Technische Chancengleichheit sollte für alle Marktteilnehmer bestehen

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Der Versicherungsvertrieb in Deutschland steht vor einem großen Umbruch. Keine Woche vergeht, in der nicht irgendwo irgendwer den Niedergang der klassischen Beratung und Betreuung durch Vermittler oder Makler in der Fläche beschwört. Aber ist dem wirklich so? Und: Ist dies ein Ergebnis der Digitalisierung?

Die Zahl der Vermittler nimmt jedenfalls ab, das zeigt sich an den DIHK Zahlen zu eingetragenen Versicherungsvermittlern. Anfang Januar waren noch knapp über 200.000 Versicherungsvermittler im Register eingetragen. Das klingt nach einer großen Menge, aber die Anzahl sinkt kontinuierlich - ein Jahr zuvor waren es noch gut 220.000.

Rückgang ist der Biologie geschuldet

Und noch etwas ist in diesem Zusammenhang wichtig: Die Zahl der gebundenen Vermittler, also diejenigen die für ein Versicherungsunternehmen arbeiten, sinkt viel stärker als die der freien Makler. Bei den freien Vermittlern ist der Rückgang mit wenigen hundert deutlich geringer.

Dieser Rückgang hat wenig mit der Digitalisierung aber viel mit Biologie zu tun, wie ein Blick auf die Altersstruktur bei den gebundenen Vermittlern zeigt. Ein Großteil von ihnen ist bereits über 50 Jahre alt. Da ist es nur natürlich, dass man hier einen Rückgang beobachten kann. Gleichzeitig scheint es den Versicherungsunternehmen aber nicht zu gelingen, neuen Nachwuchs für die eigene Ausschließlichkeit zu gewinnen. Kurz: Wer heute in den Versicherungsvertrieb geht, tut das im Wesentlichen, um als freier Makler zu arbeiten.

IDD macht den Arbeitsalltag komplexer

Das klingt für die freien Makler natürlich erst einmal positiv, denn ihre Anzahl ist mit circa 46.000 registrierten Maklern relativ stabil. Interessant ist aber, wen die Makler wie und in welcher Form betreuen dürfen. Denn weniger Vermittler im Markt bedeuten zwangsläufig mehr Kunden pro Makler. Auch das klingt zunächst gut, allerdings kommt mit mehr Kunden auch mehr Administration auf sie zu, und die ist seit Einführung der Insurance Distribution Directive (IDD) viel aufwendiger. Die IDD ist eine Versicherungsvertriebsrichtlinie, an die sich Vermittler halten müssen. Sie gibt vor, wie Beratung, Produktauswahl und Betreuung des Kunden zu dokumentieren sind.

Der Arbeitsalltag eines Versicherungsvermittlers ist durch sie erheblich komplexer geworden. Hier kann ihm die Digitalisierung helfen. So kann beispielsweise eine digitale Abschlusstrecke das IDD-konforme Protokoll praktisch parallel zur Kundenberatung über das System erzeugen. Ohne diese Systeme wäre ein geordneter Versicherungsvertrieb in der Fläche mit hoher Kundenanzahl kaum möglich. Denn die Zeit, in der ein Vermittler von 150 Kunden leben konnte, ist lange vorbei. Die Durchschnittsprämien für Abschlüsse sind gesunken, nur für eine Haftpflicht kann ein Vermittler heute eigentlich nicht mehr das Haus verlassen. Ohne digitale Unterstützung, etwa durch ein modernes Maklerverwaltungsprogramm mit integrierter digitaler Abschlusstrecke, werden Vor- und Nachbereitung des Termins zu einem Zuschussgeschäft.

Herausforderung Online-Portale

Das ist natürlich stark verkürzt und man könnte entgegenhalten, dass ein guter Berater nicht wegen der Haftpflicht, sondern wegen der Kundenbeziehung zum Kunden fährt. Aber betrachtet man es realistisch, dann ist auch die Zeit der Kunden knapp. Wenn dann der Vermittler bei einer Haftpflicht eine Lösung ohne Hausbesuch anbieten kann, dann wird sich der Kunde oft dafür entscheiden. Und der Vermittler muss das anbieten, denn auch das ist Digitalisierung: Die Kollegen hinter den Online-Portalen warten nur auf Kunden, die nicht für alles einen Hausbesuch wollen. Da ist es wichtig, dass für alle Marktteilnehmer zumindest technische Chancengleichheit besteht.

Stephen Voss (im Bild) ist Vertriebsvorstand der Neodigital Versicherung AG.

Autor(en): Stephen Voss

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