive Reserve schützt den einzelnen Versicherungsnehmer vor kurzfristigen Kapitalmarktschwankungen und ist ursächlich für die Verstetigung seines Vermögens, wobei durch die kollektive Reserve Risikokapital und damit Sicherheit aus der Versichertengemeinschaft heraus generiert wird.

Der Vorwurf einer mangelnden Beitragstransparenz resultiert implizit aus den bisherigen Ausführungen. Bei der Lebensversicherung wird u.a. zwischen dem Risiko- und dem Spar‑/Entspargeschäft unterschieden. Dem Risikogeschäft wird der Versicherungscharakter zugesprochen (Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit), während der Spar‑/Entsparprozess meist als „einfaches“ Sparprodukt interpretiert wird. Diese Sichtweise führt zu gravierenden Missverständnissen und damit einhergehend zu teilweise dogmatischen Diskussionen mit unterschiedlichen Instanzen. Die vorgenommene Trennung zwischen Risiko- und Sparbeitrag (aufgrund der Abstraktion bleiben Kostenbestandteile unberücksichtigt ) ist aus ökonomischer Sicht eher problematisch. Der daraus gewonnene Erkenntnisgewinn ist fragwürdig, da bspw. hohe kalkulierte Sicherheitszuschläge im Rahmen des Risikobeitrags aufgrund der Überschussbeteiligungssystematik regelmäßig wiederum weit überwiegend dem Sparvolumen des Versicherungsnehmers zugute kommen. (Dies gilt auch analog für den Kostenbestandteil im Rahmen der Prämienkalkulation.) Folglich ergeben sich hieraus auch die wesentlichen Ansatzpunkte, um die Transparenz in der Lebensversicherung zu verbessern. Die Hauptkritik richtet sich im Wesentlichen auf die Überschussverteilung, bei der allerdings die produktimmanenten Interessenskonflikte zu berücksichtigen sind:

Zunächst wird der Rohüberschuss zwischen den Versicherungsnehmern und den Aktionären (beispielhaft wird eine Aktiengesellschaft als Rechtsform unterstellt) aufgeteilt. Bei der Aufteilung des Rohüberschusses müssen die Versicherungsnehmer gem. § 140 II Nr. 1 VAG angemessen am Rohüberschuss beteiligt werden. Eine Präzisierung der Angemessenheit erfolgt durch die MindZV. Demnach sind die Versicherungsnehmer zu mind. 90 % an den anzurechnenden Kapitalerträgen abzüglich der rechnungsmäßigen Zinsen, zu mind. 90 % am Risikoergebnis und zu mind. 50 % am übrigen Ergebnis zu beteiligen. Die formalen Mindestbeteiligungsquoten der Versicherungsnehmer am Rohüberschuss eröffnen der Unternehmensleitung Gestaltungsmöglichkeiten. Diese Gestaltungsmöglichkeiten schüren in der öffentlichen Diskussion Misstrauen, da eine Bevorteilung der Aktionäre zulasten der Versicherungsnehmer vermutet wird. Hierbei bleibt jedoch festzuhalten, dass eine im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten geringe Beteiligungsquote nachhaltige negative Einflüsse auf die Wettbewerbsposition und somit auf das Neugeschäft hätte.

Des Weiteren entsteht auch ein Interessenskonflikt zwischen dem Versicherungskollektiv (kollektive Reserve) und den individuellen Ansprüchen der Versicherungsnehmer (Deckungsrückstellung). Die Leistungsfähigkeit der kollektiven Reserve wird durch die Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel, die zum Ausgleich von Kapitalmarktschwankungen zur Verfügung steht, determiniert. Die Höhe der kollektiven Reserve resultiert somit aus den nicht ausgeschütteten Gewinnen an die einzelnen Versicherungsnehmer, wobei eine Sammlung von Überschussanteilen in der kollektiven Reserve auch künftigen Versichertengenerationen zugute kommt. (Ein unverhältnismäßiges Anwachsen der kollektiven Reserve wird durch den Gesetzgeber verhindert; bspw. durch die steuerliche Behandlung der freien RfB )oder auch durch aufsichtsrechtliche Höchstgrenzen für die freie RfB) Es bleibt festzuhalten, dass die Forderungen nach einer höheren Transparenz in der Lebensversicherung grundsätzlich nicht mit einer schlechten „Leistungsfähigkeit“ der Lebensversicherung begründet werden können, sondern eher mit der komplexen und intransparenten Überschussverteilungssystematik zusammenhängen. Die verständliche Darstellung der Überschussquellen und eine nachvollziehbare Gestaltung der Überschussbeteiligung sind im Rahmen der Transparenzdiskussion maßgebliche und unerlässliche Kriterien. Im Fokus steht dabei eine ausgewogene Verteilung der Überschüsse zwischen den Aktionären und der Gesamtheit der Versicherungsnehmer einerseits sowie zwischen den verschiedenen Versicherungsnehmergruppen im Kollektiv andererseits.

Die Grundkonzeption des Kollektivsparens transformiert Kapitalmarktrisiken und generiert Sicherheit für das Sparziel Altersvorsorge. Schlussendlich ist eine dogmatische Negierung des nutzenstiftenden Charakters des Kollektivsparens nicht zielführend. Auch die Anstrengungen, die Transparenz in der Lebensversicherung mitilfe einzelner Kennzahlen zu verbessern, die auf zukunftsorientierten und damit unsicheren Modellparametern basieren, sollten durchaus kritisch betrachtet werden; denn sie schaffen Scheingenauigkeiten und abstrahieren von den Entwicklungen der Realität. Vielmehr wäre es hilfreich, die Fragen der vielfältigen Rahmenbedingungen sowie mögliche Interessenskonflikte in der Lebensversicherung sachgerecht unter Berücksichtigung des Versicherungsgedankens beim Kollektivsparen zu diskutieren.

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Autor(en): Daroslav Lazic, Katharina Vollmer

 

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