Branche fordert lebenslange Rente

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Der Deutsche Verein für Versicherungswissenschaft e.V. feiert sein 125-jähriges Jubiläum in Berlin mit einem Großaufgebot an bekannten Referenten und aktuellen Themen.

Der Verein dient seit seiner Gründung der Verbindung von Wissenschaft und Praxis, und das interdisziplinär, betonte der Vorstandsvorsitzende Wolfgang Weiler in seiner Begrüßung. Darin erinnerte er exemplarisch an einen früheren Generalsekretär des Vereins, Professor Alfred Manes, der der Entwicklung der Versicherungswissenschaften entscheidende Impulse gab, gleichzeitig aber auch Opfer des Nationalsozialismus war. Als Jude musste er seine Professur aufgeben und emigrierte in die USA, aus denen er auch nicht mehr zurückkehrte.

Generationenvertrag ist in Gefahr

Die Gegenwart dagegen ist von Rückzugsgefechten der Versicherungsbranche geprägt, die sich in der gegenwärtigen Regierungspolitik nicht angemessen vertreten sieht. GDV-Präsident Norbert Rollinger schimpfte denn auch über den „Bullshit“, der mit der Reform der Altersvorsorge geplant sei. Den Bürgern werde „Sand in die Augen gestreut“. Die jungen Nachwuchswissenschaftler sollten ähnlich den Klimaklebern vor dem Arbeitsministerium demonstrieren, weil die Politik die Interessen der jungen Generation missachte.

Insbesondere kämpfte Rollinger für das Alleinstellungsmerkmal der Lebensversicherungswirtschaft, die lebenslange Verrentung der geförderten Vorsorge. Er wehrte sich gegen die Vorschläge der Fokusgruppe zur Reform der Altersvorsorge, Zeitrenten zuzulassen. Das wiederum befürwortete Frank Breiting von der DWS, was aus Sicht einer Fondsgesellschaft auch nicht überraschen könne. Gleichzeitig warb Breiting für Entscheidungsfreiheiten, die weder unterschiedliche Lösungen zur Verrentung noch zur Garantie ausschließe. Das Beispiel des Paneuropäischen Pensionsprodukts PEPPs zeige zudem, dass staatlich verordnete Produktkonzepte nicht angenommen werden.

Kein Freibrief für die Verwendung geförderter Altersgelder

Auch Staatssekretär Florian Toncar vom Bundesfinanzministerium begrüßte die Vorschläge der im Auftrag seines Ministeriums tätigen Fokusgruppe, betonte aber, dass die Bundesregierung nur eine „altersvorsorgebezogene Verwendung“ der Mittel unterstützen will. Insgesamt gehe es seinem Ministerium vor allem um eine Reduzierung der Komplexität der Fördersysteme. Ziel sei eine vorrangige beitragsproportionale Förderung, auch wenn weiterhin Geringverdiener stärker unterstützt werden sollen.

Ergo-Vorstand Max Happacher bestritt die Aussage, dass Lebensversicherer zu teuer seien. Im internationalen Vergleich seien die Kosten bei den deutschen Versicherern mit ein bis anderthalb Prozent Kosten „völlig angemessen“, eine Folge des intensiven Wettbewerbs. Die Gesetzliche Rentenversicherung habe auch 4,5 Milliarden Euro Verwaltungskosten, und dass, obwohl sie keine Kundenberatung leisten müsse.

Dagegen sollten die Versicherer ihr Engagement in problematischen Märkten überdenken, forderte Constantin Papaspyratos vom Bund der Versicherten. „Derisking“ sei das Gebot der Stunde.

Professorin An Chen von der Universität Ulm brachte die Tontine als eine Variante für eine Finanzierung betrieblicher Altersversorgungen ins Gespräch. Lebensversicherer würden dabei weiter gebraucht, im Wesentlichen zur Organisation solcher Kollektive. Moderator Professor Korn forderte zudem von den Schulen mehr Offenheit für Finanzbildung. Selbst wenn man Materialien von gemeinnützigen Organisationen anbiete, käme keine ernsthafte Nachfrage.

Überregulierung drückt

In einem Punkt sind sich die verschiedenen, auf der Jahrestagung des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft vertretenen Disziplinen einig: Die Branche leidet unter einer Überregulierung. Exemplarisch machte das der scheidende Versicherungsombudsmann Wilhelm Schluckebier an den Regelwerken zur Altersvorsorge wie dem Altersvorsorge-Zertifizierungsgesetz deutlich. Es handele sich um „lange Vorschriften mit vielen Absätzen und Binnenverweisen“, bei denen oft kaum klar sei, welche Fassung gilt. Auch die Rechtsprechung sei schwer überschaubar. Der „schleichende Verlust der Normenklarheit“ erschwere die Schlichtungsarbeit.

Klare Worte dazu fand auch der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Gerald Haug, mit Blick auf die Klima- und Energiepolitik. In Europa werde „alles überreguliert“. So werde der Klimawandel nicht erfolgreich gestoppt werden können, sondern es müsse mehr Wettbewerb entfesselt und die Unternehmen dabei unterstützt werden, wie es die USA derzeit machten. Auch die deutsche Regierungspolitik kritisierte Haug: „Bitte erst einsteigen, bevor wir aussteigen“, meinte er zur Energiepolitik. Dabei seien wir gut aufgestellt: „Wir haben alle Technologien in der Hand“. Seine Forderung lautet, dass die Politik den Ausbau der Energie-Infrastruktur höher priorisiert und sie auch in staatlicher Hand behält.

Mehr Energieimporte – gegen steigende Kosten

Leider sei die Klimapolitik teilweise von Illusionen geprägt, zerlegte er manche Ideen anhand von Fakten. Aktuell brauche Deutschland 2.500 Terrawattstunden Energie, davon 600 an Strom. Letzteren Anteil könnte man auf rund 1.000 Terrawattstunden steigern, wenn man die Energieerzeugung aus Sonne und Wind verdoppelt, mehr gehe aber auch nicht. Energieautark könne Deutschland nicht werden. Energieeinsparungen retteten uns ebenfalls nicht, ohne das Land zu deindustrialisieren und dadurch den Wohlstand aufzugeben. „Das wäre nicht klug aus europäischer Perspektive“.

Deutschland müsse sich darauf einstellen, dauerhaft in hohem Umfang Wasserstoff einzuführen. Und „was sich die Politik nicht zu sagen traut: Es wird teurer“, sagte er und bezifferte dies mit einer Verdoppelung, gemessen am Anteil am Bruttoinlandsprodukt. Das sei aber zu leisten, wenn die Politik ihre Prioritäten verändert.

Autor(en): Matthias Beenken

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