Pensionskassen im Dauerstress

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Mit welchen regulatorischen Zwängen die Pensionskassen in Deutschland zu kämpfen haben und wie sie hier gegensteuern können, hat die aktuarielle Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) in einem Pressegespräch anschaulich skizziert.

Pensionskassen haben zahlreiche regulatorische Anforderungen zu erfüllen, in den vergangenen Jahren haben diese kontinuierlich zugenommen. Dazu zählen unter anderem der Digital Operational Resilience Act (DORA), die EbAV-II-Richtlinie, die EU-Offenlegungsverordnung oder die neuen VAIT, also die Versicherungsaufsichtlichen Anforderungen an die IT.  Kein kleiner Anforderungskatalog, vor allem nicht für kleine Pensionskassen.

Kleinere Pensionskassen haben nicht ausreichend Mitarbeitende

Experten wie die Gesellschaft für aktuarielle Beratung Meyerthole Siems Kohlruss (MSK), aber auch die BaFin rechnen dazu Unternehmen mit einer Bilanzsumme von unter einer Milliarde Euro. Und in Deutschland sind dies stolze 83 Pensionskassen. Zudem verfügen diese kleineren Pensionskassen nicht über eine so großen Mitarbeiterstab, um die diversen regulatorischen Aufgaben gut und zeitnah umsetzen zu können. So genannte proportionale Lösungen können hier helfen, so jedenfalls die Einschätzung von Marion Beiderhase, leitende Beraterin bei MSK. (Siehe hierzu auch die Definition der BaFin zum Proportionalitätsprinzip unten.)

ERB alle drei Jahre, wenn notwendig aber auch ad hoc

Auch die Anforderungen an die eigenen Risikobeurteilung, kurz ERB, lässt das Stresslevel der Pensionskassen steigen. Zu dieser Risikoeinordung gehören die Qualifizierung aller Risiken über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren und die Fokussierung auf individuelle Stressszenarien. Diese ERB muss zudem mit den Geschäftsprozessen verknüpft werden, sie muss spätestens alle drei Jahre, wenn notwendig aber auch ad hoc umgesetzt werden. Und last but not least müssen in diesem Kontext die ESG-Risiken berücksichtigt werden.

Dass eine eigen Risikobeurteilung in einem Rhythmus von drei Jahren nicht möglichweise nicht ausreichend ist, haben nach Ansicht von MSR zahlreiche politische und wirtschaftliche Faktoren ausgelöst. So der Ukraine- und der Nahost-Krieg, aber auch das Sturmtief Bernd im Jahr 2021. All diese kritischen Faktoren haben die Inflation angeschoben und folglich die Zinsen deutlich ansteigen lassen.

Stillen Reserven schmelzen merklich und schmerzlich

Logische und unschöne Folge eines derartig veränderten Zinsumfeldes: Die stillen Reserven der Unternehmen schmelzen merklich und schmerzlich zusammen, am Ende können sogar stille Lasten entstehen. Anders ausgedrückt: Das Risikodeckungspotenzial nimmt merklich ab und eine Bedeckung des Sicherungsvermögens ist zu Marktwerten nicht mehr gegeben.

Die eben erwähnte proportionale Lösung, so die Einordnung von MSK, kann hier gegensteuern, denn hier ist eine mehrjährige Projektionsrechnung und ein Update der ERB möglich und zwar auf Grundlage vorhandener Daten, so beispielsweise der BaFin-Prognoserechnung und der BaFin-Stresstests.

Sollen sich mit den Nachhaltigkeitsrisiken stärker beschäftigen

Die BaFin spielt auch eine gewichtige Rolle für die Pensionskassen, wenn es um den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken geht. Der Hintergrund: Im Kontext der ERB, also der eigenen Risikobeurteilung, sind auch diejenigen Risiken einzuordnen, die durch die Berücksichtigung von ESG-Kriterien bei Anlageentscheidungen entstehen. So bezieht die Aufsicht bei diesem Thema eine klare Position und fordert die Unternehmen dazu auf, sich mit den Nachhaltigkeitsrisiken stärker zu beschäftigen und diese in Zukunft in den ERB-Berichten umfassend zu berücksichtigen.

Damit die (kleineren) Pensionskassen die zahlreichen Anforderungen, nicht nur bei den Nachhaltigkeitsrisiken, künftig besser bewältigen können, sollten sie sich zusammenschließen und stärker kooperieren. Nach Ansicht von Marion Beiderhase wäre die Bereitschaft in der Branche hierzu auf jeden Fall vorhanden.  Zudem hat MSK kürzlich einen Expertenworkshop veranstaltet und in diesem Kontext die so genannte Fokusgruppe Pensionskassen gegründet. Mit dieser neuen Initiative wollen die Risikomanagement-Experten aus Köln die Pensionskassen mit diversen Tools und Dienstleistungen unterstützen. Das Interesse an diesem Angebot sei auf „einen deutlichen Zuspruch gestoßen“, freut sich MSK.  

So definiert die BaFin das Proportionalitätsprinzip

"Das Prinzip der Proportionalität zieht sich als allgemeiner Grundsatz quer durch das gesamte Versicherungsaufsichtsrecht. Es bestimmt, wie aufsichtsrechtliche Anforderungen im Einzelfall erfüllt werden müssen, nämlich risikobezogen. Als Maßstab ist mithin das Risikoprofil eines jeden Unternehmens heranzuziehen.

In Deutschland wurde das Proportionalitätsprinzip in § 296 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) verankert. Danach hat die BaFin die aufsichtsrechtlichen Vorschriften auf eine Art und Weise anzuwenden, die der Art, dem Umfang und der Komplexität der Risiken angemessen ist, die mit der Tätigkeit der von ihr beaufsichtigten Unternehmen einhergehen.

Aufgrund der derzeitigen europäischen Vorgaben können Versicherungsunternehmen nicht von den regulatorischen Anforderungen als solchen befreit werden, es sei denn, es bestehen gesetzliche Ausnahmetatbestände. Proportionalität führt nicht dazu, dass die Verschärfung der Anforderungen durch das neue Regime wieder rückgängig gemacht wird. Der Umsetzungsaufwand im Hinblick auf einzelne Anforderungen kann also gegen Null, aber nicht auf Null reduziert werden. Außerdem wirkt das Proportionalitätsprinzip in beide Richtungen: So, wie ein schwächer ausgeprägtes Risikoprofil zu Umsetzungserleichterungen führen kann, lässt ein stärker ausgeprägtes Risikoprofil die Anforderungen an die Umsetzung wachsen."

 

Autor(en): Meris Neininger

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