Bafin unzufrieden: Stresstests wenig aussagekräftig

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Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat die Berichte zur unternehmenseigenen Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung (ORSA) analysiert. Das Ergebnis der Untersuchung: Die Stresstests müssen differenzierter werden, die Analysen der Ergebnisse tiefer gehen.

Die BaFin hat stichprobenartig ORSA-Berichte durchgesehen und dabei wohl festgestellt, dass sie häufig nicht in angemessener Weise die Anforderungen an unternehmensindividuelle Stresstests erfüllen. Dieser Umstand kann in der Corona-Krise zum Problem werden, schätzt die Aufsicht.

Stresstest am unternehmensindividuellen Risikoprofil ausrichten

Wenn die Unternehmen ihren tatsächlichen Gesamtsolvabilitätsbedarf ermitteln, müssen sie 22 Entwicklungen einbeziehen, die sich wesentlich auf ihre Risikolage oder ihre Eigenmittelsituation auswirken können – beispielsweise geplante strategische Maßnahmen sowie mögliche widrige Ereignisse und Szenarien. Um die für das Versicherungsunternehmen beziehungsweise die Versicherungsgruppe relevanten widrigen Ereignisse oder Szenarien angemessen im ORSA abzubilden, müssen sie ein ausreichend breites Spektrum an Stresstests entwickeln, die sie an ihrem unternehmensindividuellen Risikoprofil auszurichten haben.

Zumindest müssen sie die maßgeblichen Treiber für die wesentlichen Risiken des Unternehmens abdecken, die Risikokonzentrationen und die Diversifikationseffekte zwischen den Risiken berücksichtigen und unterschiedliche Schweregrade der Ereignisse und Szenarien abbilden. Zudem erwartet die BaFin, dass die Unternehmen Erkenntnisse aus früheren Stresstests heranziehen, wenn sie beurteilen, ob sich das Risikoprofil wesentlich geändert hat.

Situationen festlegen, die Ad-hoc-Stresstests erfordern

Die Unternehmen sind verpflichtet, die Häufigkeit und den Inhalt der Stresstests zu dokumentieren. Die Leitlinien zum Governance-System der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung EIOPA sehen zudem vor, dass die Versicherer jene Situationen festlegen, die Ad-hoc-Stresstests erfordern. Außerdem müssen die Versicherer alle Risiken identifizieren und beurteilen, denen sie kurz- und langfristig ausgesetzt sind. Dazu gehören laut § 27 Absatz 3 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und Artikel 262 Absatz 1 a der Solvency-II-Durchführungsverordnung (DVO) auch solche Risiken, die beispielsweise daraus resultieren, dass sich das wirtschaftliche und finanzielle Umfeld ändert. Obwohl die Versicherer unter Solvency II einen ORSA erstellen müssen, ist, was Art, Umfang und Häufigkeit angeht, durchaus das Proportionalitätsprinzip anwendbar.

Inwiefern die Versicherungsgesellschaften die vorgenannten Anforderungen tatsächlich umgesetzt haben, konnten die Prüfer der BaFin bei der Lektüre der ORSA-Berichte oft nur schwer nachvollziehen. Den Berichten konnten die Aufseher beispielsweise häufig nicht entnehmen, nach welchen Kriterien die Versicherer ihre Stresstests im Hinblick auf die jeweiligen Risiken ausgewählt haben.

Gerade in schwierigen Zeiten wie der aktuellen Corona-Krise erwartet die Aufsicht von den Unternehmen, dass sie die Stresstestannahmen gründlich prüfen. Eine Aussage, die Stresstests seien unverändert angemessen, müssen Versicherer auf jeden Fall begründen – bisher erfolge dies oft nicht oder nur rudimentär, so der Vorwurf der BaFin.

Oft nur einzelne Risikofaktoren im Blick

In ihren ORSA-Berichten würden die Versicherer sehr häufig Stresse betrachten für einzelne Risikofaktoren wie Aktien, Spreads und Zinskurven, selten jedoch Kombinationen von Markt- und versicherungstechnischen Risiken sowie Nachhaltigkeitsstresse. Weiterhin falle auf, dass die Berichte nur vereinzelt Reverse-Stresstests enthielten, obwohl diese transparent machen könnten, wann definierte strategische Ziele nicht eingehalten würden. Bei einem Reverse-Stresstest könnten die Unternehmen zum Beispiel den Ausfall von Gegenparteien, Kapitalmarktverwerfungen und Anstiege der Schaden-Kosten-Quote analysieren.

Weiterhin sollten die Versicherer Stresstests mit unterschiedlichen Schweregraden durchführen. Der Schweregrad lasse sich etwa über Stressparameter und das Änderungsausmaß der betrachteten Zielgrößen festlegen. Ergebnis der Durchsicht: Bei weitem nicht alle Versicherer würden die Stresstests in ihren ORSA-Berichten nach Schweregraden differenzieren.

­BaFin erwartet ausführliche Beurteilung wesentlicher Stresstestauswirkungen

Zudem beobachteten die Prüfer, dass zahlreiche Stresstests Ergebnisse hervorbrächten, die sich nicht materiell auf die Zielgrößen auswirkten. Oft beurteilten die Unternehmen ihre Stresstestergebnisse überhaupt nicht. Allgemeine Aussagen wie „die Risikotragfähigkeit ist weiterhin gegeben“ und „keine materiellen Auswirkungen“ seien häufig nicht angemessen. Denn die BaFin ­erwartet eine ausführliche Beurteilung wesentlicher Stresstestauswirkungen, bei der die Unternehmen auch ergriffene beziehungsweise potenzielle Maßnahmen erörtern, mit denen sie ihre Situation verbessern wollen. Das sollten sie im Kontext von Covid-19 nachhaltig beachten.

Das Fazit: Die Durchsicht habe gezeigt: Der ORSA kann die Geschäftsleitung nur dann dabei unterstützen, fundierte Entscheidungen zu treffen, wenn diese die den Stresstests zugrundeliegenden Annahmen und Methoden, deren Ergebnisse sowie die daraus resultierenden Schlussfolgerungen und Maßnahmen im gebotenen Umfang darstelle. Auch die Aufsicht müsse sich auf Basis dieser Angaben ein eigenes Urteil zur Angemessenheit des unternehmerischen Vorgehens bilden können. Aus aktuellem Anlass wolle die BaFin sehen, ob Covid-19 zu vermehrten Ad-hoc-ORSA-Berichten mit angepassten Stressannahmen führe.

Autor(en): Versicherungsmagazin

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