Auf den Berater muss Verlass sein

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Ein älterer Lebensversicherter erhielt von seinem Versicherer ein Angebot zur Umwandlung einer fälligen Kapitallebensversicherung. Doch das Vorhaben ging schief.

In dem vom Landgericht Marburg (Urteil vom 28.6.2022, Az. 1 O 141/20, r+s 2/2024, 78-80) entschiedenen Fall wurde zum 1. Dezember 2015 die Kapitallebensversicherung eines zu diesem Zeitpunkt 68-jährigen Mannes fällig. Dabei ging es um eine Kapitalleistung von rund 42.804 Euro.

Bis Alter 71 anlegen und dann genießen

Der Kunde wollte das Geld noch einmal drei Jahre anlegen, weil er es noch nicht benötigte. Über die Wiederanlage verhandelte er mit einer Vertriebsniederlassung seines Versicherers. Die schlug ihm den Abschluss einer Privatrente mit einer Jahresrente von 2.017 Euro und 20 Jahren Rentengarantiezeit vor, aufgeschoben für drei Jahre. Der Vertrag enthielt zudem eine Kapitaloption zum 1. Dezember 2018 in Höhe von gerundet 44.726 Euro.

Der Ärger ging los, als der Versicherer mit einem Schreiben vom 2. November 2018 dem Kunden mitteilte, dass die Ablaufleistung in Kürze zum 1. Dezember 2018 fällig werde. Der Kunde verlangte daraufhin schriftlich, die Kapitaloption wahrzunehmen und die Einmalzahlung zu erhalten. Das lehnte der Versicherer mit Verweis auf die Allgemeinen Versicherungsbedingungen dieses Rentenversicherungsvertrags ab, nach denen er die Kapitaloption bis spätestens drei Monate vor dem vereinbarten Beginn der Rentenzahlungen hätte beantragen müssen.

Wunsch nach flexibler Verfügbarkeit nicht beachtet

Das Gericht kommt bei diesem Fall zu dem Schluss, dass der Versicherer dem Kunden einen Schadenersatz nach § 6 Absatz 5 VVG in Höhe der vereinbarten Kapitalauszahlung von gerundet 43.907 Euro schuldet. Denn der Kunde sei vom Versicherer fehlerhaft beraten worden.

Der Kunde habe klar den Wunsch geäußert, flexibel ab dem 1. Dezember 2016 über sein Geld verfügen zu können, so war es in der Beratungsdokumentation vermerkt. Diesen Wunsch habe der Versicherer letztlich nicht erfüllt. Die Schuld des Beraters stand für das Gericht fest, einen Entlastungsbeweis habe der Versicherer nicht antreten können.

Langlebigkeit abzusichern als Schlechtleistung?

Das Gericht würdigt durchaus das Recht des Versicherers, dass der Kunde sich vertragsgemäß verhält. Aber in der Gesamtabwägung sprachen die besseren Argumente für den Kunden. Das beginnt damit, dass die Initiative zur Wiederanlage der fälligen Kapitallebensversicherung vom Versicherer ausgegangen war. Zudem sei es „schlichtweg fernliegend“, dass der Kunde dabei eine Verschlechterung seiner Situation habe hinnehmen wollen.

Dass es eine solche Verschlechterung gibt, sieht das Gericht jedenfalls allein schon in der Tatsache begründet, dass der Kunde einen anderen Vertragstyp erhalten habe – eine Renten- anstelle einer Kapitallebensversicherung. Zudem habe der Kunde rechnerisch mindestens 88 Jahre alt werden müssen, um wenigstens die ursprüngliche Kapitalleistung in Gestalt von Rentenzahlungen wiederzuerhalten.

Dass es auch einen Wert haben kann, bei Erreichen eines höheren Lebensalters mehr Rente als zuvor an Kapitalleistung zu erhalten, also das Langlebigkeitsrisiko abzugeben, wurde offenbar nicht in Erwägung gezogen. Zudem müsste, wenn die Angaben in der Urteilsbegründung stimmen, dem Kunden beziehungsweise gegebenenfalls dessen Hinterbliebenen 20 Jahre Rentengarantiezeit zugesagt worden sein, ab Alter 71 wäre das eine Leistung bis zum Alter 91 und nicht 88.

Der Laie muss vertrauen dürfen

Die Schadenersatzleistung solle „Zug um Zug gegen Abtretung aller Rechte“ aus dem Versicherungsvertrag geleistet werden, so das Gericht.

Weiter setzt es sich mit der Möglichkeit eines Mitverschuldens auseinander, weil der Kunde möglicherweise den Vertrag hätte durchlesen oder explizit nachfragen können. Das lehnt das Gericht jedoch ab. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben habe sich der Kunde darauf verlassen können, dass sein Wunsch richtig umgesetzt und er korrekt beraten wird. „Dem Kläger als juristischem Laien ist nicht zuzumuten, zu verstehen, dass die in § 1 Abs. 2 AVB genannte enge zeitliche Begrenzung entgegen der ausdrücklich protokollierten Flexibilität zu einem vollständigen Ausschluss einer (Teil-) Auszahlung der Kapitalleistung führen kann“, heißt es.

Organisatorische Mängel in der Kundenbetreuung

Das Urteil zeigt einmal mehr, dass eine fehlerhafte Beratung nicht durch ein korrektes Protokoll ausgeglichen werden kann. Was der Kunde äußert, muss nicht nur richtig dokumentiert, sondern anschließend auch so umgesetzt werden. Immerhin hätte der Versicherer das durch eine rechtzeitige Information an den Kunden heilen können, dass er bis zu einem bestimmten Datum sich entscheiden muss, ob er die Kapitaloption seiner aufgeschobenen Rentenversicherung nutzen will oder nicht. Hier könnte der betroffene Versicherer seine Prozesse nachbessern und die selbst in die AVB hineindiktierten Fristen in entsprechende Kundeninformationsprozesse integrieren.

Dasselbe gilt für Versicherungsvermittler in einer vergleichbaren Situation. Insbesondere Versicherungsmakler sollten solche Fristen ernst und auf Wiedervorlage nehmen, damit sie rechtzeitig den Kundenwunsch erkennen und für den Kunden tätig werden können. Das Landgericht Marburg weist ausdrücklich in seiner Urteilsbegründung auf die Tatsache hin, dass in diesem Fall noch nicht einmal „die in der Rechtsprechung anerkannten weitreichenden Pflichten eines Versicherungsmaklers Anwendung“ gefunden hätten.

Autor(en): Matthias Beenken

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