Ungebunden, aber nicht unabhängig

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Der ECON-Ausschuss des Europäischen Parlaments hat seinen Abschlussbericht zur Kleinanlegerstrategie als Basis für die Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und vor allem dem EU-Rat vorgelegt. Der enthält weitaus mehr als nur Korrekturen bei einem möglichen Provisionsverbot der Versicherungsmaklerinnen und Versicherungsmakler.

In den Stellungnahmen der Vermittlerverbände und der Berichterstattung über den jüngst vorgelegten Textentwurf des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Europäischen Parlaments überwiegt die Erleichterung über eine Abkehr von einem strikten, partiellen Provisionsverbots für Maklerinnen und Makler. Allerdings gibt es eine Reihe weiterer, wichtiger Änderungen im Detail gegenüber den früheren Vorschlägen sowohl der EU-Kommission (Versicherungsmagazin vom 19. Juni 2023) als auch zwischenzeitlicher Anpassungen im ECON-Ausschuss vom Januar des Jahres.

Gleichklang der Bildungsvorgaben mit der MiFID

Ein wichtiger Bereich sind die Vorgaben zur Aus- und Weiterbildung der im Finanzanlagen- oder Versicherungsvertrieb tätigen Personen. Erstmals sollen in die Wertpapierdienstleistungs-Richtlinie MiFID II Vorgaben aufgenommen werden, wie sie in der Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD bereits enthalten sind.

Die Begründung lautet, dass die „Berater“, also Vermittler und Angestellte mit Vertriebstätigkeiten bei Anlagen oder Versicherungsanlagen, qualifiziert sein sollen. „Zur Verbesserung der Beratungsqualität und zur Gewährleistung unionsweit gleicher Wettbewerbsbedingungen sollten strengere gemeinsame Mindeststandards für die Anforderungen an Kenntnisse und Fähigkeiten festgelegt werden“, heißt es im Erwägungsgrund 22 der sogenannten Omnibusrichtlinie zum Schutz von Kleinanlegern. „Dies ist in Anbetracht der zunehmenden Komplexität und der fortlaufenden Innovationen bei der Konzeption von Finanzinstrumenten und Versicherungsanlageprodukten sowie der wachsenden Bedeutung von Nachhaltigkeitserwägungen besonders wichtig.“

Mehr Pflichtstunden Weiterbildung möglich

Neu ist, dass die aus der IDD bekannten 15 Stunden Weiterbildung nunmehr sowohl nach MiFID als auch nach IDD eine Untergrenze darstellen. National können für bestimmte Personengruppen höher angesetzt werden. Zudem sind für alle diejenigen, die Anlagen oder Versicherungsanlagen vertreiben, national „eine angemessene Anzahl an Stunden“ für Weiterbildung über ökologisch und sozial nachhaltige Investitionen und die „Einbeziehung von Nachhaltigkeitsfaktoren und der Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden im Zuge des Beratungsprozesses“ festzulegen.

Gegenüber einem Zwischenstand von Januar ist aber die feste Zahl von sieben Stunden pro Jahr entfallen. Zudem hätten nach der ursprünglichen Formulierung der IDD sämtliche Versicherungsvermittler und Angestellten diese sieben Stunden pro Jahr leisten sollen, selbst wenn sie gar keine Versicherungsanlageprodukte vermitteln. Der jetzt vorgelegte Text stellt klar, dass es nur um diejenigen geht, die sich mit Versicherungsanlagen befassen.

Abgrenzung zwischen Fonds und Fondsleben

Nur in der IDD wird zudem vorgeschlagen einzuschieben: „Für kleine Vermittler, die sowohl Finanzinstrumente als auch Versicherungsanlageprodukte vertreiben, können die Mitgliedstaaten spezifische Anforderungen hinsichtlich der Stundenzahl für die berufliche Schulung festlegen.“ Eine Definition des „kleinen Vermittlers“ ist nicht enthalten. Interessant ist dieser Vorschlag aber deshalb, weil damit die leidige Abgrenzung der Bildungsinhalte zwischen Anlagen und Versicherungsanlagen sinnvoll geregelt werden kann, die zum Beispiel Thema der „FAQ“ von DIHK und BaFin ist.

Darin heißt es zur Anerkennungsfähigkeit von Weiterbildungen für Versicherungsvertreiber: „Ebenso wenig können Veranstaltungen zu den Themen Finanzanlagen/Immobiliendarlehen/Bausparen anerkannt werden. Sofern in diesem Rahmen eine Weiterbildung zu Versicherungsprodukten stattfindet, bspw. zur betrieblichen Altersvorsorge oder Lebensversicherungen, können nur diese Teile der Veranstaltung anerkannt werden. In diesem Fall muss dieser Weiterbildungsteil in dem Weiterbildungsnachweis/Bescheinigung des Weiterbildungsanbieters separat ausgewiesen werden.“

Das führt zu einer wenig praktikablen, künstlichen Trennung beispielsweise in Fondsschulungen zwischen nicht anrechnungsfähigen, reinen Fonds- und anrechnungsfähigen Inhalten zur Fondslebensversicherung. Das könnte künftig einfacher geregelt werden, beispielsweise, indem alle Vermittler mit Zulassungen sowohl für die Finanzanlagen- als auch die Versicherungsvermittlung eine doppelte Stundenzahl an Mindestweiterbildung zu absolvieren hätte, dafür aber eine wechselseitige Anrechnungsfähigkeit von Bildungsinhalten nicht mehr relevant wäre zu klären. Das müsste entsprechend in die deutsche Gewerbeordnung bzw. die Finanzanlagen- und die Versicherungsvermittlungs-Verordnungen aufgenommen werden.

Benchmarks für kosteneffiziente Versicherungsanlagen

Trotz aller Branchenkritik soll die Europäische Aufsichtsbehörde EIOPA weitgehende Kompetenzen erhalten, den Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten durch sogenannte Benchmarks zu regulieren. Auch wenn der ECON-Ausschuss die ursprünglichen Vorschläge der EU-Kommission abmildert, soll es bei der Ermächtigung bleiben, über europaweite „Referenzwerte für Gruppen vergleichbarer Versicherungsanlageprodukte“ Druck auf den Wettbewerb auszuüben, bestimmte Kosten nicht zu überschreiten.

Vernünftigerweise sollen diese Referenzwerte vor allem den nationalen Versicherungsaufsichten helfen, „um auf der Grundlage eines risikobasierten Ansatzes die Ermittlung potenzieller Ausreißer bei Versicherungsanlageprodukten auf dem Markt zu erleichtern“. Auch die Vermittler werden dem Vorschlag zufolge nicht ganz aus der Pflicht entlassen, bei ihrer Beratung Versicherungsanlagen hinsichtlich ihrer Kosteneffizienz zu prüfen. Der Verkauf von Versicherungsanlagen wird im Ergebnis noch einmal aufwändiger werden.

Offenbar weggefallen ist aber der im Januar noch enthaltene Vorschlag einer jährlichen Berichtspflicht aller Versicherer und Vermittler an ihre Aufsicht über Art und Umfang der im zurückliegenden Jahr vermittelten Versicherungsanlageprodukte. Das wäre vermutlich in der gegenwärtigen, deutschen Aufsichtsstruktur nur schwer umsetzbar gewesen.

Gebunden ist man nur als Erlaubnisfreier?

Das Thema „Unabhängigkeit“ und Makler soll nach den Vorstellungen des ECON-Ausschuss nun wie folgt geregelt werden: Wer dem Kunden mitteilt, seine Beratung zu Versicherungsanlageprodukten erfolge „ungebunden“, darf grundsätzlich keine Provisionen und andere Anreize dritter Parteien annehmen, das wären vor allem die Versicherer. Dieses partielle Provisionsverbot wird eingeschränkt für diejenigen, die wie die deutschen Versicherungsmakler „aufgrund ihres Rechtsstatus als unabhängig eingestuft werden“. Diese dürfen sich dann als „ungebunden“ darstellen, wenn sie den Kunden „darauf hinweisen, dass sie Anreize erhalten“.

In Deutschland müsste dafür allerdings eine Altlast der Vermittlerrichtlinien-Umsetzung beseitigt werden. Seit 1. Januar 2009 taucht in der Versicherungsvermittlungsverordnung, und nur dort, der Begriff „gebunden“ auf. Und zwar betrifft das die statusbezogene Erstinformation nach § 15 VersVermV, nach der sich nur der erlaubnisfreie, von einem Versicherer ins Vermittlerregister eingetragene Ausschließlichkeitsvertreter als „gebundener Versicherungsvertreter“ bezeichnen muss.

Dagegen ist beispielsweise nach öffentlichen Verbraucherinformationen der BaFin jeder andere Vermittler ein „ungebundener Vermittler“. Das sind insbesondere sehr viele Ausschließlichkeitsvertreter, die eine Gewerbeerlaubnis einer IHK haben und von dieser ins Vermittlerregister eingetragen worden sind, außerdem Mehrfachvertreter und Makler.

Das heißt, dass nach dem seit rund 15 Jahren vom Bundeswirtschaftsministerium und der Versicherungsaufsicht gepflegten Sprachgebrauch alle Ausschließlichkeits-, Mehrfachvertreter und Makler gleich sind, nämlich „ungebunden“, weil sie eine Gewerbeerlaubnis haben. Wie da die vom ECON-Ausschuss vorgeschlagene Differenzierung zwischen „unabhängig“, „ungebunden“ und „gebunden“ in Deutschland funktionieren und vom Verbraucher verstanden können werden soll, wird eine schwierige Aufgabe werden.

Jetzt muss man abwarten, wie sich der Europäische Rat zu diesem Richtlinienentwurf stellt, und wie schnell der Trilog erfolgreich beendet werden kann. Das dürfte zwar nach der Europawahl der Fall sein, aber es könnte dann unter Umständen schnell gehen.

Autor(en): Matthias Beenken

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