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Risikotransfertest

1. Begriff: Analyse des Umfangs des übertragenen versicherungstechnischen Risikos (Underwriting Risk und/oder Timing Risk) vom Zedenten auf einen Rückversicherer. Die aufsichtsrechtliche Anerkennung eines Vertrags als Rückversicherung und seine Erfassung innerhalb der externen Rechnungslegung in der Versicherungstechnik beruhen auf einem hinreichenden versicherungstechnischen Risikotransfer. Je nach nationalen aufsichtsrechtlichen Normen oder Rechnungslegungsvorschriften können die Erfordernisse für den Umfang des Transfers von Underwriting Risk bzw. Timing Risk variieren. Die Würdigung und Bilanzierung der Rückversicherungsverträge gestalten sich dann in Abhängigkeit vom Ergebnis des Risikotransfertests. Gegenstände der Analysen sind die Cash-Flow-Szenarien über die Barwerte aller Zahlungsströme zwischen Zedent und Rückversicherer für die gesamte, oftmals mehrjährige Laufzeit, bezogen auf den Vertragsbeginn.

2. Voraussetzung: Für die Anerkennung als Rückversicherung ist eine hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit eines signifikanten versicherungstechnischen Verlusts für den Rückversicherer erforderlich, d.h. es muss die realistische Wahrscheinlichkeit bestehen, dass bei den o.g. Cash-Flow-Szenarien tatsächlich ein signifikanter Verlust für den Rückversicherer entsteht. Falls der zugrunde liegende Erstversicherungsvertrag kein ausreichendes Verlustpotenzial aufweist (keine ausreichende Eintrittswahrscheinlichkeit von Schäden und/oder kein signifikantes Schadenhöhenpotenzial), aber eine (nahezu) vollständige Übernahme des Versicherungsrisikos durch den Rückversicherer erfolgt, besteht keine Notwendigkeit der Übernahme eines signifikanten versicherungstechnischen Risikos durch den Rückversicherer (Ausnahmeregelung).

3. Methoden zur Messung des Underwriting Risk: Mangels einheitlicher aufsichtsrechtlicher Regelungen kommen in der Praxis verschiedene Verfahren zum Einsatz. Beispiele für die Schaden‑/Unfall-Rückversicherung: a) „10/10-Regel“: entwickelte sich aus der amerikanischen Rechnungslegungspraxis (u.a. FAS 113) als Faustregel. Ein signifikantes Verlustrisiko für den Rückversicherer liegt nach dieser Regel vor, wenn ein (Barwert‑)Verlust von mindestens 10 % der (Barwert‑)Prämie mit mindestens 10%iger Wahrscheinlichkeit eintritt. In der Praxis haben sich weitere Anpassungen entwickelt. So wird international im Rahmen eines Risikotransfertests häufig der "ERD" (Expected Reinsurers Deficit) herangezogen. Der ERD setzt alle erwarteten Verlustausprägungen aus negativen Szenarien ins Verhältnis zur erwarteten Prämie. Ein signifikantes Verlustrisiko liegt vor, wenn der ERD mindestens -1 % beträgt.
b)Produktregel: ist als Verallgemeinerung der 10/10-Regel anzusehen. Das Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit (z.B. 10 %) und relativer Verlusthöhe (z.B. 10 %) sollte bei dieser Methode mindestens 1 % betragen. Damit können auch erwartete Verluste mit geringeren (< 10 %) Wahrscheinlichkeiten, aber höheren potenziellen Verlustbeträgen (> 10 %), z.B. Erdbebendeckungen, berücksichtigt werden.
c) Expected Reinsurer Deficit (ERD): Der ERD stellt den bedingten Erwartungswert aller möglichen Verlustsituationen für den Rückversicherer aus dem betrachteten Vertrag dar. Als Schwellenwert wird, wie bei der Produktregel, das Produkt aus Verlustwahrscheinlichkeit und durchschnittlicher Verlusthöhe des Rückversicherers unter einem Vertrag betrachtet und als positiver Prozentsatz der Prämie ausgedrückt. In der Praxis hat sich ein Schwellenwert von 1 % (z.B. 10 % Wahrscheinlichkeit für eine 10%ige Verlusthöhe) der Rückversicherungsprämie als erwarteter relativer Verlust des Rückversicherers etabliert. Die Bestimmung des ERD erfordert eine stochastische Simulierung des Vertragsverlaufs. Ist der erwartete relative Verlust also größer als oder gleich 1 % der Rückversicherungsprämie, so ist von einem ausreichenden Verlustpotenzial und damit auch von einem hinreichenden Risikotransfer auszugehen.

Autor(en): Dr. rer. pol. Ludger Arnoldussen, Dr. oec. publ. Laila Neuthor

 

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