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Embedded Value (EV)

1. Begriff: Gesamtwert eines Lebens- bzw. Personenversicherungsbestands aus der Sicht der Eigentümer, wobei künftig gezeichnetes Geschäft (Goodwill, Geschäfts- oder Firmenwert) unberücksichtigt bleibt, jedoch die Bewertungsannahmen (z.B. die Kostenannahmen) die Fortsetzung des Geschäfts implizieren (going concern). Der EV reflektiert den Geschäftswert für die Unternehmenseigner unabhängig davon, inwieweit er im Substanzwert nach den jeweils verwendeten Rechnungslegungsstandards bereits berücksichtigt wird bzw. zu welchen künftigen Zeitpunkten er seinen Niederschlag in der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) findet. Typischerweise erfordert die Berechnung des EV damit die Projektion der handelsrechtlichen Bilanzen für Zeiträume von 40 bis 100 Jahren.

2. Merkmale: Zu den Charakteristika des Lebens- und Krankenversicherungsgeschäfts gehört die vorsichtige Wahl der Rechnungsgrundlagen für die Deckungsrückstellung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu positiven künftigen Rohüberschüssen führt, an denen wiederum der Eigentümer des Lebensversicherungsunternehmens in Form künftiger Jahresüberschüsse (Jahresüberschuss/-fehlbetrag) partizipiert. Diese Jahresüberschüsse sind also bereits heute im Bestand als „Bestandswert“ oder „Value of Inforce (VIF)“ eingebettet und werden dementsprechend über das in der lokalen Rechnungslegung ausgewiesene Eigenkapital hinaus als „Substanzwert“ des Lebens- oder Krankenversicherers angesehen. Der EV ist in diesem Sinne also eine bestmögliche Schätzung des Substanzwerts eines Lebens- oder Krankenversicherers in einer ökonomischen Bilanz.

3. Modell: Das Grundkonzept der Embedded-Value-Methodik besteht darin, zunächst den Present Value of Future Profits (PVFP) als Barwert der Jahresüberschüsse nach Steuern zu schätzen, die sich bei der erwarteten Bestandsabwicklung ergeben. Für die Prognose der erwarteten Bestandsabwicklung müssen v.a. Annahmen zum künftigen Kapitalanlageerfolg, zur Entwicklung des Versichertenkollektivs im Vergleich zu den biometrischen Kalkulationsannahmen, zur Verwendung der Überschüsse hinsichtlich der Aufteilung zwischen Kunden und Unternehmen und zur Systematik der Überschussbeteiligung der Kunden getroffen werden. Die Risiken der künftigen Entwicklung der Kapitalmärkte und der Schadenverläufe werden implizit durch die Wahl eines über dem erwarteten Kapitalanlageerfolg iMkt liegenden Diskontierungszinssatzes iDisk für die Berechnung der Barwerte berücksichtigt. Hierdurch entsteht bei einem Steuersatz s auf das im Unternehmen in den künftigen Jahren t gebundene Eigenkapital EK(t) alljährlich ein Zinsverlust in Höhe von (iDisk - iMkt)*(1 - s)*EK(t), dessen Barwert als „Cost of Capital“ (CoC) berücksichtigt wird. Es gilt also EV = EK(0) + VIF = EK(0) + PVFP - CoC. Zu beachten ist, dass in dieser Notation die CoC konzeptionell alle mit dem Geschäft verbunden Risiken des Geschäfts abdecken. In späteren Entwicklungsstufen der Embedded-Value-Methodik wurde dazu übergegangen, einzelne Risiken, wie den Wert der Garantien und Optionen der Versicherungsnehmer (vgl. eingebettete Garantien, eingebettete Optionen) bzw. die Kapitalmarktrisiken abzuspalten und explizit auszuweisen.

4. Ausprägungen: Inzwischen werden verschiedene Ausprägungen der Embeded-Value-Methodik unterschieden, die sich aufeinander aufbauend im Laufe der Zeit entwickelt haben: Traditional Embedded Value (TEV), European Embedded Value (EEV), Market Consistent Embedded Value (MCEV). Die verschiedenen Varianten reflektieren die wachsenden Bemühungen, die eingebetteten Garantien und Optionen des Lebensversicherungsgeschäfts sachgerecht abzubilden (Übergang von TEV zu EEV) bzw. die Bewertung der Cash Flows und ihrer Risiken nicht mehr auf eine niemals völlig willkürfreie Wahl des Diskontierungszinssatzes zu gründen, sondern an aktuellen Markteinschätzungen zu kalibrieren (Übergang EEV zu MCEV). TEV werden mit herkömmlichen deterministischen Projektionsmodellen berechnet, die für jede künftige Periode vorab festgelegte Annahmen über die Entwicklung des Kapitalmarkts unterstellen. EEV und MCEV setzen dagegen den Einsatz stochastischer Modelle voraus, die eine Vielzahl möglicher Kapitalmarktszenarien für die Zukunft generieren und den EV als mittleren Barwert der Jahresüberschüsse für alle diese Szenarien ermitteln.

5. Ziele: Die handelsrechtliche Rechnungslegung für Versicherungsunternehmen lässt eine verlässliche Einschätzung des Unternehmenserfolgs nur schwer zu. Hohe Neugeschäftsvolumina bedeuten i.d.R. hohe Abschlusskosten, die das Ergebnis der aktuellen Periode belasten, während die positiven Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg, obwohl vergleichsweise gut prognostizierbar, nach dem Vorsichtsprinzip erst in späteren Perioden sichtbar werden. Die Embedded-Value-Methodik verfolgt also das Ziel, die Auswirkungen vergangener (im Sinne bereits getroffener) Managemententscheidungen (z.B. bez.. Produktentwicklung, Vertriebsausbau) auf den Unternehmenswert so schnell wie möglich abzuschätzen und sichtbar zu machen. Als Erfolgsgrößen werden häufig verwendet: a) der Return on Embedded Value – relativer Wertzuwachs des EV in der Berichtsperiode, verglichen mit dem Ausgangswert.
b) die New Business Margin – Value of New Business im Verhältnis zu einer Volumengröße, etwa dem Barwert der künftigen Beitragseinnahmen der letzten Neugeschäftsgeneration.

6. Probleme: Die Kritik am Konzept des EV fokussiert sich auf verschiedene Punkte: a) ungenügende Berücksichtigung von Kosten aus eingebetteten Garantien und Optionen,
b) willkürliche und intransparente Wahl der Bewertungsparameter, die den Vergleich verschiedener Unternehmen erschweren,
c) hohe Volatilität der Ergebnisse im Zeitablauf, die die Eignung als Steuerungsgröße infrage stellt. Nicht zuletzt durch die Standardisierungsbemühungen des CRO-Forums haben die genannten Kritikpunkte sukzessive zu methodischen Verbesserungen des Ansatzes und zu erweiterten Publikationsanforderungen geführt.

7. Ähnliche Begriffe: Zusammen mit der Berechnung des EV wird i.d.R. separat der Neugeschäftswert (Value of New Business, kurz: VNB) bestimmt, um den aktuellen Geschäftserfolg zu messen. Technisch geschieht das meist nach der sog. Marginalmethode, d.h. der VIF wird jeweils mit und ohne Berücksichtigung der jüngsten Neugeschäftsgeneration bestimmt. Hierdurch wird bestmöglich der Tatsache Rechnung getragen, dass es häufig zwischen Neugeschäft und Altbestand keine kanonische Aufteilung des haftenden Eigenkapitals, der Betriebskosten und teilweise auch des künftigen Rohüberschusses gibt.

Autor(en): Norbert Heinen

 

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