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Gesundheitsfonds

1. Kernelemente des Gesundheitsfonds und politisch gewünschte Wirkungsweisen

Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wurde mit Einführung des Gesundheitsfonds zum 1.1.2009 grundsätzlich geändert:

  1. Seitdem fließen sämtliche Beiträge, die bisher für die Mitglieder an diejenigen Krankenkassen abgeführt wurden, bei denen diese Mitglieder versichert sind, komplett dem Gesundheitsfonds zu – einschl. der Beiträge für geringfügig Beschäftigte sowie der gesetzlich vorgesehenen Steuermittel (§ 221 SGB V).
  2. Zudem wurde in der GKV ab 2009 ein einheitlicher Beitragssatz eingeführt und somit den Einzelkassen die Beitragssatzautonomie genommen. Dieser allgemeine Beitragssatz beträgt seit dem 1.1.2015 14,6 % (§ 241 SGB V).

Der Gesundheitsfonds wiederum weist den einzelnen Krankenkassen Finanzmittel zu. Deren Höhe ergibt sich zum einen nach den Modalitäten des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) auf der Basis von zurzeit 80 Krankheiten mit überdurchschnittlichen Kosten und chronischem bzw. schwerwiegendem Verlauf. Zum anderen erhalten die Krankenkassen Sockelbeträge für die Versicherten. Bei diesen Sockelbeträgen handelt es sich um alters- und geschlechtsadjustierte Bedarfszuweisungen, die an die Systematik des bis Ende 2008 bestehenden Risikostrukturausgleichs (RSA) angelehnt sind sowie um GKV-durchschnittliche Zuschläge für Verwaltungsausgaben und Satzungsleistungen. Die tatsächlichen Ausgaben einer Krankenkasse bleiben bei diesen GKV-durchschnittlichen Zuweisungen unberücksichtigt.
Kann eine Krankenkasse ihre tatsächlichen Ausgaben mit den aus dem Gesundheitsfonds erhaltenen GKV-durchschnittlichen Bedarfszuweisungen nicht decken, muss sie von ihren Mitgliedern einen einkommensabhängigen Zusatzbeitrag (§ 242 SGB V) erheben. Dieser – kassenindividuelle – Zusatzbeitrag ist als Prozentsatz der beitragspflichtigen Einnahmen jedes Mitglieds ausgestaltet und wird wie der allgemeine Krankenversicherungsbeitrag unmittelbar von den beitragsabführenden Stellen (z.B. Arbeitgeber, Rentenversicherungsträger, Bundesagentur für Arbeit) einbehalten. Bis zum 31.12.2014 war der Zusatzbeitrag als einkommensunabhängiger Beitrag (einheitlicher Euro-Betrag je Mitglied und Monat für die Mitglieder der jeweiligen Krankenkasse) festgelegt, der auch unmittelbar vom Mitglied zu zahlen war.
Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll die Wirtschaftlichkeit einer Krankenkasse seit der Einführung des Gesundheitsfonds daran ablesbar sein, in welcher Höhe sie einen Zusatzbeitrag von ihren Mitgliedern erhebt. Für den Fall, dass eine Krankenkasse erstmals einen Zusatzbeitrag erhebt oder ihren Zusatzbeitragssatz erhöht, löst dies ein Sonderkündigungsrecht für ihre Mitglieder aus; die übliche 18-monatige Bindungsfrist an die Krankenkassenwahl ist somit aufgehoben. Dem Gesetzgeber schwebte vor, dass durch diese Regelungen die Krankenkassen effizienter arbeiten und sich durch die Ausschaltung des Wettbewerbs um Mitglieder mit hohen Einkommen (da die Beitragseinnahmen an den Gesundheitsfonds abgeführt werden) bzw. Mitglieder mit geringer Leistungsinanspruchnahme (da die Morbidität mittels der Bedarfszuweisungen durch den Gesundheitsfonds ausgeglichen werden soll) sowie durch einheitliche Vergütungsregelungen für die erbrachten Leistungen der Wettbewerb auf die Versorgung der Versicherten konzentriert. Die gesetzgeberischen Intentionen waren von Anfang an im politischen Diskussionsprozess, aber auch in Wissenschaft und Versorgungspraxis heftig umstritten.

2. Änderungen durch das GKV-Finanzierungsgesetz

Eine Fehlkonstruktion der Fondssystematik wurde mit dem GKV-Finanzierungsgesetz, das zum 1.1.2011 in Kraft trat, bereinigt. So sah die gesetzliche Regelung bis dahin vor, dass die Zusatzbeiträge auf 1 % der beitragspflichtigen Einnahmen eines Mitglieds begrenzt sind (Überforderungsklausel § 242 SGB V), es sei denn, der Zusatzbeitrag beträgt nicht mehr als acht Euro monatlich. Dies hätte u.U. dazu führen können, dass Krankenkassen mit überwiegend einkommensschwachen Versicherten und überdurchschnittlich hohem Finanzbedarf (Zusatzbeitrag) diesen hätten nicht mehr decken können. Zusatzbeiträge durften seither nur noch einkommensunabhängig erhoben werden. Die ursprünglich geltende gesetzliche 1 %-Deckelung sowie die acht-Euro-Bagatellgrenze wurden durch das GKV-Finanzierungsgesetz zum 1.1.2011 aufgehoben. Weiter wurde mit dem GKV-Finanzierungsgesetz der ursprüngliche Anpassungsmechanismus für den einkommensabhängigen Beitragssatz gestrichen. Der Beitragssatz sollte angepasst werden, wenn vom GKV-Schätzerkreis prognostiziert wird, dass die Einnahmen des Gesundheitsfonds voraussichtlich weniger als 95 % des GKV-Ausgabenvolumens betragen. Um die Mitglieder vor finanzieller Überforderung durch den Zusatzbeitrag zu schützen, wurde außerdem ein verwaltungsaufwendiger steuerfinanzierter Sozialausgleich (§ 242b SGB V) geschaffen, auf den Mitglieder Anspruch haben, sofern der durchschnittliche Zusatzbeitrag nach § 242a SGB V 2 % ihrer beitragspflichtigen Einnahmen übersteigt. Bei diesem (automatischen) Verfahren ist jedoch impliziert, dass Mitglieder Anspruch auf den Sozialausgleich haben, obwohl sie gar keinen Zusatzbeitrag zahlen oder sogar eine Prämie erhalten. In der Praxis wurde der durchschnittliche Zusatzbeitrag bisher immer auf null Euro festgelegt, so dass diese Regelung ihren Praxistest – glücklicherweise – noch nie bestehen musste.

3. Änderungen durch das GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz

Mit dem GKV-FQWG wurde die Finanzarchitektur zum 1.1.2015 dahingehend verändert, dass hiermit im Kern eine – wenn auch eingeschränkte – Rückkehr zur Beitragssatzautonomie vorgenommen wurde. Die Krankenkassen haben nunmehr – wieder – die Möglichkeit, einen einkommensabhängigen Zusatzbeitragssatz zu kalkulieren, der dann auch im Quellenabzugsverfahren einzubehalten ist. Damit verbunden war die Abschaffung des Sozialausgleichs, dessen Notwendigkeit sich nur bei einkommensunabhängigen Zusatzbeiträgen stellte.
Eine wichtige Weiterentwicklung im Vergleich zu den bis Ende 2008 maßgeblichen kassenindividuellen Beitragssätzen besteht in der neuen Zusatzbeitragssatz-Systematik darin, dass sie mit einem vollständigen Einkommensausgleich verbunden ist. Damit wird verhindert, dass eine Krankenkasse nur deshalb ihren Zusatzbeitragssatz höher/niedriger ansetzen muss/kann, weil sie relativ gesehen einkommensschwächere/einkommensstärkere Mitglieder versichert. Gewährleistet wird dies dadurch, dass die einzelne Krankenkasse ihren durch den Zusatzbeitragssatz abzudeckenden Finanzbedarf mit der durchschnittlichen Einnahme aller Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung kalkuliert (sog. „Durchschnitts-Grundlohn“). Praktisch wird der Einkommensausgleich dadurch sichergestellt, dass alle von den Krankenkassen jeweils auf Basis der individuellen Einnahmen ihrer Mitglieder erhobenen Zusatzbeiträge an den Gesundheitsfonds weitergeleitet werden. Im Gesundheitsfonds wird dann auf Basis des Durchschnitts-Grundlohns, multipliziert mit der Anzahl der Mitglieder der jeweiligen Krankenkasse und dem von ihr festgelegten Zusatzbeitragssatz, der ihr zustehende Anteil am Gesamt-Zusatzbeitragsvolumen ermittelt und per Zuweisung ausgeschüttet. Dieses Vorgehen führt letztlich dazu, dass sich im Gesundheitsfonds für diesen Teil kein „Nullsummenspiel“ erreichen lässt. Allerdings dürfte der sich daraus im Gesundheitsfonds ergebende Minus- oder Plus-Saldo nur eine vergleichsweise geringe Dimension annehmen, der über die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds ausgeglichen wird bzw. in diese einfließt.

4. Reale Gegebenheiten

Durch die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds werden nur die GKV-durchschnittlichen Ausgaben ausgeglichen. Außer Betracht bleibt dabei, dass die Versichertenstrukturen in den Krankenkassen (historisch gewachsen) höchst unterschiedlich sind und kurz- bis mittelfristig kaum beeinflusst werden können. Bei den schematischen Bedarfszuweisungen ist eine Krankenkasse immer dann systematisch benachteiligt, wenn sie überproportional viele Versicherte in ihrem Bestand hat, die morbider sind als der GKV-Durchschnitt, die aber wiederum nicht so morbide sind, dass ihre Leistungsausgaben mittels einer „HMG“ (= hierarchisierten Morbiditätsgruppe) über den „Morbi-RSA“ in spezifischer Weise ausgeglichen werden. Auch bei den „Morbi-RSA“-Bedarfszuweisungen für die zurzeit 80 Krankheiten ist eine Krankenkasse benachteiligt bzw. im Vorteil, wenn bei ihr überdurchschnittlich viele Personen versichert sind, deren spezifische Krankheitskosten über bzw. unter den GKV-durchschnittlichen Leistungsausgaben für diese jeweiligen Krankheiten liegen.
Dies hat auch der Evaluationsbericht zum Jahresausgleich 2009 (Siehe Drösler, S./Hasford, J. et al, Evaluationsbericht, 2011) herausgearbeitet. Er attestiert, dass sich die Zielgenauigkeit des Ausgleichsverfahrens zwar verbessert hat, nach wie vor jedoch Ungenauigkeiten bei den Zuweisungen im hohen Alter, bei Multimorbidität und bei Hochkostenfällen vorliegen. Insbesondere auf Kassenebene, so die Gutachter, beträgt der „mittlere absolute prozentuale Fehler der Zuweisung“ (Drösler, S./Hasford, J. et al, Evaluationsbericht, 2011) immerhin noch 2,8 %. Dies trifft in erster Linie die sog. Versorgerkrankenkassen, die den Großteil der Morbiditätslast der GKV zu schultern haben. Diese werden auch bei der Zuweisung für die Verwaltungskosten benachteiligt, da die höhere Morbidität und damit einhergehender höherer Beratungsbedarf der Versicherten in den Zuweisungen nicht adäquat abgebildet werden.
Aufgrund der gewachsenen und nicht kurzfristig änderbaren Strukturen sowie aufgrund der geschilderten Ungenauigkeiten bei der Mittelzuweisung über den Morbi-RSA war es unvermeidbar, dass einige Krankenkassen einen Zusatzbeitrag erheben mussten. Darüber kam es bei zwei Krankenkassen sogar zur Schließung.
Eine vom BVA im Rahmen der Auswertung zum RSA-Jahresausgleich für das Ausgleichsjahr 2013 vorgenommene Analyse ist – ebenfalls und nicht überraschend – zu dem Ergebnis gelangt, dass auch im derzeitigen Morbi-RSA eine Überdeckung der Ausgaben durch Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds für „gesunde“ Versicherte (= denen keine HMG zugeordnet ist) von durchschnittlich 5 % vorhanden ist, während für Versicherte mit einer oder zwei HMG`s im Durchschnitt eine Unterdeckung zu verzeichnen ist. Dies belegt erneut die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung des Morbi-RSA hin zu einer umfassenden Abbildung der Morbidität sowie auch die Notwendigkeit zu einer Diskussion um die Frage, ob – abweichend von der derzeitigen Rechtslage – eine Umstellung vom prospektiven Verfahren zu einem zeitgleichen Verfahren angezeigt erscheint. Der letztgenannte Diskussionsbedarf entsteht aufgrund der Tatsache, dass insbesondere teurere Akuterkrankungen, die im Eintrittsjahr hohe Kosten verursachen, in den Folgejahren jedoch nicht mehr (z.B. Krebserkrankungen), adäquat im derzeitigen Morbi-RSA abgebildet werden.

5. Entwicklungen nach Einführung des Gesundheitsfonds mit Zusatzbeitrag und Prämien

Es war absehbar, dass im Fall eines Zusatzbeitrags viele Mitglieder ihr Sonderkündigungsrecht in Anspruch nehmen und ihre Krankenkasse wechseln würden. Dies liegt insbesondere daran, dass die Politik die Erhebung von Zusatzbeiträgen als Zeichen von Ineffizienz stigmatisiert hat. Weiter hat sich herausgestellt, dass v.a. diejenigen Mitglieder die Krankenkasse verlassen, die keine oder nur unterdurchschnittliche Leistungsausgaben verursachen. Durch diesen Verlust von „positiven Deckungsbeiträgen“ erhöht sich der Druck auf die einzelne Krankenkasse, zumal sie Verwaltungsstrukturen nicht im gleichen Umfang und in gleicher Geschwindigkeit abbauen kann. Dies wiederum treibt den erforderlichen Zusatzbeitragssatz für die verbliebenen Mitglieder in die Höhe, sodass weitere Mitglieder wegen des steigenden Zusatzbeitrags abwandern, und so fort. Die betroffene Krankenkasse befindet sich dann schnell in einer Abwärtsspirale. Am Ende dieser Entwicklung wird die Krankenkasse zahlungsunfähig und verschwindet vom Markt.
Mit dem Umstieg vom einkommensunabhängigen, unmittelbar vom Mitglied zu zahlenden absoluten Zusatzbeitrag hin zum einkommensproportionalen Zusatzbeitragssatz mit Quellenabzug hat sich diese rein preisgetriebene Wettbewerbssituation etwas entspannt. Nunmehr wird für das einzelne Mitglied eine Beitragsdifferenz zwischen den Krankenkassen nicht mehr so offenkundig. Die amtlichen Versichertenzahlen im 1. Halbjahr 2015 belegen auch, dass die Quoten der Versichertenabgänge bei den Krankenkassen mit überdurchschnittlichem Zusatzbeitragssatz deutlich geringer ausfallen, als dies seinerzeit bei Erhebung der absoluten Zusatzbeiträge in den Jahren 2010 ff. der Fall gewesen war. Dennoch ändert dies nichts an der Tatsache, dass Krankenkassen mit überdurchschnittlichem Zusatzbeitragssatz in eine Abwärtsspirale mit existenzieller Bedrohung geraten können.

6. Zielsetzung des Gesetzgebers verfehlt

Vor diesem Hintergrund herrscht ein erheblicher Druck auf die einzelne Krankenkasse, die Anhebung ihres Zusatzbeitragssatzes zu vermeiden bzw. so lange wie möglich hinauszuzögern. Diese falschen ökonomischen Anreize zwingen die Krankenkassen zu der folgenden betriebswirtschaftlichen Logik, wenn sie überleben wollen:

  • Harte Zusatzbeitragssatzbegrenzungsstrategie statt Orientierung an Versorgungsnotwendigkeiten;
  • Ausrichtung kurzfristig attraktiver Angebote auf betriebswirtschaftlich interessante Zielgruppen (Junge und Gesunde) statt auf langfristige Versorgungsstrategien (Zielgruppe: Kranke, Chroniker etc.).

Die innere Logik des Gesundheitsfonds mit einem Einheitsbeitragssatz und Zusatzbeitrag zwingt die Krankenkassen somit in einen Wettbewerb, der der eigentlichen Intention der Politik, nämlich Wettbewerb um die Versorgung der Versicherten, diametral entgegenläuft.

Literatur: Drösler, S./Hasford, J. et al., Evaluationsbericht zum Jahresausgleich 2009 im Risikostrukturausgleich, Bonn 2011; Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz – GKV-FQWG) vom 21.7.2014; Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz – GKV-FinG) vom 22.12.2010; Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 1.4.2007; Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung – Artikel 1 des Gesetzes vom 20.12.1988, (BGBl. I S. 2477, 2482).

Autor(en): Professor Dr. h.c. Herbert Rebscher

 

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