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Versicherungslexikon

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Transparenz und Versicherungsvertrieb

1. Einleitung

Aus den Gedanken des Verbraucherschutzes heraus wurde die Forderung an die deutsche Versicherungsbranche gestellt, mehr Transparenz im Sinne der Verfügbarkeit von Informationen zu den Produkten und ihren Bestimmungsparametern – besonders bezogen auf die Kosten und die Risikoprofile – zu schaffen (z.B. Thesenpapier des damaligen Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, kurz: BMELV, vom 1.7.2009 zur Qualität der Finanzberatung und Qualifikation der Finanzvermittler). Gleiches hatte die Versicherungsbranche von sich aus bereits 2006 angeregt, was als „Transparenzoffensive des GDV“ bezeichnet wurde. Die geforderte Transparenz schlägt sich unmittelbar auch in der Beratung durch die Vermittler nieder. Zum einen erhöhen sich der Beratungsumfang und das Dokumentationserfordernis um die erweiterte Informationsmenge, was ggf. zu einer Erweiterung der Haftungstatbestände führen kann, zum anderen sind die Vertriebskosten wesentlich durch das Einkommen der Vermittler bestimmt; die Vertriebskosten sind gleichfalls Inhalt der Transparenzforderung.

Die Forderung nach Transparenz fand in einer Anzahl von unterschiedlichen Gesetzen, Verordnungen und Initiativen ihren Niederschlag. Dabei findet die Rechtsetzung zunehmend auf der Ebene der Europäischen Union statt.

Besonders zu erwähnen sind nachfolgende Regelungen und Maßnahmen, die sich in die Kategorien nationale „Wohlverhaltensregeln“, und Gesetzesinitiativen sowie Regularien auf europäischer Ebene unterteilen lassen:

2. Nationale „Wohlverhaltensregeln“ und Gesetzesinitiativen
a) Verhaltenskodex für den Vertrieb

Bereits 2010 wurde eine Brancheninitiative verabschiedet, die im November 2012 nochmals verschärft wurde. Durch die Neuformulierung soll ein Standard für die Beratung umgesetzt und extern durch Wirtschaftsprüfer kontrolliert werden. Dieser Initiative sind inzwischen fast alle Versicherungsunternehmen beigetreten. In dem sog. „Verhaltenskodex“ sind auch Transparenzregelungen getroffen, wie z.B. zur Offenlegung von Vergütungen über die vertragsgemäße Courtagevereinbarung hinaus, zur unaufgeforderten Angabe des vorliegenden Vermittlerstatus beim Erstkontakt mit einem Kunden sowie mit der Vorgabe, dass das Versicherungsprodukt dem Kunden einfach und verständlich zu erläutern ist.

b) Produktinformationsblatt

Mit der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes wurde die Informationspflichtenverordnung (InfoV vom 18.12.2007) rechtsverbindlich. Seit dem 1.7.2008 erhalten die Kunden ein Produktinformationsblatt, auf dem sie die wesentlichen Informationen zu ihrem Produkt zusammengefasst erhalten. Der Kostenausweis hat gesondert nach den Abschluss- und Vertriebskosten sowie der sonstigen Kosten in Euro zu erfolgen. Durch das Inkrafttreten des Altersvorsorge-Verbesserungsgesetzes (AltvVerbG) am 1.7.2013 wurde für die kapitalgedeckte zusätzliche Altersvorsorge (Riesterprodukte) ebenfalls ein verpflichtendes normiertes Produktinformationsblatt eingeführt.

c) Produktinformationsstelle für Altersvorsorgeprodukte

Das Bundesministerium für Finanzen hat in 2015, nach öffentlicher Ausschreibung (gem. § 3a I AltZertG), eine Produktinformationsstelle für Altersvorsorgeprodukte (PIA) für mindestens fünf Jahre mit Aufgaben zu mehr Transparenz betraut.

Nach einer bereits eingeführten Regelung hat für jeden auf der Basis eines zertifizierten Altersvorsorge- oder Basisrentenvertragsmusters vertriebenen Tarif eine Einordnung in Chancen-Risiko-Klassen (CRK) auf Basis der Ergebnisse eines Simulationsverfahrens zu erfolgen.

Die PIA unterbreitet daneben Vorgaben zu den Effektivkosten. Wie Effektivkosten zu berechnen sind und damit auch „weiche“ Kostenarten in die Effektivkostenberechnung einzubeziehen sind, wird von der PIA festgelegt und veröffentlicht.

d) Sprachwissenschaftliche Aufbereitung der Musterbedingungen

Die Initiative des GDV zur sprachwissenschaftlichen Aufbereitung der Musterbedingungen war darauf angelegt, die nach den Transparenzanforderungen gebotene Verständlichkeit der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kunden zu erhöhen.

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a) MiFID II (Markets in Financial Instruments Directive)

MiFID II ist die Neufassung der ursprünglichen Finanzmarktrichtlinie MiFID und seit Juni 2014 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Im Zuge von MiFID II soll mehr Transparenz beim Verkauf von Koppelprodukten geschaffen werden, indem die Produkte entkoppelt darstellt werden sollen. Das gilt auch für die Kosten, die pro gekoppeltem Produktelement gesondert ausgewiesen werden sollen.

b) IDD (Insurance Distribution Directive; ehemals IMD 2 – Insurance Mediation Directive 2)

Auch die Richtlinie über die Versicherungsvermittlung wurde neu gefasst und vom Europaparlament und EU-Rat im Januar 2016 unterzeichnet (Richtlinie [EU] 2016/97). In den kommenden zwei Jahren muss die Richtlinie von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Damit einhergehend sollen die Informationspflichten erhöht werden.

Bereits in der IMD 2 wurde klargestellt, wer im Anwendungsbereich der Richtlinie als Vermittler gilt: Makler, Mehrfirmenvertreter und Einfirmenvertreter, Vermittlungsgesellschaften, Vergleichswebseiten, Direktvertrieb, Angestellte von Versicherungsunternehmen und Annexvermittler (wenn die Vermittlung einen bestimmten Schwellenwert übersteigt). Die Vermittler sollen ihren Status als gebundene oder freie Vermittler offenlegen.

Die EU-Mitgliedstaaten, das Europaparlament und die EU-Kommission haben sich in ihrer Tagung am 30.6.2015 darauf verständigt, dass keine Provisionsverbote (wie in Art. 17 II geplant), auch nicht für unabhängige Beratung, ausgesprochen werden. Ebenfalls soll keine verpflichtende Offenlegung der Provision in Euro und Cent gefordert werden, aber auf Wunsch des Kunden soll eine solche Offenlegung stattfinden müssen (sog. Soft Disclosure).

Für Versicherungsanlageprodukte wird zusätzlich über die Offenlegung der Kalkulationsbasis der Vergütung nachgedacht.

c) PRIIPs (Packaged Retail Investment and Insurance-based Products)

Ein gesonderter Teil der IDD bezieht sich auf sog. Versicherungs-PRIIPs, d.h. versicherungsgebundene Investments. Diesbezüglich sollen die Versicherer künftig Vorkehrungen gegen Interessenskonflikte treffen oder etwaige Interessenkonflikte vorab eindeutig darlegen. Interessenkonflikte können z.B. finanzielle Vorteile des Vermittlers zulasten des Kunden, Anreize in Form von Geld, Gütern oder Dienstleistungen zusätzlich zu der für die Dienstleistung üblichen Provision oder Gebühr und weitere Tatbestände und Vorgänge sein (vgl. Richtlinie 2006/73/EG, Art. 22).

Im Kern geht es bei der PRIIPS-Verordnung um eine Initiative zur Einführung eines Basisinformationsblatts für alle Versicherungs-Anlageprodukte mit engen formalen und inhaltlichen Vorgaben, analog z.B. dem heutigen Produktinformationsblatt zu Riesterprodukten, nur in höherer Granularität. Dieses Informationsblatt soll die relevanten Tatbestände und Risiken sowie Chancen des Versicherungs-Anlageprodukts prägnant darstellen.

Die Initiative umfasst des Weiteren umfangreiche Publikationspflichten, z.B. einen jährlichen Performance-Vergleich mit anderen Produkten, der bei der Aufsicht einzureichen ist. Eine Vernachlässigung der Publikationspflichten soll bspw. durch ein Bußgeld sanktioniert werden.

Darüber hinaus ermöglicht PRIIPS den nationalen Aufsichtsbehörden ein Verbot von Produkten, wenn von ihnen Gefahren für den Markt oder Verbraucher ausgehen.

Die Europäischen Aufsichtsbehörden (European Supervisory Authorities, kurz: ESA) erarbeiten derzeit die technischen Regulierungsstandards (RTS) zur Ausgestaltung der Basisinformationsblätter. Inhaltlich geht es dabei u.a. um Kosten- und Risikoindikatoren und um Produktinterventionsbefugnisse.

Geplant sind ferner ein weiteres Diskussionspapier zum Risikoindikator, ein zweistufiger Verbrauchertest und ein Konsultationspapier zu den technischen Regulierungsstandards.

d) Transparenz zu nicht-finanziellen Kriterien

Die Europäische Kommission hat einen Richtlinienvorschlag zur Offenlegung nicht-finanzieller Informationen und Informationen über Diversität (COM(2013)207 v. 16.4.2013) erarbeitet.

Nach dem Richtlinienvorschlag soll die Transparenz über nicht-finanzielle Informationen (darunter sind ökologische Aspekte, Korruptionsfälle, Arbeitnehmer- und Menschenrechtsbelange etc. zu verstehen) erhöht werden und in die Kategorie der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility, CRS) fallen.

Auf nationaler Ebene wurden bereits mit der Novelle des Alterseinkünfte-Gesetzes ab dem Jahr 2005 die bestehenden vorvertraglichen Berichtspflichten um Environment Social Governance (ESG)-Aspekte erweitert.

4. Ausblick

Generell lässt sich feststellen, dass in der Vergangenheit die Transparenz zwischen Kunde und Vermittler bzw. Kunde und Produkt im Vordergrund des Verbraucherschutzes stand. Mit zunehmenden Governance-Anforderungen aus Solvency II, aber auch mit den regulatorischen Vorschriften bezüglich „Product Oversight and Governance“ (POG) der IMD 2/IDD Richtlinie verschiebt sich zunehmend der Fokus an den Anfang der Wertschöpfungskette, die Produktentwicklung. Verbraucherschutz setzt damit nicht erst an der Schnittstelle zum Kunden an, sondern soll künftig integraler Bestandteil der Produktentwicklung werden. Hierzu zählen entsprechende Produkttests, Zielmarktanalysen und Feedbackschleifen, wie z.B. das Beschwerdemanagement. Der Trend wird durch eine präventive Aufsicht verstärkt, die versucht, frühzeitig Missstände zu erkennen und aufzugreifen. Zu erwähnen sind die „Trend Reports“ der Europäischen Aufsicht sowie die in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Kleinanlegerschutzgesetz etablierten Marktwächter für Finanzmärkte und die Digitale Welt.

Besonders die zunehmende Digitalisierung stellt die Transparenz in der Versicherungsvermittlung vor neue Herausforderungen. Neue Vertriebskanäle via Web oder Apps, aber auch Produktvergleichswebseiten, müssen sich dem Thema Transparenz in der Versicherungsvermittlung stellen. Das betrifft sowohl die Auswahl- als auch die Bewertungskriterien. Hier wird künftig die Regulierung gefordert sein, zum technischen Fortschritt aufzuschließen.

In der Summe aller „Wohlverhaltsinitiativen“ und regulatorischen Vorgaben ist festzustellen, dass es eine Vielzahl von Regelungsüberschneidungen und Doppelregelungen gibt.

Für die Akquisiteure von Versicherungs- und Finanzdienstleistungsprodukten aus dem Bereich der Altersvorsorge wird mit den zunehmenden Regelungen der Anspruch an die Beratungsqualität, das Beratungsvolumen und die Dokumentationen deutlich erhöht und die Haftungstatbestände werden deutlich vermehrt.

Autor(en): Professor Dr. Hans-Wilhelm Zeidler

 

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