Ein obergerichtlicher Beschluss entlastet einen Versicherer von seiner Beratungspflicht anlässlich eines vom Kunden gemeldeten Umzugs und einer dazu nicht mehr passenden Versicherungssumme. Die Begründung wirft Fragen auf.

In seinem Hinweisbeschluss vom 10. September 2024 (Az. 1 U 13/24, r+s 12/2025, 532-535 inklusive Anmerkungen) bestätigt das Oberlandesgericht Oldenburg ein Urteil aus der ersten Instanz (Urteil Landgericht Oldenburg vom 20.12.2023, Az. 13 O 2729/22, Rechtsdatenbank Niedersachsen). Damit ist das ganze Verfahren allerdings noch nicht zu Ende, denn der Hinweisbeschluss ist nicht rechtskräftig und eine Überprüfung beim Bundesgerichtshof anhängig.

Sehr niedrige Versicherungssumme für ein Haus

Was war passiert? Ein Kunde schloss 2003 eine Hausratversicherung mit damals 20.000 Euro Versicherungssumme ab. Mittlerweile war diese durch Anpassungen auf 28.600 Euro angewachsen.

Im November 2018 teilte der Kunde seinem Versicherer einen Umzug an eine neue Adresse mit. Der wiederum antwortete mit einem Schreiben vom 23. November 2018, wonach er zur Überprüfung, ob Anpassungen am Versicherungsschutz notwendig seien, weitere Angaben benötige. Die Beitragsrechnung für 2019 erfolgte im Januar lediglich mit der üblichen Anpassung der Versicherungssumme. Am 13. Feburuar 2019 teilte der Kunde seinem Versicherer mit, die Tarifzone habe sich durch den Umzug geändert, weshalb er ein Sonderkündigungsrecht in Anspruch nehmen wolle. Das nahm der Versicherer mit Wirkung zum 1.3.2020 an.

Hoher Einbruchdiebstahl-Schaden

Zum Problem wurde das Ganze mit einem Einbruchdiebstahlschaden am 5. Oktober 2019. Behauptet wurde ein Schaden von 100.000 Euro, gestohlen worden seien ein Waffenschrank mit Waffen und Zubehör sowie Schmuck und Bargeld. Zwar wurde ein Teil des Diebesguts später wieder aufgefunden, sei aber nicht mehr brauchbar gewesen.

Der Versicherer leistete hierfür eine Entschädigung von 11.543,33 Euro. Das war ein wegen Unterversicherung stark gekürzter Schadenersatz. Der Versicherer unterstellte einen tatsächlichen Wert des Hausrats von 70.000 Euro, dem nur 28.600 Euro Versicherungssumme gegenüberstanden oder 40,85 Prozent des tatsächlichen Werts. Das wirkte sich zusätzlich auf die Wertsachenentschädigung mindernd aus, für die eine Grenze von 20 Prozent galt.

Der Kunde versuchte in diesem Verfahren, mit Verweis auf ein Beratungsverschulden des Versicherers eine höhere Entschädigung durchzusetzen. Denn er habe telefonisch dem Versicherer mitgeteilt, von einer Mietwohnung in ein Einfamilienhaus mit 115 Quadratmetern Wohnfläche umgezogen zu sein. An den Brief des Versicherers konnte er sich nicht mehr erinnern, der könne im Umzugsstress verloren gegangen sein. Eine Beratung sei das auch nicht gewesen.

Anlassabhängige Beratungspflicht während der Vertragslaufzeit

Im Kern ging es in der Auseinandersetzung um den § 6 Absatz 4 VVG. Danach muss ein Versicherer erneut beraten, wenn während der Vertragslaufzeit ein Anlass dafür erkennbar wird. Der Kunde könnte darauf schriftlich verzichten, das scheint hier nicht der Fall gewesen zu sein.

Nach Meinung des OLG Oldenburg bestand aber kein Anlass zu einer erneuten Beratung des Kunden. Ein Versicherer sei kein „treuhänderischer Sachwalter“ seines Kunden. Vielmehr müsse der Kunde „während der Vertragslaufzeit, sofern hierfür objektiv ein Anlass besteht, der für den Versicherer erkennbar ist, auf Umstände aufmerksam gemacht werden, die Beweggrund zur Vertragsänderung oder zum Abschluss eines neuen Versicherungsvertrages sein können“. Der Versicherer müsse überhaupt nur aktiv werden, wenn er erkennen könne, dass der Kunde „irrige Vorstellungen hat“, was in seinem Vertrag versichert ist.

Der Kunde hätte sich selbst darum kümmern müssen, die Versicherungssumme seines Hausrats an die im Lauf der Jahre veränderten Verhältnisse anzupassen. Selbst eine telefonische Meldung einer neuen Quadratmeterzahl an neuer Adresse ändere nichts daran. Und zusätzlich ist das OLG der Meinung, dass schon das Informationsschreiben vom 23.11.2018 ausgereicht habe, sodass dem Versicherer keine Pflichtverletzung nachgesagt werden könne.

Eigenwillige Auslegung des VVG

Dieses Urteil überrascht nicht nur den Kommentator, Rechtsanwalt Gianluca Frey von DLA Pieper UK LLP. Er bezweifelt, dass dieses Urteil der Überprüfung durch den BGH standhält. Denn hier handelte es sich offenkundig um eine Hausratversicherung, bei der eine Versicherungssumme namentlich festgelegt wird, wobei die Quadratmeterzahl eine Rolle spielen kann. Es hätte sich aufgedrängt, bei einer neuen, 115 Quadratmeter großen Wohnung skeptisch zu sein, ob knapp unter 29.000 Euro eine passende Versicherungssumme sein können. Jedenfalls gebe es keine Hinweise darauf, dass der Kunde bewusst und gewollt eine Unterversicherung in Kauf nehmen wollte. „In diesem Fall drängt sich eine Unterversicherung und damit ein Irrtum des Versicherungsnehmers geradezu auf.“

Noch wichtiger erscheint folgender Hinweis: „Der allgemeine Hinweis der Beklagten darauf, dass der Versicherungsnehmer möglicherweise seinen Versicherungsschutz anpassen müsse, genügt der Beratungs- und Hinweispflicht nicht.“ Das liegt wohl keineswegs nur daran, dass es in dem Schreiben des Versicherers keine Aufklärung über die Folgen einer möglichen Unterversicherung gab. Auch ein Hinweis auf eine empfohlene Versicherungssumme pro Quadratmeter Wohnfläche ist hier zu wenig.

Befragung: Fehlanzeige

Denn nach § 6 Absatz 4 VVG besteht „die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1“ auch nach Vertragsschluss fort, wenn ein Anlass dazu für den Versicherer erkennbar ist. In dem zitierten Satz steht, dass der Versicherer den Kunden, wenn aufgrund der Situation wie hier einem angezeigten Umzug dafür Anlass besteht, „nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen“ hat. Die Sachverhaltsschilderung lässt nicht erkennen, dass ein Mitarbeiter des Versicherers oder eine Vertretung den Kunden nach seinen Wünschen und – viel wichtiger – nach seinen Bedürfnissen einer ausreichend hoch bemessenen Versicherungssumme befragt hat. Ein allgemeines Hinweisschreiben ist jedenfalls keine Befragung.

Weiter soll der Versicherer den Kunden beraten, wenn auch unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit. Auch dazu gibt die Fallschilderung nichts her, ob zum Beispiel bei der telefonischen Anzeige der oder die Telefonist oder Telefonistin des Versicherers eine solche Beratung geleistet oder den Kunden zu einer entsprechend beauftragten, anderen Abteilung oder zu einer Agentur weitergeleitet hat. Darüber sollte es eine Beratungsdokumentation des Versicherers geben. Und es sollen „die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat“ angegeben werden – das wäre hier womöglich der Rat einer erheblichen Anhebung der Versicherungssumme gewesen mit der Begründung, dass damit eine Unterversicherung jedenfalls bis zur Höhe der neuen Versicherungssumme nicht mehr überprüft und angerechnet werden würde. Das dürfte man einem durchschnittlich verständigen Kunden in wenigen Minuten Telefonat erklären können, und eine gute Software würde diese Minuten Gespräch in eine Dokumentation umwandeln können.

Natürlich hätte auch der Kunde auf die Idee kommen können, eine so alte und niedrige Versicherungssumme einmal zu überprüfen. Aber wenn es gesetzliche Beratungspflichten gibt, sollten diese auch erbracht werden.

Autor(en): Matthias Beenken