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EU-Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD)

1. Stand der Richtlinie

Die EU-Versicherungsvertriebsrichtlinie (Insurance Distribution Directive, IDD) löst die bisherige Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. 12.2002 über Versicherungsvermittlung (EU-Vermittlerrichtlinie, auf Englisch: Insurance Mediation Directive, IMD) ab.

Bereits am 3.7.2012 stellte die Europäische Kommission einen Entwurf für eine Neufassung der EU-Vermittlerrichtlinie vor. 2014 wurden geänderte Vorschläge durch das Europäische Parlament sowie den Europäischen Rat erarbeitet, letzterer enthielt auch die Namensänderung der Richtlinie. Am 30.6.2015 wurde der Trilog der drei europäischen Institutionen abgeschlossen. Die IDD trat am 22.2.2016 in Kraft und ist bis zum Ablauf des 22.2.2018 national umzusetzen.

2. Gründe für die Neufassung

Die bisherige EU-Vermittlerrichtlinie diente im Wesentlichen der Vervollkommnung des Europäischen Binnenmarkts und sollte Versicherungsvermittlern EU-weit die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit gewährleisten.

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Finanzkrise sowie der Kritik an verschiedenen Vertriebspraktiken soll die neue Richtlinie in erster Linie den Schutz der Verbraucher beim Erwerb von Versicherungsprodukten sowohl direkt beim Versicherer als auch indirekt bei einem Versicherungsvermittler gewährleisten. Beide werden als „Versicherungsvertreiber“ bezeichnet.

3. Wesentliche Änderungen

Um den Verbraucherschutz zu stärken, wurde der Anwendungsbereich der Richtlinie deutlich ausgeweitet. Er umfasst u.a. zusätzlich den Direktverkauf ohne Einschaltung von Vermittlern, den Verkauf durch Angestellte sowohl des Versicherers als auch des Vermittlers, den Versicherungsvergleich und die Vermittlung durch Internetportale.

Versicherungsunternehmen sollen schon bei der Entwicklung neuer Produkte die Bedürfnisse des Kunden überprüfen und einfließen lassen. Der Produktentwicklungsprozess ist zu dokumentieren. Die Kunden sollen durch Produktinformationsblätter besser als bisher informiert werden.

Wird ein Vermittler tätig, soll der Kunde über mögliche Interessenkonflikte informiert werden. Dazu dient eine verpflichtende Offenlegung, welche Art von Vergütung (Provision, Honorar) von wem geschuldet wird. Die Mitgliedsstaaten können weitergehende Regelungen wie bspw. eine Offenlegung der Provisionshöhe oder sogar ein Provisionsverbot vorsehen.

Versicherer und Vermittler haben gegenüber ihren Kunden „stets ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichem Interesse“ zu handeln. Vergütungen und Verkaufsziele dürfen keinen Anreiz darstellen, dass Vermittler oder Angestellte ein schlechter geeignetes Versicherungsprodukt empfehlen als verfügbar.

Versicherungsvermittler und alle Angestellten, die in der Kundenberatung tätig sind, müssen sich im Umfang von 15 Stunden pro Jahr nachweislich weiterbilden.

Die Sanktionen bei Verstößen gegen das Vertriebsrecht werden v.a. für den Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten verschärft und umfassen u.a. die öffentliche Bekanntgabe der Bestraften und ihrer Strafen, ggf. den Widerruf der Erlaubnis sowie eine Abschöpfung bis zum doppelten, mit dem Verstoß erzielten Gewinn.

4. Auswirkungen auf den Versicherungsvertrieb

Mit der Umsetzung der IDD sind zum einen Chancen verbunden. Beratung und Verkauf werden künftig nur noch von qualifizierten Personen ausgeübt, was den bislang schlechten Ruf des Versicherungsvertriebs langfristig verbessern kann. Die Ausweitung des Anwendungsbereichs führt zu mehr Wettbewerbsgerechtigkeit, bspw. zwischen klassischen und internetgestützten Vertriebsformen. Auch kann es mehr Wettbewerb zwischen klassischem Provisionsvertrieb und alternativen Vergütungsmodellen geben.

Zum anderen sind auch Herausforderungen zu bewältigen. Die Überwachung der Versicherer und Vermittler wird kostentreibend weiter verschärft. Das gilt auch für die Sicherstellung der Weiterbildung, für die die Verbände der Versicherungswirtschaft die Brancheninitiative „gut beraten“ gegründet haben. Die Zahl der Vermittler wird deutlich sinken und dadurch wird Vertriebskraft verloren gehen. Versicherer müssen auf anderen Wegen versuchen, Zugang zu Kunden zu erhalten. Die offensive Information der Kunden über Vergütungsmodalitäten kann zu vermehrten Forderungen nach Provisionsabgaben und zu fehlerhaften Kundenentscheidungen nach Rabatthöhe statt nach Qualität des Angebots führen. Der Gesetzgeber muss sich entscheiden, ob und wie er das Provisionsabgabeverbot (§ 298 IV VAG) aufrechterhalten und durchsetzen will, das seit 2012 aufgrund einer Gerichtsentscheidung gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht nicht mehr verfolgt wird.

Literatur: Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb, in: Amtsblatt der Europäischen Union L 26/19 vom 2.2.2016.

Autor(en): Prof. Dr. Matthias Beenken

 

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